Griechenland im Achtelfinale:Wie damals unter Rehakles

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Mitten rein ins Menschenknäuel: Griechenlands Stürmer Samaras umarmt Georgios Karagounis nach seinem verwandelten Elfmeter (Foto: dpa)

So geht echter Minimalismus: Den Griechen reichen zwei Tore gegen schwache Ivorer, um ins Achtelfinale einzuziehen. Dass das entscheidende 2:1 per Elfmeter in der Nachspielzeit fällt, erinnert an hellenische Heldentaten aus vergangener Zeit.

Von Thomas Hummel, Fortaleza

Dass Georgios Samaras körperlich unversehrt aus diesem Menschenknäuel entkam, ist ein Wunder des Fußballs. Alle Mitspieler, Physiotherapeuten, Trainer, ganz Griechenland rannte hinüber zur Eckfahne und begrub den 29-jährigen Offensivspieler von Celtic Glasgow unter sich.

Doch nach glaubhaften Versicherungen der TV-Anstalten mit ihren Bildern wurde Samaras nach dem Schlusspfiff beim Jubeln gesehen. Die Landsleute hätten eigentlich pfleglicher mit ihm umgehen sollen, denn sein Name geht in die Geschichte des griechischen Fußballs ein.

Mit dem verwandelten Elfmeter in der Nachspielzeit zum 2:1 gegen die Elfenbeinküste qualifiziert sich die griechische Nationalmannschaft zum ersten Mal für ein Achtelfinale einer Fußball-Weltmeisterschaft. Gegner dort ist Costa Rica.

Die sogenannte goldene Generation der Elfenbeinküste verabschiedet sich hingegen zum dritten Mal in Serie nach der Vorrunde. Didier Drogba und Kollegen hätten es nach dieser Leistung auch nicht verdient gehabt, so schwach spielten sie im Estádio Castelão in Fortaleza.

2006 und 2010 hatten sie sogar zum erweiterten Kreis der Favoriten gehört, doch jedes Mal war nach drei Spielen Schluss. Diesmal spielte diese Gruppe aus teilweise großen europäischen Klubs über weite Strecken eher auf dem Niveau einer Zweitliga-Truppe. Das 1:2 gegen Griechenland war verdient, auch wenn es erst durch einen Elfmeter zum Schluss zustande kam. Giovanni Sio hatte Samaras klar gefoult.

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Besonders emotional verlief der Abend für die Brüder Yaya und Kolo Touré. Sie hatten vor diesem Spiel die schwierigste Wahl gehabt, die man sich vorstellen kann: Nach England fliegen, wo ihr 28 Jahre alter Bruder Ibrahim vor fünf Tagen an einem Krebsleiden gestorben war. Oder in Brasilien bleiben, und sich so gut es ging auf das entscheidende Spiel in der Gruppe C vorbereiten. Sie entschieden sich zu bleiben. Ein Sprecher der ivorischen Mannschaft hatte erklärt, die beiden wollten im Sinne Ibrahims, der früher ebenfalls Fußballprofi war, die WM zu Ende spielen.

Yaya und Kolo Touré spielten, aber sie spielten weit unter ihrem normalen Niveau. Wobei sie damit in ihrer Mannschaft keineswegs auffielen.

Die Griechen hatten das Spiel unbedingt gewinnen müssen, um rechnerisch eine Chance zu haben auf das Achtelfinale. Was eine schier unlösbare Aufgabe zu sein schien. Griechenland hatte es geschafft, in sieben von acht bisherigen WM-Auftritten kein Tor zu erzielen, Trainer Fernando Santos war deshalb vor der Begegnung in Ironie abgedriftet: "Ist mir egal, wer die Tore schießt. Wir brauchen jemand, der trifft. Und wenn Karnezis trifft", hatte er gesagt. Orestis Karnezis ist Torhüter.

