Fußball-WM: Brasilien - Chile:Drei Minuten reichen

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Ein Doppelschlag vor der Pause leitet Brasiliens souveränen 3:0-Sieg im Achtelfinale über Lieblingsgegner Chile ein. Nach den beiden Treffern gibt es effiziente Aktiv-Erholung bei der Seleção.

Auch der Rekordweltmeister steht im Viertelfinale, und: Es geht auch ohne Schiedsrichters Hilfe. Mit durch die Bank korrekten Treffern bezwang Brasilien am Montagabend in Johannesburg die hoch eingeschätzte Auswahl Chiles 3:0 (2:0), wobei die Partie zu einer Demonstration des Erfolgskonzepts der in der Heimat stark umstrittenen Seleção geriet. Souverän, allzeit präsent und doch ohne spürbaren Kraftaufwand entledigte sich Brasilien dieser Aufgabe und dürfte nun wieder als heißester Titelanwärter gelten.

Er brauchte eine Standardsituation, um Brasilien in Führung zu bringen: Juan nach seinem Kopfballtor zum 1:0. (Foto: dpa)

Ganz Brasilien trieb dieser Tage die Frage um, welches Duell spannender werden würde: Das der Seleção gegen Chile, den Lieblingsgegner, oder das von Trainer Carlos Dunga mit dem nationalen Fernsehriesen Globo TV? Letzteres beginnt die Nation zu spalten, seit Globo unablässig gegen den Coach ledert und sogar schon bei Verbandschef Ricardo Teixeira Beschwerde führte ob Dungas Verbot, Bilder von den Trainingseinheiten zu filmen und überhaupt seinen Jungs zu nahe auf die Pelle zu rücken. Für Brasiliens größten Sender ist das ein furchtbarer Kulturschock. Vorbei die Zeit, da man mit den Stars fast jederzeit und überall zusammenkam und zwanglose Interviews führen konnte.

Die Bosse von TV Globo also sprachen bei Teixeira vor, doch nicht mal der chronisch korruptionsumwitterte Fußballboss war in der Lage, dem Fernsehen einen kleinen Gefallen zu tun. Ohrenzeugen wollen lediglich gehört haben, wie Teixeira etwas in der Art sagte, er könne Dunga ja auch rausschmeißen. Das aber würde er sich niemals offen zu sagen getrauen, solange Brasilien im Rennen ist - zumal Dunga sofort gehen würde. Er ist ein typischer Gaucho, nüchtern wie Vorvorgänger Felipe Scolari, der 2002 mit der Seleção den WM-Titel holte: Solidarität und Loyalität spielt im tiefen Süden eine große Rolle. So steht das Team hundertprozentig hinter dem Coach, für ihn würden die Jungs durchs Feuer gehen. Und Montagabend wartete ja nur Chile.

Was die Frage aufwarf: Wie stark würde Luis Fabiano, O Fabuloso - Der Fabelhafte - diesmal Chiles Kapitän Bravo zusetzen? Dem Mann im Tor, der schon in der WM-Qualifikation sieben Stück kassiert hatte, Chile verlor beide Partien. Wie überhaupt sämtliche letzten fünf Duelle seit 2007, bei einem Torverhältnis von 20:6. Alles klar für die Favoriten?

Vier Minuten lang tastete sich Chile tapfer Richtung Strafraum vor, immerhin hatte ja selbst der große Johan Cruyff gesagt, das Team habe in der Vorrunde mehr Angriffe inszeniert als alle anderen zusammen. Chile griff an, und plötzlich hatte Fabiano die erste Konterchance - allein, der Fabelhafte traf am Strafraum den Ball nicht und fabrizierte einen sinnlosen Querpass. Gefordert war Bravo erst nach neun Minuten, bei Gilberto Silvas Distanzschuss brachte der Keeper gerade noch die Hände an den Ball.

