Mario Götze als Joker im WM-Finale:Götzinho ist zurück

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Ein gewaltiger Moment für die deutsche Nationalmannschaft - vor allem aber für Mario Götze (Foto: AP)

In Minute 113 fällt nicht nur der Siegtreffer für Deutschland. Es kehrt auch eine als vermisst gemeldete Person zurück: Götzinho. Für die entscheidenden Minuten schickt der Bundestrainer seinen Joker aufs Feld - und gibt ihm eine besondere Anweisung.

Von Johannes Knuth

Eine Körpertäuschung, und Mario Götze war seinen Verfolgern entwischt. Er schlug einen Haken, verschärfte das Tempo, drehte sich kurz um - dann erwischten ihn seine Mitspieler doch noch. Schürrle, Müller, Höwedes, Hummels und Kroos eilten hinzu, irgendwann sogar die Ersatzspieler. Sie drückten und schüttelten ihn, den Mann, der ihnen gerade den Weltmeistertitel beschert hatte.

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Der Hauptdarsteller wusste gar nicht so recht, wie er seine Emotionen kanalisieren sollte. Für ein paar Sekunden ballte er die Hände zu Fäusten, er trommelte Löcher in die Luft, dann starrte er mit weit aufgerissenen Augen in die Nacht von Rio de Janeiro. Es war ein gewaltiger Moment für die deutsche Nationalmannschaft - vor allem aber für Mario Götze.

Erstens hatte er soeben ein Tor erzielt, das den Deutschen ihren vierten WM-Titel sichern würde. Zweitens dürfen sie beim DFB ihre Ahnengalerie um ein Porträt erweitern: Nach Helmut Rahn, Gerd Müller und Andreas Brehme ist nun auch Mario Götze ein zertifizierter WM-Siegtorschütze. Drittens hatte Götze den Auftrag seines Trainers vollendet, der sein Offensivkonzept für die Verlängerung vor allem auf zwei Spieler getrimmt hatte: André Schürrle und Mario Götze.

Ein Feinkost-Moment nach 112 Minuten brotloser Kunst

Und dann war da viertens noch die Weise, wie der Schütze sein Tor erschuf. Der Ball prallte auf Götzes Brust, aber nicht irgendwie - er fiel genau so weit, dass Götze ihn mit dem linken Fuß volley weiterverarbeiten konnte. Heraus kam ein sahniger Schuss ins lange Eck, ein Feinkost-Moment nach 112 Minuten brotloser Kunst.

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113 Minuten steht es 0:0 im Finale zwischen Deutschland und Argentinien, bevor André Schürrle auf der linken Seite zum Flanken kommt - und Mario Götze die Vorlage nutzt. Das Siegtor der WM 2014 im Taktik-Blick.

Es war auch deshalb ein beachtlicher Augenblick, diese 113. Minute im Maracanã, weil der Fußballwelt die Rückkehr einer als vermisst geltenden Person gemeldet werden durfte: Götzinho.

Götzinho, mancher erinnert sich, tauchte am 10. August 2011 zum ersten Mal auf. Brasilien hatte gerade ein Testspiel 2:3 gegen die Deutschen in Stuttgart verloren, aber viel mehr als die Niederlage schmerzte sie, wie sie verloren hatten. Dank scharfer Soli und treffsicherer Pässe, für die vor allem ein Mann verantwortlich gewesen war: Mario Götze, von seinen Mitspieler Götzinho gerufen, wie Marco Reus damals enthüllte. Die Brasilianer hätten Götzinho wohl am liebsten an Ort und Stelle eingebürgert.

Zwei Jahre später gab es die ersten Vermisstenanzeigen. Im Sommer 2013 verließ der Mann, den sie vor nicht allzu langer Zeit Götzinho gerufen hatten, Borussia Dortmund. In München traf allerdings nur Mario Götze ein. Es schien, als sei dem Hochbegabten sein Spitzname beim Umzug abhandengekommen. Begleitet wurde der Transfer von reichlich Folklore, die BVB-Fans zürnten, Götze erschien im Nike-Hemd zur Vorstellung beim Adidas-Klub FC Bayern, er verletzte sich bald und wurde so schnell nicht mehr fit.

Es sei "unglaublich viel auf den Jungen eingeprasselt", sagte Münchens Sportdirektor Matthias Sammer, "die Öffentlichkeit muss einfach akzeptieren, dass es im Leben eines jungen Menschen auch mal eine Zwischenphase gibt, man darf so etwas nicht immer gleich als Tragödie titulieren."

Der eine wurde für sein Vertrauen belohnt, der andere belohnte sich selbst: Bundestraner Jogi Löw und sein Torschütze Mario Götze. (Foto: dpa)

Zu Beginn der Fußball-WM in Brasilien spielte Götze wie ein junger Mann, der noch immer in einer Zwischenphase steckt. Er schoss ein Tor gegen Ghana, nein, er köpfelte sich den Ball ans eigene Knie, von dort sprang der Ball ins Tor. Götze trottete zum Torjubel ab, er breitete die Arme aus, schaute gen Himmel, aber selbst der Torjubel wirkte leer, einstudiert. Im finalen Gruppenspiel gegen die USA saß der 22-Jährige bis zur 76. Minute auf der Bank, gegen Algerien durfte er nur bis zur 45. mitwirken, gegen Frankreich erst wieder ab der 83., gegen Brasilien wurde er gänzlich vermisst. Im Finale kam er zum Ende der regulären Spielzeit für Klose, er war fahrig bis harmlos, wie im bisherigen Verlauf des Turniers.

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Dann kam diese eine Aktion, die alles änderte. Ein Premium-Tor. Ein echter Götzinho. Gefolgt von Momenten, in denen sich Mario Götze voller Emotionen präsentierte, ohne Filter, ohne Inszenierung von Sponsoren und Beratern. "Das ist unbeschreiblich, nicht in Worte zu fassen, wie im Traum", sagte Götze während der Pressekonferenz, er wirkte fassungslos, es folgte beinahe ein Gefühlsausbruch: "Es war kein einfaches Jahr und kein einfaches Turnier für mich. Ich danke allen, die immer an mich geglaubt haben."

Einem Auftrag verpflichtet: Angreifen statt absichern

Zu Letzteren gehört zweifelsfrei der Bundestrainer. Jogi Löw wurde dafür belohnt, dass er Götze auch in schwierigen Stunden zumindest ein paar Einsatzminuten spendierte. Dass er neben Götze in André Schürrle eine weitere Spezialkraft einband, die vor allem einem Auftrag verpflichtet war: Das Spiel vor dem Elfmeterschießen zu gewinnen, anzugreifen statt abzusichern. Es war Schürrle, der Mascherano und Zabaleta davonlief, der Götze den Ball millimetergenau servierte.

Was er Mario Götze aufgetragen habe, als er ihn einwechselte, wurde Löw nach dem Spiel noch gefragt: "Ich habe Mario Götze gesagt: Zeig' der Welt, dass du besser bist als Messi", antwortete Löw.

Kurz darauf erzielte Mario Götze das 1:0.

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