Mario Gomez:"Ich will kein Spieler mit zwei Gesichtern sein"

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Vom Ersatzspieler zum Bundesliga-Schützenkönig, vom geschmähten Fehlschützen in der Nationalelf zum Stammspieler in der Qualifikation: Mario Gomez spricht über die Fehlschüsse von einst, seine Frisur von heute und den Sieg über Zweifler Louis van Gaal.

Moritz Kielbassa und Christof Kneer

Am Freitag, beim EM-Qualifikationsspiel in Wien, wird Mario Gomez zum ersten Mal seit langem in einem Pflichtspiel der Nationalelf von Beginn an stürmen. Er profitiert vom Ausfall Miroslav Kloses (Rippenprellung), der beim DFB immer noch den Stammplatz in der Sturmmitte besetzt hält. Gomez findet es "schön", endlich mal gesetzt zu sein, aber auch "blöd", weil: "Ich will nicht durch die Verletzung eines anderen reinkommen." In Wien (20.30 Uhr/ARD) will Mario Gomez, 25, auch ein drei Jahre altes Trauma besiegen.

Der Fehlschuss bei der EM 2008: Mario Gomez bringt gegen Österreich den Ball nicht im Tor unter. (Foto: dpa)

SZ: Herr Gomez, Sie haben sich in der Nationalelf bisher artig als Nummer zwei begriffen. Ist jetzt, zumal nach Kloses Verletzung, nicht die Zeit zu sagen: Ich lasse mich nicht mehr verdrängen?

Gomez: Quatsch, ich habe jetzt gegen Uruguay, Österreich und dann Aserbaidschan gerade mal drei Spiele von Anfang an, der Miro hatte das fünf Jahre. Da muss man schon die Relation sehen. Ich weiß aber, dass ich die Qualität habe, auch in der Nationalelf ein sehr wichtiger Spieler zu werden. Ich bin erst 25 und stehe noch viele Jahre voll im Saft.

SZ: Am Freitag kehren Sie zurück ins Wiener Ernst-Happel-Stadion, an den Schauplatz jener berühmten Szene, die viele Leute immer noch mehr mit Ihnen verbinden als Dutzende Ihrer Tore: EM2008, Österreich gegen Deutschland, Querpass Klose, ein Meter bis zum leeren Tor, der Ball springt von Ihrem Fuß senkrecht nach oben - übers Tor. Ein Trau ma?

Gomez: Ich bin vielleicht sensibel, aber ich glaube doch nicht an einen Fluch. Ich sehe jetzt nicht: Wien, Österreich, Hilfe, da war doch was! Wenn ich in der Bundesliga nicht mehr in Stadien spielen könnte, in denen ich mal Chancen vergeben habe, dann könnte ich bald nirgends mehr spielen. Und seit dieser Saison weiß ich: Im Fußball kommen Chancen immer wieder, man kann jeden Tag die Dinge komplett drehen - wenn man die Qualität hat und Gas gibt.

SZ: 2008 waren Sie noch so verbissen, dass Sie sich schon eine vergebene Chance im EM-Eröffnungsspiel gegen Polen nicht verzeihen konnten.

Gomez: Ja, ich war noch sehr jung, seit zwei Jahren Profi und konnte mit der Situation bei der EM nicht so richtig umgehen. Ich war gut im ersten EM-Spiel, hab' aber nicht getroffen. Im zweiten Spiel gegen Kroatien lief es für alle schlecht, im dritten kam die berühmte Szene. Das war alles zu viel für mich. Ich war nicht mehr klar im Kopf. Fußball ist simpel, der Ball muss von A nach B - mir ist das damals schwergefallen.

SZ: Sie haben zuletzt oft etwas trotzig gesagt: Ich bin kein Einwechselspieler, ich bin nur gut, wenn ich von Beginn an spiele! Haben Sie sich das in Ihrer verbissenen Phase eingeredet?

