Lucien Favre war soeben kurz daheim in der Schweiz. Saint-Barthélemy ist ein Dörfchen nördlich von Lausanne und nicht zu verwechseln mit einer gleichnamigen Karibik-Insel. Favre wäre aber sowieso keiner, der sich auf eine Insel zurückziehen wollte. Nicht mal im Misserfolg. Aus seinem Geburtsort in der Schweiz stammt auch Stan Wawrinka. Der Tennisprofi hat es bei den US Open in New York soeben in ein Schweizer Halbfinale gegen Roger Federer geschafft. Mit Wawrinkas Vater ist Favre zur Schule gegangen.
Für Favre läuft es gerade nicht so toll. Borussia Mönchengladbachs oft gelobter Trainer ist mit seiner Mannschaft mit drei Niederlagen in die Saison gestartet. An diesem Freitag gastiert der Hamburger SV im Borussia-Park, am Dienstag geht die Champions League beim FC Sevilla los.
Es gibt Signale dafür, dass es eine wolkenverhangene Saison werden könnte für die Sterne der vergangenen Spielzeit. Sportchef Max Eberl sagt: "Ich hoffe, dass in Mönchengladbach jetzt auch der Letzte gemerkt hat, dass nichts von alleine geht."
"Immer nur Regeneration oder Abschlusstraining"
Als Favre in der Schweiz war, wo Gladbach ein Testspiel gegen den FC Sion 2:1 gewann, wollten besorgte Schweizer Medien wissen, was bloß los sei mit seinem Klub da droben am Niederrhein. Favre gab sich demonstrativ souverän: "Ich bin kein bisschen überrascht", behauptete er festen Tons und nannte die bevorstehende Champions-League-Belastung explizit "gefährlich": "Wir müssen aufpassen, dass die Spieler nicht nur Manchester, Juventus und Sevilla im Kopf haben."
Vor allem fürs Training, sagt Favre, sei der stete Wechsel zwischen Liga und Champions League hinderlich: "Da hat man keinen Tag für richtiges Training - immer nur Regeneration oder Abschlusstraining." Und das bei den vielen Baustellen im Kader.
Die neubesetzte Abwehr mit dem 20-jährigen Marvin Schulz in der Innenverteidigung ist fragil, im defensiven Mittelfeld fehlt der nach Leverkusen zurückgekehrte Nationalspieler Christoph Kramer als Stabilisator, Granit Xhaka ist leichtsinnig und anfällig und fehlt überdies sowohl gegen den HSV als auch in Sevilla wegen gelb-roter Karten. Lars Stindl, der aus Hannover kam, ist an Xhakas Seite ebenso eher offensiv orientiert und defensiv bisweilen fahrlässig.
Spielmacher Raffael steht neben sich, Zugang Josip Drmic im Sturm findet keine Bindung zur Mannschaft, die Sturmalternative Thorgan Hazard muss sich erst an die Neuner-Position gewöhnen. Auf der linken Seite fehlt der verletzte Fabian Johnson, auf der rechten für unbestimmte Zeit Patrick Herrmann wegen einer womöglich schlimmeren Knieverletzung. Jeder Borusse konnte bislang nur einen Teil seines Potenzials abrufen, die Mannschaft spielt zu langsam, die Laufwege stimmen nur bedingt, die drei Niederlagen blockieren die Köpfe. Es ist eine schwierige Situation.
Niederlage in Bremen:Gladbach scheitert an sich selbst
So schlecht hat die Bundesliga für die Borussia noch nie begonnen: Beim 1:2 in Bremen erlebt Lucien Favres Team die dritte Pleite in Serie - am Ende wird es turbulent.
Xhaka nur ein Schatten seiner selbst
Der Schweizer Xhaka, der vorige Saison eine sehr gute Rückrunde spielte, ist in dieser Saison bislang, wie viele andere, ein Schatten seiner selbst. Weil er jüngst beim 1:2 in Bremen die gelb-rote Karte bekam, fehlt er gegen den HSV. Weil er auch am 26. Februar im bis dato letzten Europapokalspiel der Borussia gegen den FC Sevilla (Sechzehntelfinale, Europa League) Gelb-Rot sah, fehlt er auch in Sevilla im ersten Champions-League-Spiel der Klubgeschichte.
Im Test gegen den FC Sion hat Favre im defensiven Mittelfeld neben Stindl den Allrounder Tony Jantschke eingesetzt. Jantschke ist rechts außen in der Viererkette abkömmlich, wenn dort Julian Korb spielt, und er ist in der Innenverteidigung entbehrlich, wenn dorthin der lange verletzte Österreicher Martin Stranzl zurückkehren sollte. Dafür sieht es gut aus.
Favres Aufstellung basiert in dieser schwierigen Phase auf sehr vielen Wenns und Abers. Er hat viele Möglichkeiten, aber lieber ließe er, wenn er denn könnte, ein und dieselbe Formation wochenlang durchspielen. Die sechste Saison mit dem Schweizer droht die herausforderndste, vielleicht enttäuschendste zu werden. Favre scheint darauf vorbereitet zu sein. Spannend wird es, zu sehen, ob es das Umfeld auch ist.