NBA All-Stars: Allen Iverson:Der Vorzeige-Gangster

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In den Vereinigten Staaten wird die Wahl von Allen Iverson in das All-Star-Team heftig diskutiert. Dabei hat dieser Mann den Sport mehr verändert als Michael Jordan.

Jürgen Schmieder

Die Nominierung ist ein Witz, ein ziemlich schlechter sogar. Er ist so schlecht, dass kaum jemand darüber lachen kann. "Er sollte es ablehnen, von Beginn an zu spielen. Sein Verein spielt nicht gut und er auch nicht", ätzte etwa der ehemalige Superstar Charles Barkley. Die Rede ist von Allen Iverson, einem Basketballspieler in der nordamerikanischen Profiliga NBA. 1,3 Millionen Stimmen erhielt er von den Fans weltweit - und da beim traditionellen All-Star-Spiel, das seit 1951 im Februar ausgetragen wird, die Fans über die Startaufstellung bestimmen, sollte Iverson von Beginn an auf dem Feld stehen - doch nun hat er aus persönlichen Gründen abgesagt. Die Reservisten, dazu gehört auch Dirk Nowitzki, werden von den Trainern nominiert.

Allen Iverson vor der Dress-Code-Zeit: Cornrows, Tattoos und Armbänder. (Foto: Foto: dpa)

Die Wahl Iversons wird vor allem deshalb kontrovers diskutiert, weil die Teilnahme an diesem All-Star-Spiel eine sportliche Würdigung darstellen soll. Die besten Spieler der Western Conference sollen gegen die besten Athleten des Ostens antreten, zuvor gibt es allerlei Showeinlagen wie den Slam-Dunk-Contest und die Auszeichung des besten Drei-Punkte-Werfers. In diesem Jahr findet das Spiel am Sonntagabend im neu errichteten Footballstadion in Dallas statt und da mehr als 90.000 Zuschauer erwartet werden, gilt diese Partie schon jetzt als meistbesuchtes Basketballspiel aller Zeiten.

Iverson indes gehört nicht mehr zu den besten Spielern dieser Liga. Zu Beginn dieser Spielzeit lehnte er eine Reservistenrolle bei den Memphis Grizzlies ab und erwog das Ende seiner Karriere, ehe er zu den Philadelphia 76ers wechselte. Dort erzielt der 34-Jährige gerade einmal 14,7 Punkte pro Spiel (vor vier Jahren waren es noch 33), er gibt auch nur noch 4,2 Vorlagen (vor fünf Jahren schaffte er 7,9). Seine Mannschaft steht im Mittelfeld der Tabelle, die Playoffs wird sie nach derzeitigem Stand verpassen. Sportlich gilt er als Anachronismus - als einer, der vor Jahren einmal der Beste seiner Zunft war, nun aber mit den Besten nicht mehr mithalten kann.

Warum also der Zuspruch für Iverson? In seinem Buch Book of Basketball stellt der ESPN-Experte Bill Simmons Iverson sportlich auf eine Stufe mit Michael Jordan, er stellt ihn als "athletischen Superfreak" dar, der bei jedem Spiel 50 Punkte erzielen kann und bei dem Gegenspieler sich die Knöchel doppelt tapen müssen, um sich beim Verteidigen nicht zu Füße zu brechen, wenn sie den schnellen Bewegungen folgen würden.

Doch Iverson ist mehr. "Er ist einer der einflussreichsten afroamerikanischen Sportler aller Zeiten", schreibt Simmons. "Er brachte die NBA ins Hip-Hop-Zeitalter, bei der schwarzen Bevölkerung findet er Anerkennung, die nicht einmal Michael Jordan zuteilwurde."