Gomez: Das ist so nicht ganz richtig. Früher, beim VfB Stuttgart, war ich als Einwechselspieler nach einer Verletzung immer sofort von null auf hundert, weil ich spürte: Die Fans freuen sich, dass ich zurück bin, ich helfe dem Team. Die Situation bei der Nationalelf und bei Bayern war anders: Ich wurde nicht gebraucht, keiner hat auf mich gewartet, die Fans hatten keinen Grund, sich auf mich zu freuen. Denn die Elf, die gespielt hat, spielte super. Mit diesen Gedanken ist es schwer, für 15 Minuten reinzukommen - du willst es auf Teufel komm raus allen beweisen, du willst die Welt in zehn Minuten einreißen. Und dann bist du immer zur falschen Zeit am falschen Ort, rennst blind über den Platz. Das war etwas, was mich in der Nationalelf zwei, drei Jahre gekostet hat.

SZ: Inzwischen wirken Sie unverkrampfter, der Bundestrainer spricht von "überwundenen Blockaden".

Gomez: Die Situation im Verein spielt da die entscheidende Rolle. So ein Jahr beim FC Bayern...

SZ: ... mit dem Gewinn der Torjägerkanone und 39 Pflichtspieltreffern...

Gomez: ... das macht einen natürlich gelassener. Ich habe gelernt, dass es im Fußball nicht nur um Leistungsfähigkeit geht. Du bist abhängig von Glück, vom Vertrauen des Trainers, von vielen Kleinigkeiten. Ich war Stürmer Nummer vier bei Bayern, meine Chance zu spielen war so groß wie die von Österreich, Weltmeister zu werden. Trotzdem habe ich weiter gearbeitet. Ich habe gelernt, zu warten und mir zu vertrauen. Ich habe mich freigemacht von dem Gedanken: Wann läuft es wieder super für mich?

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SZ: Ihr Tor vom Sonntag, das 1:0 gegen Uruguay, sah in der Selbstverständlichkeit seiner Entstehung so aus, als hätte es der FC-Bayern-Gomez erzielt.

Sensibel, aber selbstbewusst: Mario Gomez. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Gomez: Ist doch schön, wenn das so wirkt, so soll es sein. Ich will kein Spieler mit zwei Gesichtern sein. Und der war ich ja zuletzt, da gab es den Bayern-Gomez und den Deutschland-Gomez.

SZ: Bei Stürmern sind die emotionalen Ausschläge besonders extrem. Sie sagten kürzlich, es sei nur ein schmaler Grat zwischen Superhero und Superniete.

Gomez: Ja, und ich weiß auch, dass ich vielleicht noch mehr im Mittelpunkt stehe als manch anderer Spieler.

SZ : Warum eigentlich?

Gomez: Das ist einfach so. Ich strahle offenbar irgendwas aus, was die Leute interpretieren. Heute sagen sie: Wahnsinn, mit welcher Ausstrahlung, mit welchem Selbstbewusstsein du auf dem Platz warst! Toll, wie du die Elf gepuscht hast! Und es gibt Spiele, wo ich von der Haltung her gleich bin, aber nicht treffe, dann kommen Leute ums Eck und legen mir meine Körpersprache als Arroganz aus: Schau mal, wie der Gomez da herumstolziert! Das ist aber meine Art. Ich will und werde das nicht ändern. Das bin ich!

SZ: Ein anderer Vorwurf lautet, dass Ihre Körpersprache an schlechten Tagen besonders resignativ wirke - etwas, was Fußballfans gar nicht mögen.

Gomez: Das ist die Situation, die ich vorhin meinte: Du bist im Kopf nicht klar, die einfachsten Dinge fallen dir schwer. Dann hast du vielleicht auch eine negative Ausstrahlung. Aber bei mir heißt es ja auch in einer guten Saison, wenn ein Spiel mal nicht so läuft: War nicht präsent, hat nicht am Spiel teilgenommen! Der Vorwurf ist nicht okay.

SZ: Arbeiten Sie an Ihrer Art, wollen Sie die Wahrnehmung der Leute ändern?

