Mesut Özil:Weichspüler mit neuer Kraft

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"Wir haben das Potenzial, jede Mannschaft der Welt zu schlagen", sagt Mesut Özil. Das Gegenteil ist aber auch richtig. (Foto: AP)
  • Mesut Özil zeigt gerade die besten Leistungen seiner Laufbahn beim FC Arsenal.
  • Nun geht es in der Champions League gegen den FC Bayern (20.45 Uhr, SZ-Liveticker).
  • Hier geht es zur Tabelle.

Von Raphael Honigstein, London

Bei Arsenals 3:0-Auswärtssieg gegen Watford am Samstag trug sich laut Informationen des Daily Telegraph Geschichtsträchtiges zu. Mesut Özil habe mit seinen zwei Assists gegen die Hornets (Hornissen) die ewige Bestmarke des Argentiniers Riquelme (181 Torvorlagen) egalisiert, hieß es auf der Internetseite der seriösen Zeitung.

Die aus den sozialen Netzwerken übernommene Meldung erwies sich zwar wenig später in zwei Details als nicht hundertprozentig akkurat - Özil hat bisher "nur" 168 Bälle erfolgreich für Kollegen aufgelegt; außerdem gibt es keine gesicherten historischen Daten zu Torvorlagen und damit auch keinen Rekord, der zu brechen wäre - aber das tat der positiven Stimmung rund um die Gunners und ihren derzeit bestechenden Spielmacher nicht den geringsten Abbruch. Trainer Arsène Wenger hatte nicht nur einen wie schon beim 3:0 gegen Manchester United vor der Länderspielpause grandiosen Özil gesehen, sondern auch insgesamt "die perfekte Vorbereitung" für das Champions-League-Duell gegen die Münchner Bayern.

Die zweite Niederlage im zweiten Spiel der Gruppenphase, ein grausames 2:3 gegen Piräus, hatte die feinfüßigen Londoner vor drei Wochen in eine ihrer jährlich wiederkehrenden Krisen gestürzt, doch nicht zuletzt dank Özil führte der Weg seither bis auf Platz zwei in der Tabelle und zurück zum jährlich wiederkehrenden Optimismus. Sogar ein erster Meistertitel seit 2004 scheint derzeit möglich.

Die beste Leistung seiner Arsenal-Laufbahn

Özil, 27, zeigte jüngst beim Erfolg gegen Louis van Gaals ManU die womöglich beste Leistung seiner Arsenal-Laufbahn, "er hat für sich selbst Maßstäbe gesetzt", lobte Wenger. Durchschnittlich hat er, wie der Mirror ermittelte, in der laufenden Ligasaison pro Spiel 4,6 Großchancen für seine Mitspieler herausgespielt. Seit seinem Wechsel von Werder Bremen zu Real Madrid nach der WM 2010 war er auf Vereinsebene nicht derart effektiv.

Wer nach Gründen für Özils Leistungshoch sucht, fängt bei seinem auffallend muskulösen Oberkörper und der Rückversetzung in die zentrale Lieblings-Rolle hinter der Spitze an. Nicht minder entscheidend dürfte aber sein, dass Francis Coquelin, 24, ein auf Ballgewinne spezialisierter Franzose, derzeit hinter Özil die Lücken schließt; der Rückwärtsgang liege ja "nicht in seiner Natur", wie der ehemalige Arsenal-Stürmer Ian Wright kürzlich sagte.

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Außerdem profitiert Özil davon, dass er zwei schnelle Spieler an seiner Seite hat, die als Abnehmer für Steilpässe taugen: Stürmer Theo Walcott und Alexis Sanchez, der ständig den Gegner anlaufende Chilene, kombinieren weitaus besser mit dem Deutschen als Strafraum-Spezialist Olivier Giroud.

"Wenn er in einem guten Team spielt, mit den richtigen Mitspielern, kann er fantastische Pässe spielen", sagt Bayerns Jérôme Boateng über den Kollegen aus der DFB-Elf. Damit ist das Mysterium fast schon entschlüsselt. Der begnadete Ballstreichler Özil ist ungeachtet seiner individuellen Künste ein extremer Teamspieler; funktioniert das Gesamtkonstrukt, macht Özil als mal subtiler, mal extrem flink agierender Weichspüler die Passfolgen noch samtiger. Zusammen mit Sanchez hat er die Qualität im Team deutlich erhöht.

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Bei Misserfolg zieht er die größten Vorwürfe auf sich

"Wir haben das Potenzial, jede Mannschaft zu schlagen", hat Özil kürzlich gesagt. Das steht außer Frage, aber gleichzeitig hat die Elf auch das Potenzial, gegen jede Mannschaft verlieren zu können. Zuletzt haben Piräus und Dinamo Zagreb (2:1) gezeigt, wie schnell Arsenal, das stark vom eigenen Selbstvertrauen im Spiel nach vorne abhängig ist, bei Widerstand aus dem Tritt gerät. Wengers Team existiert in einem unfreiwillig dualen System: mit ständigem Auf und Ab zwischen rauschenden Siegen und verheerenden Niederlagen.

Bei Misserfolg zieht Özil, der elegante, so gar nicht den urenglischen Tugenden verpflichtete Ästhetiker, zumeist die größten Vorwürfe auf sich: die Leichtigkeit des Özil'schen Seins ist manchem Kritiker unerträglich. Nach seinem verschossenen Elfmeter und anschließendem Leistungsabfall im Champions-League-Achtelfinalhinspiel gegen den FC Bayern vor 20 Monaten wurde er in England wochenlang als "Passagier" verunglimpft.

Inzwischen hat sich die Stimmung komplett gedreht, aber vor dem Duell mit dem FC Bayern wird man auf der Insel ganz genau auf Özil schauen. Arsenal braucht ihn, und er braucht Arsenal, damit sie nicht wieder anfängt: die Diskussion um die ewige Zerbrechlichkeit der Wenger'schen Kunst.

© SZ vom 20.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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