Julian Weigl bei Borussia Dortmund:Mit dem Taxi ins Rampenlicht

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Souveräner erster Auftritt in der Bundesliga: Julian Weigl (rechts) gegen Gladbach (Foto: REUTERS)

Erst Talent, dann Kapitän - und plötzlich Büßer: Trotz allem Chaos beim Zweitligisten TSV 1860 schaffte es Julian Weigl, sich für die Bundesliga zu empfehlen. Nun verblüfft er Dortmund.

Von Markus Schäflein, Dortmund/München

Thomas Tuchel hält Julian Weigl für "ganz wohlerzogen", und der Dortmunder Trainer liegt mit dieser Einschätzung seines Zugangs selbstredend richtig. Dass Weigl, das derzeit größte Wunderkind der Bundesliga, wohlerzogen ist, müsste man gar nicht betonen, gäbe es nicht die komische Taxigeschichte.

Und die geht so: Nachdem es Weigl über den SV Ostermünchen, 1860 Rosenheim und den Nachwuchs des TSV 1860 München mit gerade einmal 18 Jahren in den Zweitliga-Kader der Löwen geschafft hatte, kam er im Februar 2014 zum ersten Mal zum Einsatz, im März zum ersten Mal von Beginn an. Im Mai gab er der Bravo Girl ein Interview ("Der Shooting-Star erklärt, wie sein Traum-Mädchen sein müsste"), einige Tage später berichtete er: "Vor Kurzem wurde ich sogar in der Straßenbahn nach einem Autogramm gefragt."

Das war alles schon ziemlich viel und ziemlich neu. Im Juni 2014 kam dann der Trainer Ricardo Moniz zum TSV 1860, von dem sie heute noch nicht wissen, ob er nun genial oder wahnsinnig war; wahrscheinlich war er beides. Moniz machte Weigl zum Kapitän. Einen 18-Jährigen. "Weigl wird jetzt ein Mann", stellte Moniz fest.

Er spielt gerne auf der Sechs - seine Stärken sind das Raumgefühl und Ballverteilen

Und dann zog Weigl mit ein paar Mitspielern durch München. Nachts gegen 3.30 Uhr nahmen sie dann nicht die Straßenbahn, in der Weigl ja mittlerweile erkannt wurde, sondern ein Taxi. Das alleine war noch nicht das große Problem, allerdings lästerten die Spieler auf der Fahrt über die Verhältnisse beim TSV 1860, was keine große Kunst war - angesichts der abstrusen Personalpolitik des damaligen Sport-Geschäftsführers Gerhard Poschner, den Auftritten des Präsidenten Gerhard Mayrhofer und nicht zuletzt des originellen Charakters von Moniz gab es Stoff zuhauf. Der Taxifahrer war nicht nur Löwen-Fan, sondern auch ein Denunziant - am nächsten Tag klingelte auf der Geschäftsstelle das Telefon. Die komische Taxigeschichte gibt es nur, weil Sechzig ein komischer Verein war.

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Vom Talent wurde Weigl zum Mannschaftskapitän, vom Kapitän zum Büßer, in atemberaubendem Tempo. Er war die Binde wieder los, Poschner meinte: "Er hat sich selbst davon befreit." Das war selbstredend Humbug, Weigl war sehr gerne Kapitän und traute sich die Rolle auch zu. Nun trottete er mit den anderen Suspendierten vom Sondertraining in die Kabine, sie waren die schwarzen Schafe der Löwen-Familie. Zu Unrecht, wie sich später herausstellen sollte, denn Weigl und gerade auch die Kollegen Daniel Adlung und Vitus Eicher sollten sich als entscheidende Figuren des erfolgreichen Kampfs gegen den Abstieg erweisen.

Doch auf Weigls junger Bilderbuch-Karriere lag nun ein Schatten. Freilich war es ein flüchtiger - schnell war klar, dass es sich Sechzig gar nicht leisten konnte, auf sein Mitwirken zu verzichten. Er galt längst als eines der größten Talente der zweiten Liga und war gesetzt im zentralen Mittelfeld, wobei er in vielen Spielen mit Sechzig nicht besonders auffiel. Das lag zum einen daran, dass er in einer Mannschaft mitwirkte, die lange Zeit nicht funktionierte. Und zum anderen daran, dass Weigl aufgrund seiner Begabung oft den Achter geben sollte, einen offensiver ausgerichteten Mittelfeldspieler. Dabei zählt beispielsweise der Torabschluss nicht gerade zu seinen Stärken, im Gegensatz zu seinem Raumgefühl und dem passsicheren Ballverteilen; seine Idealposition ist die Sechs.

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Und drittens lag es daran, dass es zweite Liga war. Über Weigls Traumstart bei Borussia Dortmund, zu der er im Sommer für 2,5 Millionen Euro gewechselt ist, wundert sich 1860-Trainer Torsten Fröhling nicht. "In der ersten Liga werden mehr die spielerischen Elemente betont, das liegt ihm, und er hat natürlich jetzt auch sehr gute Mitspieler", sagt Fröhling, der Weigl aus der Endphase der vergangenen Spielzeit und vor allem aus der U21 noch bestens kennt: "In der zweiten Liga geht es mehr über Kopfballduelle, lange Bälle, über die Dinge, an denen er noch arbeiten muss: Dynamik, Zweikampfverhalten, Kraft." Wertvoll war Weigl dennoch auch für 1860, auch wenn er selten groß auffiel: "Er hat immer den Ball gefordert, auch wenn es heikel und eng war. Er hat diesen Mut gehabt, und er hat es auch gekonnt", sagt Fröhling.

Dass er körperlich zulegen muss, weiß Weigl. "Ich kann essen, was ich will, ich nehme einfach nicht zu", hat er einmal erzählt. "Bei den Bender-Zwillingen war das genauso, das sind auch schlaksige Typen. Die haben Anfang 20 noch mal einen Schub gemacht, und auf den hoffe ich auch." Die Benders, die einst Sechzig in die große Fußball-Welt verließen, nannte Weigl stets als seine Vorbilder. Nun hat er Sven Bender, 26, zumindest vorerst, aus dem defensiven Mittelfeld der Borussia verdrängt. "Ein beeindruckendes Debüt, das muss man wirklich sagen", sagte Sportdirektor Michael Zorc nach Weigls Auftritt beim 4:0 gegen Mönchengladbach, "er hat sehr abgeklärt gespielt. Man hat das Gefühl, er hat immer einen Plan." Tuchel ist ohnehin ein Fan von Weigl. 95,2 Prozent der Zuspiele des 19-Jährigen kamen bei den Mitspielern an. Bender und Gonzalo Castro dürften auch in den nächsten Spielen auf der Bank sitzen.

Weigl wird froh sein, das Chaos bei 1860 hinter sich gelassen zu haben. Doch auf Facebook kommentiert er weiterhin das Neueste aus dem irren Klub, an dem sein Herz hängt. Als U16-Spieler hat er sich einst gegen den FC Bayern entschieden- er war Löwen-Fan.

© SZ vom 22.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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