Aber Chile versteckte sich nicht und begegnete dem Angstgegner zunächst mit kühlem Kalkül. Maicon wurde ständig von zwei Gegenspielern empfangen, wenn er den Vorwärtsgang einlegte, Carmona verfolgte Kaka über den Platz wie das Kind die Mutter. Und da Robinho nur langsam ins Spiel kam, blieben Chancen aus - auf beiden Seiten.

WM 2010: Achtelfinale Brasilien - Chile
:Endlich wieder Samba

Zur Freude der brasilianischen Fans hat die "Seleção" das Tanzen noch nicht verlernt und Chile mit einem 3:0 aus dem Turnier geworfen. Im Viertelfinale bitten nun die Holländer zum Holzschuhtanz. Die Bilder.

Dann eine heikle Szene am chilenischen Fünfmeterraum, als Contreras am Boden liegend Lucios Bein einklemmte - für so etwas wurde schon Elfmeter gepfiffen (27.). Dann sah Kaka gelb nach einem Foul an Vidal - ein erstes Signal, dass die Seleção ein wenig die Contenance verlor gegen Chiles bissige Terrier?

Luis Fabiano und Nilmar freuen sich: Brasilien steht im Viertelfinale. (Foto: afp)

Ein Abseitstor würde dem Spiel jetzt gut tun, nach neuem Fifa-Brauch - aber Brasilien schaffte es dann auch ohne schiedsrichterliche Schützenhilfe. Juans Kopfballtor nach Eckstoß von Maicon beulte das Netz hinter Bravo aus wie ein Gewaltschuss (34.). Und nur drei Minuten später komplettierte O Fabuloso den Doppelschlag, der die Partie entschied: Robinho stürmte von links nach innen, Pass auf Kaka, der direkt weiter auf Fabiano, der erst Fuentes und dann den verdutzten Bravo umkurvte, bevor er einschob (37.). Ein Treffer für Genießer, der Brasiliens würdig war.

Gleich nach der Pause holte sich der im gewöhnlichen Berufsleben für Leverkusen spielende Vidal gelb nach einem Foul an Kaka ab. Chile mühte sich mit vielen Mitteln, diese Achtelfinal-Partie noch einmal zu einem echten Match zu machen, doch wohin sie den Ball spielten - Dungas Leute standen schon da. Beeindruckend, wie sie mit knappem Aufwand Spiel und Tempo kontrollierten, um dann ihre überfallartigen Konter zu starten. Einer davon führte zum 3:0 (59.). Ramires startete in der Mitte durch, fast bis zum chilenischen Strafraum, dort wartete Robinho und zirkelte das Zuspiel mit geometrischer Akribie ins rechte Toreck.

Es wurde immer gemütlicher, Aktiv-Erholung im Achtelfinale war angesagt für die Seleção, bei der eigentlich nur Kaka seiner Form noch hinterher läuft, auch gestern missrieten ihm selbst einige der leichtesten Pässe. Deshalb ließ ihn Dunga noch ein Weilchen üben, während Luis Fabiano Feierabend machen durfte. Er räumte das Feld für Nilmar.

Chile kämpfte und rackerte, die Südamerikaner legten just jenes Arbeitsethos an den Tag, das die verwöhnten Profibengel aus Frankreich, Italien, England auf ganzer Linie hatten vermissen lassen bei dieser WM. Torjäger Suazo setzte noch Akzente, erst zwang er Julio Cesar zu einer Glanzparade (74.), dann setzte sein Schuss auf der Torlatte auf (76.) - doch auch hier wäre Cesar zur Stelle gewesen. Dann durfte Kaka endlich gehen, für ihn kam Kleberson, ein altgedienter Weltmeister von 2002 - so hält Dunga seine zweite Garde bei Laune.

Eine Reserve, die der deutschen in einem wichtigen Punkt nicht unähnlich ist: Die Komparsen sind kaum in der Lage, das Niveau der ersten Riege zu erreichen, sie agieren als Lückenfüller. Etwa, wenn es keinen Grund mehr gibt, ein Spiel länger künstlich am Leben zu halten - wie die Partie gestern Abend, nach den entscheidenden drei Minuten.

© SZ vom 29.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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