Iverson ist die Antithese zum Saubermann Jordan, dessen Skandälchen erst nach der Karriere publik wurden. Während Jordan sich gern in Anzug, Krawatte und stets frisch polierter Glatze in der Öffentlichkeit zeigte, trug Iverson Baggy Pants und ausgeleierte T-Shirts, unter denen Dutzende Tattoos hervorlugten. Vor allem wegen seiner Popularität führte NBA-Chef David Stern im Jahr 2005 einen Dress-Code ein, der es Spielern verbot, Jeans, Sportschuhe, Mützen und Halsketten zu tragen. Seine Haare hatte er zu sogenannten Cornrows geflochten, um den Hals trug er mindestens zwei opulente Silberketten, in der Tasche eine Pistole. Iverson war ein Thug, ein Vorzeige-Gangster - und das kam gut an bei der afroamerkanischen Gemeinde.

"The Answer", so einer von vielen Spitzname von Iverson, wurde am 7. Juni 1975 in Hampton im Bundesstaat Virginia geboren. Seine Mutter war bei der Geburt ein 15-jähriges dürres Mädchen, das sich gerne auf Basketballplätzen herumtrieb und sich prügelte, der Vater blieb ein Phantom. Mit acht Jahren musste Iverson zum ersten Mal einen Mord mitansehen, im Alter von 16 Jahren wurde sein bester Freund erstochen. Iverson galt als Anführer einer Straßengang, er war zwar nicht besonders groß und kräftig, aber er war schnell, wendig und mit Ballgefühl gesegnet.

Mit 18 Jahren wurde er zum besten Highschool-Basketballer der USA gewählt, beim Football kam er unter die besten zehn - und wurde nach einer Schlägerei zwischen Weißen und Schwarzen zu einer Haftstrafe verurteilt, während kein Weißer angeklagt wurde. "Das war eine böse und zynische Entscheidung für einen jungen Mann", sagt Gary Moore, Iversons damaliger Football-Trainer und heutiger Manager. "Das wird er nie vergessen können."

Würdigung für einflussreichen Sportler

Iverson schaffte es dennoch in die NBA und wurde dort trotz einer Größe von gerade einmal 1,80 Meter zu einem der auffälligsten Spieler. "Er ist der Beste, mit dem ich je spielen durfte", sagt Chris Webber, übrigens fünfmaliger All-Star. "Er hat die Mentalität eines Boxers: Er ist gemacht, seine Gegner zu zerstören - und er versucht es immer und immer wieder." Zum elften Mal in 13 Profijahren wird Iverson nun ins All-Star-Team berufen, im Jahr 2001 ist er zum MVP - zum wertvollsten Spieler - der Liga gewählt worden.

"Ich musste so schnell erwachsen werden", sagt Iverson über seinen Werdegang. "Ich war immer arm, plötzlich wurde ich über Nacht zum Millionär und schon kommen all die Jasager und Lügner aus ihren Löchern gekrochen." Iverson wurde nicht nur zu einem sportlichen Star, er wurde zum Vorbild der afroamerikanischen Jugend. Er war einer, der geschafft hatte, den Ghettos zu entfliehen, ohne wie so viele andere vor ihm seine Wurzeln zu vergessen.

Allen Iverson mag auf dem Spielfeld nicht mehr so spritzig und sprunggewaltig sein wie noch vor Jahren, seine Trefferquote von 43,5 Prozent indes kann sich nach wie vor sehen lassen. Wichtiger ist jedoch der kulturelle Einfluss, den Iverson auf die amerikanische Gesellschaft hat. Das haben die Fans nicht vergessen.

Nun hat Allen Iverson das All-Star-Game abgesagt. Aus persönlichen Gründen, wie es aus dem Umfeld seines Vereins heißt. Trotz oder gerade wegen der Absage wirkt die Nominierung Iversons durch die Fans nicht mehr wie ein schlechter Witz, sondern wie eine Würdigung an einen der einflussreichsten Sportler seiner Generation.

Im sueddeutsche.de Newsflash: Fall Amerell weitet sich aus, Preetz unterstützt Funkel und Nowitzki startet im All-Star-Match

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