Olympia 2036:Der Sport hat in Geschichte nicht aufgepasst

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Schauplatz für Olympia 2036? Das Berliner Olympiastadion. (Foto: Christoph Soeder/picture alliance/dpa)

Olympia 2036 in Deutschland? Klug gemacht könnte das eine Chance sein, hundert Jahre nach den Nazi-Spielen von Berlin ein weltoffenes Land zu präsentieren. Unverzeihlich wäre hingegen, wenn es anders läuft.

Kommentar von Claudio Catuogno

Olympische Spiele setzen immer auch die Vergangenheit mit der Gegenwart in Beziehung, daraus schöpfen sie einen Teil ihrer Faszination. Sogar bei der in jeder Hinsicht ungewöhnlichen Ausgabe im Sommer 2021 in Tokio war die Vergangenheit allgegenwärtig, obwohl es die ersten Spiele außerhalb des Olympiade-Zyklus und die ersten ohne Publikum waren. Teilweise fanden die Wettkämpfe in den Sportstätten der Tokio-Spiele von 1964 statt, alleine das machte, trotz der mühsamen Pandemie-Gegenwart, die Nostalgie zum zwangsläufigen Begleiter. Es schützte aber nicht vor Geschichtsvergessenheit.

"Berlin 1936 hat den Auftakt markiert, indem zum ersten Mal die Flamme zur Schale getragen wurde. Das nächste Mal können wir kaum erwarten", twitterte das Internationale Olympische Komitee (IOC), lange bevor sein Fackellauf durch Japan begann - und verschwieg dabei mal wieder, dass es die Nazis waren, die dieses Spiel mit dem sogenannten olympischen Feuer im Rahmen ihrer Propagandaspiele 1936 in Berlin erfunden hatten. In einem der schmalzigen IOC-Imagefilme, die pünktlich zum Spiele-Auftakt in Tokio gezeigt und in den sozialen Netzwerken versendet wurden, schnitten die olympischen Zeremonienmeister sogar Bilder aus Leni Riefenstahls Propagandafilm "Fest der Schönheit" hinein. Zum Missbrauch der 1936er-Spiele durch Adolf Hitler: kein Wort.

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Und damit zu Thomas Weikert, 59, dem Präsidenten des Tischtennis-Weltverbands ITTF, der sich im Dezember zum neuen Präsidenten des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) wählen lassen will. In einem Interview mit der Sportschau hat Weikert gerade gesagt, dass sich der Dachverband unter seiner Führung darum bemühen würde, die Spiele 2036 nach Deutschland zu holen: "Ich weiß, dass es Diskussionen darüber gibt, ob man sich für 2036 bewerben soll vor dem Hintergrund von Berlin 1936. Aber ich bin der Meinung: ja!". Noch ist Weikert nicht gewählt - und schon muss man befürchten, dass auch er, sozusagen in der schlechten Tradition seiner Vorgänger, weder in neuer noch in neuester Olympiageschichte besonders gut aufgepasst hat.

Zu der Frage, ob das Weltereignis ausgerechnet hundert Jahre nach den Nazi-Spielen wieder auf deutschem Boden stattfinden sollte, kann man unterschiedlicher Auffassung sein. Viele haben sich schon dazu geäußert, die Argumente dafür und dagegen sind weitgehend ausgetauscht. Der scheidende Innen- und Sportminister Horst Seehofer von der CSU zum Beispiel war da immer sehr klar: Er hält eine deutsche Bewerbung für 2036 "nicht für denkbar", der FAZ sagte er im Jahr 2019: "Wir bekämen eine unsägliche internationale Diskussion und würden damit auch die olympische Idee beschädigen." Denn: "Wie würde man das in der Welt sehen? Die Deutschen feiern hundertjähriges Jubiläum bezogen auf die Nazi-Olympiade? Das kann nicht sein."

Andere reizt gerade das: auf kluge Weise einen hundertjährigen Bogen zu schlagen und der Welt - auch mit einem würdigen Rahmenprogramm - das moderne, weltoffene Deutschland zu zeigen, das sich seiner Vergangenheit bewusst ist und aus ihr gelernt hat.

Man kann sich wohl hinter beiden Standpunkten versammeln, das Problem an der Sache ist allerdings die Geschichte der vergangenen 25 Jahre, die geprägt wird von reihenweise in den Sand gesetzten deutschen Olympia-Kampagnen und -Initiativen. Berlin 2000, Leipzig 2012, München 2018 und 2022, Hamburg 2024, zuletzt die Fantasterei von Rhein-Ruhr-Spielen 2032. Mal scheiterten die Deutschen am Votum der eigenen Bevölkerung, mal an der Hybris von Politik, Sportlobby und Vermarktungsvisionären. Weikert will sich da offenbar nahtlos einreihen - zu verlockend ist die Aussicht, mit der nächsten Olympia-Bewerbung den großen Geld- und Bedeutungskreislauf in Gang zu setzen. Es müsse ja auch gar nicht Berlin sein, sagt Weikert, "es gibt vielleicht auch noch andere Städte". Hauptsache Olympia halt.

Aus der Geschichte seines wiederkehrenden Scheiterns hat der deutsche Sport jedenfalls nichts gelernt - und das lässt Schlimmes befürchten. Wenn man sich wieder und wieder mit seinen Olympia-Bewerbungen blamiert, ist das schon ärgerlich genug. Wenn man sich mit einer Bewerbung um die sensiblen Spiele 2036 blamiert, beschädigt man aber tatsächlich weit mehr als die olympische Idee.

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