Gomez: Ich bin mit meiner Art gut gefahren und habe mich durchgesetzt, auch wenn's mal nicht so lief. Natürlich gehört Weiterentwicklung dazu. Aber wenn man mir vorwirft, dass meine Brust zu weit draußen ist, dann werde ich nicht so lange meinen Rücken trainieren, bis die Brust einfällt. Muss ich nicht. Will ich nicht.

SZ: Eigentlich sind Sie ja ein freundlicher Mensch und keiner, der gerne polarisiert. Haben Sie eine Erklärung, warum die Fans gerade bei Ihnen dazu neigen zu pfeifen - wie neulich in Kaiserslautern, beim Länderspiel gegen Kasachstan?

Gomez: Und das schon, als ich eingewechselt wurde! Das hat weh getan, das war ein dreckiges Gefühl. Ich denke, der Grund ist einfach die sportliche Vergangenheit. Bei mir stand im Nationalteam immer drüber: Der Blinde mit der Lachnummer von Wien, der den Ball aus einem Meter nicht reinkriegt! Wäre ich WM-Torschützenkönig

, könnte ich auch mal fünf schwächere Spiele machen - die Wahrnehmung der Fans wäre trotzdem positiv. Es ist jetzt meine Aufgabe, beim DFB dasselbe zu schaffen wie im Klub: viele Tore machen, möglichst bei der EM. Dann wird auch bei mir drüber stehen: Der Gomez, der hat's rumgerissen!

SZ: Beim FC Bayern sind Sie inzwischen überaus beliebt, Ihr Trikot gehört zu den am meisten verkauften.

Gomez: Warum? Weil Erfolg da ist. Mit Erfolg wirst du einfach anders gesehen. Ein Beispiel: Über meine Haare wurde so oft diskutiert wie bei keinem anderen Spieler. Ich habe in den letzten fünf Jahren ein einziges Mal meine Frisur geändert. Aber getan wurde so, als würde ich alle zwei Wochen zwischen Grün, Blau und Lila wechseln. Hätte ich in den letzten drei Jahren beim DFB denselben Lauf gehabt wie zuletzt bei Bayern, hätte niemand über meine Haare gesprochen.

SZ: Und wenn doch, dann charmant.

Gomez: Mesut Özil hatte kurze Haare, jetzt hat er lange. Das interessiert keinen Menschen. Warum? Weil er ein geiler Kicker ist, der die Leute überzeugt. Hätte er mal eine Phase, wo es nicht so läuft, kämen vielleicht die Ersten um die Ecke: Guck mal, der spielt mit Haarband!

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SZ: In der schlechten Phase bei Bayern haben Sie sich in Interviews oft mit Edin Dzeko verglichen, dem damaligen Torschützenkönig. Sie sagten: Hallo, ich habe die gleichen Quoten! Jetzt sind Sie Torschützenkönig - und Dzeko sitzt bei Manchester City auf der Bank. Haben Sie das Dzeko-Trauma überwunden?

Gomez: Ich hatte kein Dzeko-Trauma. Was ich damit nur sagen wollte: Ich war in den letzten fünf Jahren - nach Zahlen - der beste Bundesliga-Stürmer. Trotzdem war das Gesamtbild bei mir negativ, wegen der Nationalelf. Bei mir wurde oft so getan, als sei ich die blindeste Wurst.

SZ: Das Louis-van-Gaal-Trauma haben Sie aber definitiv überwunden. Ihren Gomez-kritischen Trainer überzeugt zu haben: War das Ihr wichtigster Sieg?

Gomez: Ja, schon, vor allem für später, falls mal wieder so eine Situation kommen sollte. Sie müssen sich das mal vorstellen: Das ist, wie wenn Ihr Chef bei der SZ zu Ihnen sagt: Eigentlich sind Sie raus, Sie werden keine großen Geschichten mehr für uns machen! Sie schreiben trotzdem jeden Tag weiter, dann fallen drei Kollegen krank aus, Sie müssen plötzlich doch wieder ran, schreiben einen grandiosen Artikel - und sind plötzlich der Liebling des Chefs.

SZ: Schön, und dann?

