Mainzer Transfergeschick:Der Beckham aus der Datenbank

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Das ist nicht die Grundstellung in einer neuen asiatischen Kampfsportart, sondern der Torjubel des Mainzer Japaners Yoshinori Muto. (Foto: Fredrik Von Erichsen/AP)
  • Die Verpflichtung von Yoshinori Muto und der Verkauf von Shinji Okazaki zeigt, wie geschickt die Mainzer Spieler transferieren.
  • Muto ist sogar beliebter in Japan als Okazaki und könnte auch bei den TV-Einschaltquoten für viel Freude sorgen.
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Von Christof Kneer

Christian Heidel war nur fünf Stunden in Tokio, aber er ist in dieser Zeit an ein paar Zeitungskiosken vorbeigekommen. Er ist erst ein wenig erschrocken, er hatte ja nicht damit gerechnet, dass sein Kurzbesuch in Japan verraten worden war. Auf den Titelblättern der Zeitungen prangte jedenfalls das Bild des jungen Mannes, mit dem er gleich verabredet war.

Christian Heidel kann kein Japanisch, aber er hat dann doch schnell mitbekommen, dass die schönen Bilder gar nichts mit ihm zu tun hatten. In den Zeitungen ging es gar nicht darum, dass der Nationalstürmer Yoshinori Muto ein Angebot des deutschen Fußballvereins Mainz 05 vorliegen hat, und dass der Manager dieses Fußballvereins extra für ein paar Stunden hergeflogen kommt. Es ging einfach nur um Yoshinori Muto selbst.

Yoshinori Muto, 23, hat 13 Länderspiele für Japan bestritten und dabei ein Tor erzielt. Shinji Okazaki, 29, hat 91 Länderspiele bestritten, in denen er bisher 43-mal traf. Okazaki ist so etwas wie der Miroslav Klose Japans, ein historischer, freundlicher und stiller Mann, den jeder kennt und schätzt. Aber auf die Titelseiten schafft es Okazaki selten, er hätte dort auch gar keinen Platz. Dort steht ja schon Yoshinori Muto.

Mainz holt den potentiellen Quotenmagneten

Der FSV Mainz 05 hat gerade ein kleines Kunststück geschafft. Der Klub hat den besten Stürmer Japans abgegeben und ist in Japan trotzdem noch bekannter geworden als ohnehin schon. Dank Okazaki haben die Mainzer zuletzt die dritthöchsten TV-Quoten deutscher Klubs in Japan verzeichnet, aber trotz Okazakis Wechsel zu Leicester City dürften die Quoten noch weiter steigen. Denn nach Christian Heidels erfolgreichem Tokio-Besuch haben sich die Mainzer jetzt ja Yoshinori Muto angelacht.

Muto hängt in Japan in den Kinder- und Mädchenzimmern, er ist drüben eine Art Popstar, den sie den japanischen Beckham nennen. Er sieht gut aus, ist weder historisch noch still, und Tore schießen kann er auch, wenn auch nicht so gut wie Shinji Okazaki. Auf diesen Umstand weist übrigens auch Christian Heidel gerne hin, aber im Moment will das keiner hören.

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In Japan sowieso nicht, aber inzwischen auch nicht mehr in Mainz, wo Muto nach drei Saisonspielen schon mehr Kult ist, als Okazaki das je war - und das nicht nur wegen der zwei Tore, die er am vergangenen Spieltag zum 3:0 gegen Hannover beigesteuert hat. "Yoshi ist ein Strahlemann, der auf die Leute zugeht", sagt Heidel, "trotzdem dürfen wir nicht vergessen, dass es fußballerisch noch viel Luft nach oben gibt." Heidel sagt, er würde "den Hype gerne etwas bremsen".