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Doch der Plan mit Karnezis erledigte sich schnell. Nachdem sich nach zehn Minuten bereits der agile Mittelfeldspieler Panagiotis Kone wegen einer Muskelverletzung hatte auswechseln lassen, winkte kurz darauf Karnezis Hilfe herbei. Der Torwart hatte Rückenschmerzen. Er wurde minutenlang behandelt, versuchte es nochmal, doch dann war Schluss. Schon nach 23 Minuten mussten die Griechen zum zweiten Mal wechseln. Angesichts der tropischen Bedingungen im Estádio Castelão war das sicher kein Vorteil - immerhin trug der Torwart-Ersatzmann den schönen Nachnamen Glykos.

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Die Südeuropäer machten das aus ihrer Sicht Beste daraus. Sie verschlepptem das Spiel so sehr, dass der Puls aller Beteiligten im Stadion bald auf Schlaf-Niveau sank. Die kleine ivorische Fangruppe mit ihren Rasseln und Trompeten schlug den trägen Takt dazu. Bald halfen sich die Brasilianer im Publikum selbst mit rhythmischem Klatschen oder mit lustigem Blitzen ihrer Smartphones. Alles schien spannender zu sein, als diesem öden Gekicke da unten weiter zuzusehen.

Wenn das die griechische Taktik war, dann ging sie in der ersten Halbzeit auf wundersame Weise auf. Die Spieler der Elfenbeinküste dämmerten nämlich ebenso weg wie die Zuschauer. Plötzlich bog der früherer 1860-Profi José Holebas von links hinten nach rechts vorne ab und schoss den Ball an die Latte (32.). Selbst das reichte allerdings nicht, um die Ivorer aufzuwecken. Cheick Ismaël Tioté reichte die Kraft nicht mehr, um ordentlich gegen den Ball zu treten, sein Stümper-Pass war die ideale Vorlage für Andreas Samaris. Da sich Boubacar Barry den Gewohnheiten afrikanischer Torhüter bei dieser WM anschloss und freiwillig abtauchte, schoss Samaris das 1:0 (42.).

Es war geschehen, womit niemand auf dieser Fußballwelt rechnete: Griechenland hatte ein Tor erzielt.

Dabei hatten sie diesmal gleich ganz auf ihrer Stürmer verzichtet. Theofanis Gekas und Konstantinos Mitroglou hatten ohnehin bewirkt, stattdessen setzte Trainer Santos auf das Löw-System mit drei offensiven Mittelfeldspielern. Wobei das griechische System sowieso auf die hervorragende Verteidigung aufbaut, wer da vorne rumwerkelt, ist eigentlich egal. Und hätte der Gegner nur halbwegs seriös agiert, die Griechen hätten wohl auch diesmal nichts getroffen.

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Die Ivorer spielten lange Zeit so, als ginge es hier um die Strandmeisterschaft von Fortaleza. Wobei das fast eine Beleidigung ist für die wackeren Strandkicker der Stadt. Vielleicht lag es am Schicksalsschlag in der Familie Touré. Vielleicht am Gefühl, dass gegen diese biederen Griechen doch ohnehin nichts schiefgehen kann. Erst nach dem Rückstand zeigte Yaya Touré einmal, dass er durch eine gegnerische Defensive laufen kann wie ein Elefant durch den Dschungel, doch er wurde abgeblockt (43.).

Nach der Pause versuchten die Afrikaner dann doch, das Tempo anzuziehen. Allerdings hat man im modernen Fußball selten eine individuell so gut besetzte Mannschaft gesehen, die so unkontrolliert und planlos drauflos stürmte. Die vergleichsweise mittelmäßig besetzten Griechen um ihren 37-jährigen Kapitän Georgios Karagounis kamen fast ohne Gegenwehr zu besten Konterchancen. Lazaros, Salpingidis, Karagounis an die Latte, wieder Lazaros - Griechenland hätte das Spiel bis zur 70. Minute längst entscheiden müssen.

Stattdessen fiel das Tor auf der anderen Seite. Die Südeuropäer vergaßen einmal, den einzigen engagierten Ivorer, Gervinho, zu decken. Der legte quer auf Wilfried Bony und es stand 1:1 (73.). Weil die Griechen alles nach vorne warfen, liefen die Ivorer nun einige Male in Überzahl auf das gegnerische Tor zu, verschliefen aber diese Chancen kläglich. Und so kam, was kommen musste.

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