Fußball:Zeit fürs Requiem

Fußball: Unsanfte Landung: Lionel Messi scheitert mit dem FC Barcelona abermals im Viertelfinale der Champions League aus.

Unsanfte Landung: Lionel Messi scheitert mit dem FC Barcelona abermals im Viertelfinale der Champions League aus.

(Foto: AP)

Von Javier Cáceres, Barcelona

Am Ende verneigte sich das Camp-Nou-Stadion in Dankbarkeit und auf fast schon rührende Art und Weise. "Baaaarça, Baaaarça, Baaaaarça . . . ", riefen die 96 200 Zuschauer. Kaum einer hatte seinen Platz verlassen wollen, obwohl früh absehbar war, dass das Ufer namens Champions-League-Halbfinale an diesem Abend unerreichbar sein würde. "So habe ich das Camp Nou in der Stunde einer Niederlage nur selten erlebt. Es erfüllt mich mit Stolz", sagte Abwehrmann Gerard Piqué nach dem 0:0 gegen Juventus Turin, das für den FC Barcelona den zweiten Viertelfinal-K.-o. in Serie besiegelte.

Weshalb den Culés, wie die Fans des FC Barcelona genannt werden, nur noch übrig blieb, die Fahnen wieder einzurollen, die vor dem Spiel auf ihren Plätzen verteilt worden waren, um das Stadion in ein gelb- und blau-rotes Meer zu tauchen. Am Ende aber navigierte Juventus Turin durch diesen Ozean in den Farben des FC Barcelonas und Kataloniens mit der Erhabenheit eines unsinkbaren Kreuzfahrtschiffs.

Einhundertundachtzig Minuten hatte Barcelona zur Verfügung gehabt, doch gegen Juventus gelang kein einziges Tor. Weder Neymar noch Luis Suárez und erst recht nicht Lionel Messi schafften es, Gianluigi Buffon zu bezwingen, dessen spektakuläre Serie damit weiter hält: Gegen diesen Torwart hat Messi noch nie getroffen.

Nicht dass es die Katalanen nicht versucht hätten. Doch wenn man es genau nimmt, schossen sie immer nur recht grob in Richtung Tor, welches der 39-jährige Keeper seit nunmehr 20 Jahren so meisterlich bewacht: immerhin fünfzehn Mal. Aufs Juve-Tor aber flog der Ball nur ein einziges Mal. Auch deshalb gab es in der Nacht zum Donnerstag keinen Menschen in Barcelona, der nicht eingeräumt hätte, was Piqué später so formulierte: "Sie waren in beiden Spielen besser und sind verdient weitergekommen."

Den anderen Konsens der Stadt gab Trainer Luis Enrique zu Protokoll - die Erkenntnis nämlich, dass das Aus des FC Barcelona sich bereits in Turin vollzogen hatte, beim 0:3 im Hinspiel: "Diese erste Halbzeit von Turin werde ich bis in alle Ewigkeit nicht vergessen", sagte der Coach, der zum Ende der Saison das Amt bekanntlich niederlegen wird.

Ein zweites Wunder bleibt aus

Dass die Katalanen an einer grandiosen Mannschaft scheiterten, machte die Dinge nur bedingt erträglicher, denn ein wenig hatten sie doch gehofft, ein ähnliches Wunder zu vollbringen wie im Achtelfinale gegen Paris St. Germain. Da hatte der spanische Meister ein 0:4 aus dem Hinspiel durch ein ungeheuerliches 6:1 umgekehrt. Doch die Binsenweisheit, dass Juventus nicht Paris ist, war die ebenso absehbare wie aus Barça-Sicht schmerzliche Erkenntnis des Abends. Juventus verteidigte mit selten solider Nüchternheit und ohne dabei je in die Abgründe des Catenaccio zu verfallen. Stattdessen glänzten die Italiener durch Spielintelligenz, taktische Variabilität, Konzentration - und Solidarität.

Der weinende Neymar braucht sein Trikot als Taschentuch

Zwei frühere Bundesligaprofis verkörperten dies besonders, der nominelle Stürmer Mario Mandzukic (früher Wolfsburg und FC Bayern) sowie Sami Khedira (VfB Stuttgart). Mandzukic rieb sich mit Abwehrarbeit im Mittelfeld auf, Khedira nahm im Stile eines Märtyrers eine gelbe Karte und damit eine Sperre fürs Halbfinal-Hinspiel in Kauf, als Linksverteidiger Alex Sandro die eigene Elf mit einem törichten Ballverlust in die Bredouille brachte. Khedira war darob außer sich vor Wut, er stauchte Alex Sandro zusammen, dass es eine Wonne war, ihm dabei zuzusehen.

Es war der einzige Moment, in dem Juventus so etwas wie Emotionen zeigte. Ansonsten war der Vortrag der Italiener von kühler Präzision geprägt. So sicher fühlten sie sich in ihrer Haut, dass Verteidiger Leonardo Bonucci sich noch vor Ende der Partie Zeit nahm, Messi um sein Trikot zu bitten - und dafür vom Kollegen Giorgio Chiellini gerüffelt wurde. Bonucci durfte es dann doch mitnehmen, als die Partie vorüber war, mit dem Segen Chiellinis. Das war schon deshalb eine gute Wahl, weil Barcelonas brasilianischer Stürmer Neymar sein Hemd wiederum noch als Taschentuch brauchte. Er weinte nach der Partie bitterlich und musste von seinem Nationalmannschaftskollegen Dani Alves - einst bei Barça, nun bei Juventus aktiv - getröstet werden wie ein kleines Kind.

Auch Neymar wird sich fragen, wie es nun weitergehen soll, es mehren sich die Anzeichen dafür, dass die Zeit für ein Requiem auf ein grandioses Team gekommen ist. Barcelona scheiterte auch, weil zu viele Spieler an Bord sind, die das Team nicht mehr weiterbringen. Bei Barcelona standen neun Spieler in der Startelf, die 2015 in Berlin den einzigen Champions-League-Titel seit 2012 geholt hatte - damals gegen eine Juventus-Mannschaft, die mit der von diesem Dienstag nichts mehr zu tun hatte: Am Dienstag standen neun Spieler auf dem Rasen, die im Olympiastadion der deutschen Hauptstadt nicht dabei waren, "das zeigt, wie gut im Klub gearbeitet wird", sagte Juventus-Coach Massimiliano Allegri.

Nächster Gegner ist Real Madrid

Es war Salz in eine offene Wunde. Denn in Barcelona werden die Kaderplanung von Manager Roberto und das Zaudern des Präsidiums zunehmend kritisch beäugt. Zuletzt ist ihnen beispielsweise der wunderbar talentierte Mittelfeld-Fantasista Marco Asensio durch die Lappen gegangen, der wild darauf war, beim FC Barcelona zu spielen. Der Transfer scheiterte daran, dass Barcelona die vergleichsweise läppische Ablösesumme von 3,5 Millionen Euro an Real Mallorca in Raten zahlen wollte. Nun spielt er bei Real Madrid - Barças nächstem Gegner.

Am Sonntag steigt nämlich im Bernabéu-Stadion von Madrid (20.45 Uhr) der nächste Clásico. Real Madrid steht in der Tabelle drei Punkte vor Barcelona und hat ein Spiel weniger. "Wir haben den besten Antrieb, den ein Culé haben kann: uns mit dem größten Rivalen zu messen", sagte Trainer Luis Enrique. In dem Wissen, dass es die letzte Patrone ist, die ihm noch bleibt.

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