Gomez: Dann bleiben Sie trotzdem misstrauisch, aber insgeheim sind Sie froh und glücklich. Ich hatte schon viele sportliche Höhepunkte, Meisterschaften, Torschützenkönig - aber das bisher Emotionalste für mich war, als ich am Vereinsgelände auf dem Sofa saß, beim Mittagessen, van Gaal kommt zu mir, fängt an zu plaudern und sagt aus dem Nichts heraus: Es gibt für mich keinen Grund mehr, zu überlegen, ob Sie spielen oder nicht! Das werde ich nie vergessen. Da wusste ich wirklich nicht, was ich sagen sollte, außer: Danke, Trainer!

SZ: Er hatte Ihnen aber arg zugesetzt.

Gomez: Ein Jahr, nachdem ich für viel Geld und voller Überzeugung zu Bayern gekommen war, habe ich in einem Vieraugengespräch gehört: Geh! Das war das Härteste für mich. Und neun Monate später vom selben Mann dieses Kompliment - das war ein wichtiger Sieg für mich. Das hat mich sehr beflügelt.

SZ: Die Wende kam im Oktober 2010 mit drei Toren gegen Hannover. Das 1:0, sagten Sie später, sei eine Befreiung gewesen. Aber nach nur einem guten Spiel konnten Sie doch nicht sicher sein, van Gaal überzeugt zu haben - der Sie kurz zuvor nach Liverpool verkaufen wollte .

Gomez: Doch! Ich war mir sicher. Schon nach dem Dortmund-Spiel, 14 Tage vorher.

SZ: Das Spiel endete 0:2, eine Schlüssel-Niederlage der Saison - und Sie vergaben beim Stand von 0:0 eine Großchance.

Gomez: Ja, das war kurios, ich kam ja aus keiner guten Phase. Aber wir hatten zu Saisonbeginn nur wenige Tore erzielt, und van Gaal sagte: "Jetzt kriegen Sie Ihre Chance. Letztes Jahr war Ivica Olic anfangs Stürmer Nummer vier, am Ende hat er immer gespielt." Von da an wusste ich: Jetzt kommt meine Zeit! Jetzt lasse ich mich nicht mehr aufhalten.

SZ: Vor kurzem war ein Interview mit Ihnen mit einer klaren Image-Botschaft überschrieben: "Ich bin nicht der sensible Gomez!" In Wirklichkeit sind Sie das aber doch, oder?

Gomez: Ich kann nichts damit anfangen, dass ich sensibel sein soll - und der Rest der Welt nicht. Einen unsensiblen Stürmer kenne ich nicht, das wollte ich damit sagen. Natürlich bin ich sensibel. Wenn der Trainer zu mir sagt: Sie spielen keine Rolle mehr, lässt mich das nicht kalt, dann nimmt mich das mit. Generell aber sollten die Leute das Sportliche bewerten, nicht das Psychologische.

SZ: Also dann, eine sportliche Frage: Haben Sie Ihr Spiel umgestellt?

Gomez: Angepasst! Ich konnte bei Bayern nicht mehr nur an der Mittellinie stehen und auf Konter warten, wie fünf Jahre in Stuttgart, mit Sprints über 50 Meter, den Ball am Fuß. Bei Bayern stehe ich am Sechzehner, mit dem Rücken zum Tor, links und rechts ein Verteidiger. Das ist ein anderes Spiel. Dafür musst du erst ein Gespür bekommen, du musst den Ball anders behandeln. Da gelingt mir inzwischen gut. Ich bin jetzt viel kompletter.

SZ: Hat Ihnen van Gaals Fußball dabei sogar geholfen?

Gomez: Absolut. Vom Fachlichen her gibt es kaum einen besseren Trainer. Es war die menschliche Schiene, die vielen Spielern, Mitarbeitern und Verantwortlichen Probleme bereitet hat. Am Ende hat er zu mir gesagt: Es ist schade, dass wir jetzt separieren müssen. Er meinte: dass wir uns trennen müssen. Er sagte: Ich hätte gerne mit Ihnen weitergearbeitet!

© SZ vom 01.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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