Die kleinen Mainzer sind ein heimlicher Hauptdarsteller gewesen in der abgelaufenen Transferperiode, wieder einmal, denn die Sommer-Transferperiode ist für Mainzer traditionell die schönste Zeit im Jahr, knapp vor dem Karneval möglicherweise. In der Transferzeit zeigen die Mainzer immer, was sie können: Sie machen aus wenig meistens ziemlich viel. Und wenn sie mal wieder einen Stürmer verlieren, der sich in Mainz berühmt geschossen hat: Ja gut, dann holen sie halt den nächsten.

Muto statt Okazaki: Das ist einerseits der klassische Mainzer Deal. Mit List und Tücke werden sie Okazaki so zu ersetzen versuchen, wie sie schon André Schürrle, Adam Szalai, Lewis Holtby oder Nicolai Müller ersetzt haben. Aber in diesem stürmischen Sommer ging es um mehr als nur die Frage, ob ein neuer Stürmer mehr Tore schießt als der alte.

Gestritten wurde um Grundsätzliches: Die einen fürchteten um die Zukunft der Bundesliga, die bald nicht mehr wettbewerbsfähig sein könnte angesichts der unsittlichen Summen, die die Engländer inzwischen bezahlen; die anderen rieten mit pfiffigem Lächeln, die unsittlichen Millionen doch zu nehmen und etwas Sittliches damit anzustellen.

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Der Mainzer Heidel gehört zur zweiten Gruppe. Er hat zuletzt mehrmals öffentlich empfohlen, die englischen Millionen doch in die Nachwuchsarbeit und eigene schlaue Transfers umzuleiten, was ihm einen strengen Hinweis vom Bayern-Chef Karl-Heinz Rummenigge eingebracht hat; na, na, na, meinte der Münchner, so einfach sei das ja wohl nicht.

Weltweit kennt jeder Berater Mainz 05

Christian Heidel hat sich recht weit rausgelehnt zuletzt, er ahnt, dass die Branche künftig noch genauer auf die Mainzer Transferbilanz schauen wird. Aber er fühlt sich gewappnet. Er vertraut dem System, das sich in Mainz über Jahre entwickelt hat. "Wir können es uns auch künftig nicht leisten, Scouts in Flugzeuge nach Palermo oder Buenos Aires zu setzen", sagt Heidel. Die Mainzer haben Muto so verpflichtet, wie sie viele ihrer Spieler verpflichten: Sie bekommen irgendwann einen Tipp, zumeist aus der Beraterszene, mit der Heidel so vernetzt ist, dass er mit einem Schmunzeln behaupten kann, "dass jeder Berater weltweit Mainz 05 kennt" - und erst nach dem Tipp beginnt jener Prozess, den sie in Mainz "Scouting" nennen.

Dann setzen sich ein paar Vertraute an die Computer und "filetieren den Spieler", wie Heidel sagt. "Den Tipp mit Muto haben wir im Januar bekommen, und bis Mai haben wir jedes Spiel von ihm gesehen. Nicht vor Ort, sondern hier in Mainz, aber dank unserer Datenbank am Bildschirm in voller Länge." Und wenn sie dann der Meinung sind, dass der Spieler in jenes Mainzer Profil passt, das der ehemalige Trainer Thomas Tuchel in den vergangenen Jahren immer weiter verfeinert hat: Dann steigt Heidel ins Flugzeug, um für fünf Stunden nach Tokio zu fliegen.

Die Macht der Engländer werden auch die Mainzer nicht brechen, aber immerhin haben sie jetzt gezeigt, wie man die Engländer mit ihren eigenen Waffen auch mal ärgern kann. Heidel hat sich für den 29-jährigen Okazaki zehn Millionen aus Leicester überweisen lassen, und Muto hat er für 2,8 Millionen verpflichtet. Der FC Chelsea hatte fünf Millionen für den japanischen Beckham geboten, aber Muto ist nicht dorthin gewechselt, wo sie nur sein Vermarktungspotenzial sehen. Er wollte dorthin, wo sie den Spieler sehen.

© SZ vom 12.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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