Rücktritt von Nationalelf-Kapitän Philipp Lahm:Capitano mit eigenem Kopf

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Abschied in "völliger Harmonie": Philipp Lahm tritt überraschend als Kapitän der Nationalelf zurück und hinterlässt eine verdutzte DFB-Spitze. Die Entscheidung sei vor längerer Zeit in ihm gereift, sagt Lahm. Doch der WM-Titel hat ihm den Entschluss deutlich erleichtert.

Von Carsten Eberts

Philipp Lahm sollte nun eigentlich Urlaub machen. Erst mal nicht an Fußball denken, die Beine im Meer baumeln lassen, in seiner rechten Hand ein gekühltes Getränk, vielleicht ein Glas Sekt, gerne auch schon zum Frühstück. Er ist Fußball-Weltmeister. Er darf das.

Doch Lahm, das wissen sie nicht zuletzt in seiner Heimat in München, hat seinen eigenen Kopf. Und deshalb ist er zwar in den Urlaub gefahren, hat seine ersten Post-WM-Tage aber dennoch dazu genutzt, um ein wenig aufzuräumen, abzuschließen. Und sich eines Amtes zu entledigen, für das er eigentlich wie gemeißelt schien.

Lahms Erklärung im Wortlaut
:"Den Entschluss im Laufe der vergangenen Saison gefasst"

Die Entscheidung aufzuhören, habe er schon länger getroffen, sagt Philipp Lahm. Er freut sich, dass das Karriereende in der Nationalmannschaft mit dem WM-Gewinn zusammenfällt. Die Erkärung im Wortlaut.

Schon am Montagmorgen beim Frühstück, am Tag des Rückflugs, hatte er seinen Entschluss Bundestrainer Joachim Löw mitgeteilt. Am Freitagmorgen dann der Anruf bei DFB-Präsident Wolfgang Niersbach, ehe sein Berater die ersten Medienberichte bestätigte: Philipp Lahm, der Kapitän, will nicht mehr in der Nationalelf spielen. Er tritt zurück. Künftig spielt er nur noch beim FC Bayern. Seinen Vertrag hat er gerade noch verlängert, er läuft bis 2018.

"In völliger Harmonie" seien die Gespräche mit Löw und der Verbandsspitze verlaufen, sagte Lahm der Sport Bild. Er habe die Zeit beim DFB "sehr genossen", das habe er Niersbach am Telefon auch gesagt. Kein Groll, kein Streit. Einfach nur ein Rücktritt, der früher kommt, als alle dachten. Nach 113 Länderspielen - das erste 2004 gegen Kroatien, das letzte 2014 gegen Argentinien - in denen Lahm fünf Tore schoss.

Die DFB-Spitze ist verdutzt, aber nicht gekränkt. Wolfgang Niersbach äußerte sich am Freitag ebenfalls. Er habe im Gespräch mit Lahm "sehr schnell gemerkt, dass es aussichtslos ist, ihm seine Entscheidung ausreden zu wollen", teilte der DFB-Präsident mit. Niersbach, der unaufgeregte Präses, lässt seinen Kapitän ziehen. Wohlwissend, wie sehr Lahm fehlen wird.

Stattdessen schaltete Niersbach schnell in den Huldigungsmodus: "Er war in den zehn Jahren bei der Nationalmannschaft nicht nur ein herausragender Spieler, sondern immer ein absolute Vorbild. Ich habe ihm für all das gedankt, was er für den DFB geleistet hat." Ähnlich äußerten sich auch andere Weggefährten: Lukas Podolski, Ex-Teamchef Rudi Völler, sogar Kanzlerin Angela Merkel äußerte ihren "großen Respekt".

Traurige Stimmen kommen auch aus dem Norden, von Uwe Seeler, einem der Amtsvorgänger Lahms. "Das kommt für mich überraschend, wahrscheinlich sogar für alle", sagte Seeler stellvertretend für Volkes Seele, wie er es gerne tut. Für das deutsche Team sei der Rücktritt "ein großer Verlust". Die Weltmeister-Elf muss sich neu sortieren, ohne Lahm, der das Team sportlich wie auch intellektuell führte.

Seeler sagte aber auch: "Na ja, er hat jetzt den WM-Titel. Mehr kann er als Fußballer ja nicht erreichen."

Der Zeitpunkt des Rücktritts lässt tatsächlich aufhorchen: nur fünf Tage nach dem WM-Titel, drei Tage nach den Feierlichkeiten in Berlin, als Lahm vor dem Brandenburger Tor mit Sprechchören gefeiert wurde. Er selbst sagt in einer Erklärung, der Entschluss sei schon "während der vergangenen Saison" in ihm gereift. Er habe Glück gehabt, dass sein Rücktritt mit dem WM-Titel zusammenfällt. Hatte Lahm also den festen Plan, dass dieses Turnier sein letztes werden würde, unabhängig vom Ausgang?

Philipp Lahms DFB-Karriere
:Links, rechts, Mitte, rechts

2004 debütiert der 20-jährige Philipp Lahm im der Nationalelf, 2010 verdrängt er Ballack als Kapitän, nun hört der Weltmeister auf. Lahm spielte auf verschiedenen Positionen, schoss wegweisende Tore - machte aber auch Fehler in entscheidenden Momenten.

Seine DFB-Karriere im Rückblick

Es ist zu vermuten, dass der WM-Titel Lahm die Durchsetzung seines Entschlusses enorm erleichtert hat. Lahm, Schweinsteiger, Klose, Podolski, die etwas pathetisch auch die "Goldene Generation" genannt werden, war die große Erleichterung am Sonntagabend in Rio de Janeiro anzumerken. Bei vier großen Turnieren hatten sie den ersehnten Titel verpasst - und nun endlich einen gewonnen. Den wichtigsten, den es im Fußball zu gewinnen gibt.

Schweinsteiger heulte auf dem Rasen, Podolski jubilierte ausgelassen wie selten, Klose verfolgte das Geschehen eher in sich gekehrt, feierte mit seinen Kindern. Jeder hatte seine eigene Art, mit dem Triumph umzugehen. Lahm eben auch, er tritt auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn zurück. In einem Moment, der alle überrascht.

Aber Lahm, das wissen sie nun auch beim DFB, hat seinen eigenen Kopf.

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