Portugal bei der Fußball-WM:Im Geiste Eusébios

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Cristiano Ronaldo trainiert im Stadion von Salvador mit bandagiertem Knie. (Foto: Getty Images)

Cristiano Ronaldo will bei dieser Weltmeisterschaft beweisen, dass Portugal mehr sein kann als ein Versprechen. Fraglich ist, wie es um sein gereiztes Knie steht. Der Ehrgeiz des divenhaften Stürmers übertrifft selbst seinen legendären Hang zur Hypochondrie.

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Die Angst reist mit, wenn Cristiano Ronaldo unterwegs ist, und sie hat einen Namen: Javier Santamaría, Physiotherapeut bei Real Madrid. Auch er ist in Brasilien dabei, mit einer einzigen Mission: So gut es geht darüber zu wachen, dass Ronaldo keine überflüssigen Risiken eingeht.

Mindestens seit dem Frühjahr, womöglich aber schon länger, laboriert Ronaldo an einer längst chronisch anmutenden Reizung der Patellasehne im linken Knie, die Vereinschef Florentino Pérez alarmiert. Denn Ronaldo, 29, ist das Prunkstück in der Heldengalerie des Champions-League-Siegers, weil er nicht bloß Tore liefert. Sondern auch Kernstück der global angelegten Marketingstrategie von Real Madrid ist, die Pérez mindestens ebenso wichtig ist wie der sportliche Erfolg.

Schon vor Monaten hatten die Ärzte bei Real Madrid Ronaldo gewarnt, dass er seine Gesundheit ernsthaft aufs Spiel setze, wenn er den Schmerzen nicht gehorche - und pausiere. Doch es nutzte nichts. Mochten ihn die Mediziner auch warnen, dass er die WM, bei der er nun am Montag gegen Deutschland debütiert, verpassen könnte, Ronaldo missachtete den Rat der Mediziner.

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Auch das Beispiel des echten, des dicken Ronaldos aus Brasilien konnte nicht verhindern, dass Ronaldo die Grenzen seiner täglich überarbeiteten Physis auslotete. Dabei ist das Beispiel von Ronaldo Nazario de Lima tatsächlich dazu angetan, für einen Schrecken zu sorgen. Auch er hatte lange über Schmerzen geklagt, ehe die Patella-Sehne schließlich doch riss. Ronaldo wurde zwar 2002 noch mit der brasilianischen Seleção Weltmeister, aber nie wieder derselbe. Die Explosivität, die den Beginn seiner Karriere geprägt hatte und Jorge Valdano, den argentinischen Fußballphilosophen, von Ronaldo als einer menschgewordenen Büffel-Herde schwärmen ließ, war nach dem Eingriff unwiederbringlich perdu.

Pérez treibt die Furcht um, dass genau dies nun seinem zweiten Ronaldo widerfahren könnte (der authentische Ronaldo war ja auch als Galactico bei Real Madrid gelandet). Deshalb ist Santamaría, Sohn des früheren Weltklassespielers und spanischen Nationaltrainers, jetzt Teil der portugiesischen Delegation - um jeden Griff ans Knie zu begutachten, jede Massage zu überwachen, jede Konversation mit den Medizinern des portugiesischen Verbandes.

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Derart ausführlich sollen Santamarías Berichte sein, dass die Portugiesen witzeln, er habe neulich sogar die Zahl der Eiswürfel nach Madrid gekabelt, mit denen Ronaldo nach einer Trainingseinheit in Brasilien das Knie umwickelte - und in der Heimat Sorgen entfachte. Kurz zuvor noch hatte Ronaldo behauptet, "bei 99,9 Prozent" seiner Schaffenskraft zu sein. Stimmte das etwa nicht?

Das ist auch deshalb schwer zu sagen, weil sein unzähmbarer Ehrgeiz seinen legendären Hang zur Hypochondrie in den Schatten stellt. Es ist noch immer kein Methadon für die Sucht nach individueller Anerkennung gefunden worden, an der Ronaldo leidet wie vielleicht kein anderer aktueller Topstar. Seine zweite Ernennung zum Weltfußballer des Jahres, die er im Januar abstaubte, verfolgte er mit obsessiver Leidenschaft; ähnliches gilt für "La Décima", den zehnten Champions-League-Titel von Real Madrid, den Ronaldo Ende Mai in Lissabon mit dem stupidesten Jubel der nun ja auch schon recht langen Fußballhistorie auf besondere Weise adelte.

Was aktuell an Ronaldos nagt, ist, dass er beim Vaterland noch immer in der Schuld steht. Denn auch mit ihm, dem nach eigener Deutung größten Fußballer sämtlicher Hemisphären, ist Portugal das Versprechen geblieben, das es zumindest seit den Tagen von Eusébio gewesen ist. Dem Eusébio, der vor Kurzem verstorben ist, und in dessen Geiste Portugals Elf auflaufen wird.

Bei allen sechs Nationen-Turnieren, die Ronaldo bislang bestritten hat, saß Eusébio stets als eine Mischung aus Maskottchen und Berater auf der Bank, ebenso bei den drei Turnier-Duellen gegen Deutschland. Bei der WM 2006 unterlag Portugal mit 1:3, bei der EM 2008 mit 2:3, bei der EM 2012 mit 0:1. Die meisten Spieler jener Partie werden auch am Montag in Salvador de Bahía wieder dabei sein. "Beim letzten Spiel sind wir meiner Meinung nach zu Unrecht in Rückstand geraten", erinnerte sich Nationaltrainer Paulo Bento unlängst in einem Interview mit dem spanischsprachigen Dienst der DPA. Doch aus jener EM zieht er jetzt Kraft, weil Portugal schließlich erst im Halbfinale scheiterte, und das auch nur im Elfmeterschießen. "Wir haben aus der Niederlage gelernt", versicherte Bento.

© SZ vom 16.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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