Abstiegskampf:Bundesliga liefert Gemurkse statt Hochglanz

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Filip Kostic brüllt seinen Frust in die Luft des Hamburger Volksparkstadions. Der HSV lieferte gegen den Tabellenletzten Darmstadt eine peinliche Leistung. (Foto: dpa)

Der Kampf gegen den Abstieg verspricht Spannung, aber auch Chaos-Fußball. Das passt nicht zur als Premium-Produkt gepriesenen Bundesliga.

Kommentar von Sebastian Fischer, München

Die Deutsche Fußball-Liga hat in dieser Woche unmissverständlich klar gemacht, dass sie den Kult um Darmstadt 98 nicht kultig findet. Das Tabellenschlusslicht der Bundesliga hat die Lizenz für die kommende Spielzeit nur unter der Auflage bekommen, das altertümliche Stadion am Böllenfalltor zu modernisieren: Die je nach Sichtweise schmucklose oder aus Fan-Perspektive gerade deshalb wunderschöne Stehplatztribüne soll überdacht werden. Darmstadt, das passt nicht ins weltweit vermarktete, glänzende, in allen 18 Bundesligastadien möglichst ähnliche Bild, das der deutsche Fußball liefern soll. Doch es war nicht die beste Woche für die DFL. Und deshalb passte es ganz gut, dass das Spiel von Darmstadt 98 am Samstag die authentischsten Bilder lieferte, die der deutsche Fußball gerade zu bieten hat.

Natürlich kann man an Spieltagen wie diesen die große Spannung im Kampf gegen den Abstieg preisen, doch wäre das Lob allein nicht ein wenig scheinheilig für das Land des Weltmeisters? In Hamburg spielte Darmstadt noch mal so wie in der Vorsaison, die Abwehrspieler warfen sich verwegen in jeden Pass, vorne grätschte Verteidiger Aytac Sulu den Ball über die Linie, Darmstadt schlug den Hamburger SV mit 2:1. Das beweist einerseits eine beachtliche Moral der Darmstädter Mannschaft, die ja nur noch eine theoretische Chance auf den Klassenverbleib besitzt: Sie müsste dafür nun jedes Spiel gewinnen und die Konkurrenz müsste viermal verlieren. Doch es zeigt auch, wie leicht ein Klub mit so großen Mitteln wie der HSV mit ganz kleiner Kunst zu schlagen ist. Jedes Jahr aufs Neue.

Vor ein paar Wochen hat Nationalspieler Mario Gomez den Fußball, den er in der Bundesliga Woche für Woche als Stürmer des VfL Wolfsburg erlebt, als "Gemurkse" beschrieben - jedenfalls jenen der Mannschaften Platz sechs abwärts. Danach hat es zwar ein paar Spiele gegeben, die seiner These widersprachen. Doch dafür wurde am Samstag mal wieder gemurkst was das Zeug hält.

Harter Kampf vor den Tribünen statt Premium-Produkt Bundesliga

Die schwache Leistung des HSV war nur ein Beispiel. Im Spiel zwischen Frankfurt und Augsburg (3:1) fielen drei von vier Toren aus reinem Chaos, Schüsse wurden abgefälscht, Bälle vertändelt, mehr Zufall als Intention. Wolfsburg versuchte in Berlin zumindest so etwas Ähnliches wie Spielaufbau, doch es funktionierte nicht so recht (0:1). Mainz profitierte vom Gemurkse des FC Bayern (2:2). Und Ingolstadt brauchte die von Almog Cohen aufgeführte, dreisteste Schwalbe seit der des Leipzigers Timo Werner (in der Hinrunde gegen Schalke 04), um gegen Bremen überhaupt wieder ins Spiel zu finden - um dann einen Sieg, der die vielleicht letzte Chance auf den Klassenverbleib bedeutet hätte, selbst wieder aus der Hand zu geben.

Überhaupt: Bremen! Der Aufstieg von Werder vom Abstiegskandidaten zum Europapokalanwärter ist die schönste Geschichte der Rückrunde. Doch leise darf man vielleicht auch mal fragen, was das für eine eigenartige Liga ist, in der eine solche Aufholjagd möglich sein kann. Eine Liga, die nach den Niederlagen in dieser Woche in diesem Jahr keinen Teilnehmer in den Halbfinals der Champions League stellt und - im siebten Jahr in Serie - kein Team unter den letzten Vier der Europa League.

Die DFL bringt ein Premium-Produkt heraus, das haben neulich die Pläne von Geschäftsführer Christian Seifert, einen 250 Millionen Euro schweren Vertrag mit einer chinesischen Firma zu unterzeichnen, mal wieder unter Beweis gestellt. Doch um ausnahmsweise mal an die Fans hierzulande zu denken: Das Premium-Produkt Bundesliga sieht gerade zumindest nicht so sehr nach Premium aus, dass man den Anhängern ihre Lieblingstribünen verbieten müsste. Im Gegenteil: So eine Kulisse wie in Darmstadt passt ja viel besser zu dem harten Kampf ums sportliche Überleben dieser Tage. Blendet man die Millionen und die Hochglanz-Ansprüche aus, macht es ja sogar sehr viel Spaß, bei diesem dem Fußball verwandten Sport namens Abstiegskampf zuzuschauen. Dann darf man auch einfach mal loben, dass er bis zum letzten Spieltag spannend bleiben wird.

© SZ vom 23.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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