Holger Badstuber beim FC Bayern:Cool wie ein Alter - trotz Kribbeln im Bauch

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Bayerns Verteidiger Holger Badstuber ist erst 23 Jahre alt, wird aber längst als souveräner Chef der Münchner Abwehrkette respektiert. Gegen Madrid bewies der gebürtige Memminger einmal mehr, dass er mittlerweile unverzichtbar ist. Beeindruckend an seinem Spiel ist vor allem seine ruhige Ausstrahlung - das war nicht immer so.

Michael Neudecker

Der stolze Cristiano Ronaldo ist der beste Spieler des stolzen Real Madrid, vor allem seine Show vor Freistößen ist weltberühmt: Er legt den Ball auf den Boden, geht fünf große Schritte rückwärts, dann bleibt er stehen, breitbeinig, starr, Blick geradeaus. Am Dienstagabend, im Halbfinal-Hinspiel Reals beim FC Bayern, hat er das zweimal gemacht, und jedes Mal war eine gewisse Unruhe in der Arena zu spüren, als Ronaldo schritt, stand, blickte.

Beim ersten Freistoß hob er den Ball über das Tor hinweg, an den zweiten Freistoß kann sich keiner mehr erinnern.

Ronaldo hat schon 41 Treffer erzielt in dieser Saison, aber am Dienstag war er von einem Torerfolg fast so weit entfernt wie Iker Casillas, der Torwart. Hätte er nicht pink leuchtende Schuhe getragen und jene zwei Freistöße ausführen dürfen, wäre es gar nicht aufgefallen, dass er überhaupt da war. Er wurde von der Münchner Abwehr verschluckt.

Lahm, Badstuber, Boateng, Alaba, das ist die Münchner Abwehr, wie glücklich diese Zusammensetzung ist, ist hinreichend beschrieben worden; mit diesen Vieren hat der FC Bayern nach längerer Zeit ja endlich wieder eine Abwehr bekommen, in der höchstens Jérôme Boateng wegen noch nicht hundertprozentiger Konstanz gelegentlich austauschbar erscheint. Aber die anderen drei: unersetzbar. Philipp Lahm rechts außen ist der Kapitän der Mannschaft, laufstark und erfahren, David Alaba links außen ist der junge Frechdachs, noch laufstärker, unbekümmert im Spiel nach vorne, und Holger Badstuber links innen, 1,89 Meter groß, ist: der Abwehrchef.

"Ach", sagt Badstuber, er seufzt, "das Abwehrchef-Thema." Fußballspieler der Generation Badstuber finden solche Begriffe blöd, Hierarchie-Modelle, in denen ein Abwehrchef vorkommt, sind ihnen fremd, Abwehrchef klingt für sie nach Libero. Badstuber sagt: "Das ist doch überbewertet", er versuche nur, "der Mannschaft zu helfen durch meine Art." Aber das ist es nun: Die Art von Holger Badstuber ist der Grund, weshalb man ihn als wichtigsten Baustein der Münchner Defensive wahrnimmt. Er ist souverän, ruhig, weitgehend fehlerfrei. Und Holger Badstuber ist 23 Jahre alt.

Wie er sein Gefühl beschreiben würde, als das Spiel losging, vor 66 000 in eigenartiger Ekstase; dieses Spiel, das nichts weniger leisten sollte, als die Saison des FC Bayern zu retten? "Es war eine Top-Kulisse, jeder war heiß auf dieses Spiel", sagt Badstuber, "ich denke, ich hatte so ein Kribbeln im Bauch." Aber sonst, er spricht ohne Pause weiter, sonst sehe er die Sache so: "Ich muss Ruhe bewahren, ich will meinen Mitspielern Sicherheit geben, ich will immer Sicherheit ausstrahlen." Wie? "Durch reden und durch Ruhe", sagt Holger Badstuber.

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Die Anträge von Sergio Ramos und Marcelo auf eine Rote Karte werden abgewiesen, Mesut Özil spielt poetische Pässe in die Spitze, Ángel di María findet immerhin bei seiner Auswechslung den richtigen Weg und dem teuersten Spieler der Welt gelingt nur eine einzige Aktion. Real Madrid in der Einzelkritik.

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Es gab mal eine Zeit, da war das anders, da war Holger Badstuber zwar das große Talent, aber doch einer, der seine Ruhe noch nicht gefunden hatte. Der allerdings auch zu tun hatte mit ständigen Wechseln zwischen den Verteidigerpositionen innen und außen; im Verein spielte er nur gelegentlich links außen, in der Nationalmannschaft wurde er sogar als Linksverteidiger für die WM 2010 nominiert, wo er dann gleich von zwei Spielern verdrängt wurde: innen von Jérôme Boateng, außen von Marcell Jansen.

Wusste auch gegen Madrids Karim Benzema seine 1,89 Meter gekonnt und ruhig einzusetzen: Holger Badstuber. (Foto: AP)

Zur festen Größe gereift

Holger Badstuber aber blieb Holger Badstuber, ein gerne gegelter Memminger Twen, der eine Art Musterprofi ist. Er ist einer der wenigen beim FC Bayern, die bei jedem freiwilligen Training erscheinen, noch am Tag vor dem Spiel gegen Real schlug er mit einem Trainer die Bälle weit über den Übungsplatz an der Säbener Straße. Das ist einer seiner besonderen Vorzüge: der weit getretene, spieleröffnende Ball. Als er noch in der Amateurelf des FC Bayern auflief, ließ ihn der damalige Trainer Hermann Gerland als Sechser im Mittelfeld spielen, weil er der Meinung war, dass ein junger Spieler auf keiner Position so viel lernen kann wie auf dieser. Holger Badstuber ist ihm dafür heute noch dankbar.

Inzwischen ist Badstuber zu einer festen Größe gereift, beim FC Bayern wie in der Nationalmannschaft. Auch, weil die Zeit der Positionswechsel vorbei ist, weil es in der Innenverteidigung keine Alternative gibt zu ihm und seinem linken Fuß. Gegen Real unterstrich Badstuber das eindrucksvoll; gewiss, Real erzielte einen Treffer, weil alle Münchner inklusive Badstuber einige Minuten trudelten, weil sie allzu wild offensiv nach der Pause aus der Kabine rannten. Es war auch Badstubers Verdienst, dass die Defensive danach ihre Ruhe wiederfand. Und die sonst so quirlige und gefährliche Offensive Reals nicht ins Spiel fand, nicht einmal Ronaldo.

Als es vorbei war, ging Cristiano Ronaldo schnell zum Bus, als einer der ersten Spieler Reals verließ er am späten Dienstagabend die Gästekabine. Er trug einen weißen Trainingsanzug und eine violette Kappe, den Kopf gesenkt schlich er an den vielen Reportern und Verwandten von Franck Ribéry im Bauch der Arena vorbei, und irgendjemand sagte: Schau, da kommt der Ronaldo, er sieht aus wie ein Schüler.

© SZ vom 19.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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