Olympiasieger kritisieren deutschen Spitzensport:Birgit Fischer will "Sichtungssystem der DDR" reanimieren

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In der Diskussion um die Leistung deutscher Athleten in London haben sich ehemalige Olympiasieger zu Wort gemeldet. Sie üben Kritik an der finanziellen Ausstattung, den Trainingsbedingungen und der Nachwuchsförderung - aber auch an den Sportlern selbst.

Mehrere deutsche Olympiasieger haben Konsequenzen aus dem Abschneiden Deutschlands bei den Spielen in London gefordert. In mehreren Gastbeiträgen für die Welt am Sonntag kritisierten sie gravierende Defizite bei der finanziellen Förderung von Spitzensportlern, den Trainingsstrukturen, der Motivation von Athleten und Trainern sowie der Förderung junger Talente.

Birgit Fischer konnte aus gesundheitlichen Gründen nicht bei den Wettkämpfen in London dabei sein. (Foto: dapd)

Am Freitag war bekanntgeworden, dass deutsche Athleten in London laut Zielvereinbarung zwischen dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und den Fachverbänden 86 Medaillen hätten holen soll. Vor dem letzten Wettkampftag stand Deutschland mit 44 Medaillen auf Rang sechs der Nationenwertung.

Die Hochsprung-Olympiasiegerin von 1972 und 1984, Ulrike Nasse-Meyfarth schrieb, die Förderung von Nachwuchstalenten müsse schon in der Schulzeit besser werden. Außerdem habe sie den Eindruck, dass viele Sportler in ihren Heimatvereinen vor sich hinwerkelten. "Die Besten sollten sich aber untereinander messen und gegenseitig pushen", erklärte sie.

Maik Bullmann, Olympiasieger 1992 im griechisch-römischen Ringen, kritisierte, dass das deutsche Leistungssportsystem finanziell schlecht ausgestattet sei: "Wenn wir mehr wollen, müssen wir auch mehr investieren."

Die achtmalige Olympiasiegerin und Kanutin Birgit Fischer sprach sich dafür aus, das "gute Auswahl- und Sichtungssystem der DDR" zu reanimieren, um junge Talente schon in der Schule zu entdecken. Fischer monierte auch Schwächen in Vorbereitung und Motivation. Wer nur halbherzig trainiere, könne im Wettkampf nicht plötzlich Weltklasseleistungen abrufen.

Roland Matthes, viermaliger Goldmedaillengewinner im Schwimmen, nannte die USA als Vorbild. In Deutschland müsse ein ähnliches System geschaffen werden, nämlich "ein zentral gesteuertes, wo die Athleten wissen, dass sie durch die Gesellschaft unterstützt werden", meinte er.

Thomas Bach ist nach eigener Aussage mit dem Abschneiden der deutschen Olympia-Mannschaft in London hingegen hochzufrieden. "Die Mannschaft hat einen glänzenden Auftritt hingelegt und meine persönlichen Erwartungen sogar übertroffen", sagte der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). Im härtesten Wettbewerb aller Zeiten habe das 391 Sportler starke Team mehr Medaillen gewonnen als vor vier Jahren in Peking. "Das hätte ich nicht erwartet. Das ist großartig. Wir sind stolz auf die Mannschaft", sagte Bach.

Zielvorgaben für Olympia
:Wer wie viele Medaillen gewinnen sollte

Laut Zielvereinbarung des DOSB und der Fachverbände sollten deutsche Athleten bei den Olympischen Spielen in London 86 Medaillen holen. Einige Sportarten konnten die Erwartungen gar nicht erfüllen, andere scheiterten knapp. Im Überblick.

Dennoch übte Bach auch Kritik. "Wenn wir in Zukunft in der Weltspitze mithalten wollen, müssen wir unser Sportsystem auf den Prüfstand stellen. Erkennbar große Schwierigkeiten haben wir insbesondere im Schwimmen, beim Schießen oder beim Segeln", sagte der oberste deutsche Sportfunktionär im Interview der Bild am Sonntag. In einigen Sportarten sei es nicht gelungen, die persönlichen Bestleistungen bei Olympia abzurufen. "Da müssen sich die Sportdirektoren und die Trainer Gedanken machen, ob die Vorbereitung gestimmt hat."

Mehr Geld und ein zentralisiertes Fördersystem sieht Bach als Möglichkeit, im Wettlauf der Nationen mithalten zu können. "Für die Zukunft liegt es auch am Geld - aber nicht nur daran". Trainingsgruppen mit Weltklasseleuten bezeichnete er in diesem Zusammenhang als extrem leistungsfördernd. "Wenn man bei jedem Training einen starken Partner im Nacken hat, anstatt selbst allein durch den Wald zu laufen oder mit jemandem aus der B-Mannschaft zu trainieren, ist das einfach etwas anderes."

Auch in puncto Einstellung zeige sich, dass der Sport ein Spiegelbild der Gesellschaft sei. Bach: "Ich glaube schon, dass der Mangel an absolutem Leistungswillen in unserer Gesellschaft auch am Sport nicht spurlos vorbeigeht. Aber ich muss auch sagen: Top-Leistungen werden in unserer Gesellschaft nicht genügend anerkannt. Das gilt nicht nur für Olympiasieger, sondern auch bei Nobelpreisträgern. Da vermisse ich begeisterte Anerkennung. Hier sollten wir alle positiver denken."

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