Fußball:"Sein Gesicht ist ganz schwarz geworden"

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  • In einem Münchner Lokalderby der elften Liga spielen sich dramatische Szenen ab.
  • Ein Spieler verschluckt seine Zunge und erleidet einen epileptischen Anfall.
  • Er überlebt nur, weil zwei andere Spieler eingreifen.

Von Andreas Liebmann, München

Es war mal wieder eines dieser Spiele, die ein Außenstehender nicht unbedingt verstehen musste: Die zweiten Fußballmannschaften des FSV Harthof und des SV Am Hart trafen aufeinander, Tabellennachbarn und - wie schon die Namen vermuten lassen - auch Nachbarn im Münchner Norden. Ein Lokalderby also, aber es ging eben nicht um Leben und Tod, sondern um ein Duell zweier von Auf- und Abstieg nicht weiter tangierten Reserveteams in der Münchner B-Klasse 2. Das ist, zum besseren Verständnis: von zwölf Ligen die elfte.

Und doch war es so heiß hergegangen im vergangenen November, dass diese Partie kurz vor Schluss beim Stand von 2:1 für Harthof abgebrochen wurde. Der Schiedsrichter hatte sich von aufgebrachten Spielern bedroht gefühlt und war in die Kabine geflüchtet. Das Sportgericht setzte später eine Wiederholung an. Doch auch das Wiederholungsspiel, in das die Akteure Anfang März entsprechend angespannt und emotional starteten, wurde nicht zu Ende gebracht. Dieses Mal allerdings, weil es auf dem Rasen tatsächlich um Leben und Tod ging. Nur bemerkten das die Allerwenigsten.

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Es war die 17. Spielminute, der junge Stürmer Jeremy Hermann war auf den Harthof-Torwart zugelaufen, nun lag er am Boden. Es wurde laut, Spieler und Funktionäre reklamierten ein Foul. "Da war aber keins", ist sich Harthofs Klubchef Günter Bretz sicher. "Natürlich war es ein Foulspiel, definitiv", beharrt Andrea Celikkaya vom SV Am Hart. In der Hektik ging jedenfalls fast unter, dass der 18-jährige Hermann am Boden liegen geblieben war, und dass zwei Spieler verzweifelt um sein Leben kämpften, Alex Radulovic vom FSV Harthof und Ekrem Can, Hermanns Sturmpartner. Hermann hatte seine Zunge verschluckt, er bekam einen epileptischen Anfall.

"Sein Gesicht ist in Sekunden ganz schwarz geworden, die Augen rot, so etwas habe ich noch nie gesehen", berichtet Can. Im Jahr 2000 kam der 39-Jährige aus der Türkei, er entschuldigt sich immer wieder für sein holpriges Deutsch, aber er kann sich doch gut verständlich machen: Wie hilflos er sich gefühlt habe, wie er sich bemüht hatte, irgendwie an die Zunge zu gelangen, während Radulovic, 24, den zuckenden Körper hielt; wie alles voll Blut war, weil die Zähne des Jungen sich in seine Finger gebohrt hatten. "So etwas habe ich noch nie in meinem Leben gesehen", sagt Can, "es hat einige Wochen gedauert, bis ich wieder ruhig schlafen konnte." Ohne dieses Bild vor Augen. Sein Zeitgefühl hatte Can verloren, er habe gar nichts mitbekommen, was um ihn herum geschah, er wisse auch nicht, wann die Mitspieler begriffen hätten, was vor sich ging. Er weiß nur: "Keiner hat mir geholfen, alle waren geschockt." Irgendwann habe einer gerufen: "Hey, Jeremy ist gestorben!"

"Er hat einfach Glück gehabt", glaubt Can

Jeremy Hermann ist nicht gestorben an diesem Tag, er hat inzwischen schon wieder Fußball gespielt. Can und Radulovic gelang es irgendwie, dass der Teenager wieder Luft bekam und durchhielt, bis nach 15 Minuten der Rettungsdienst eintraf. Hermann selbst hat keine Erinnerung an den Unfall. "Er hat einfach Glück gehabt", glaubt Can. "Ich wusste ja selbst nicht, was ich tun muss."

Aber er hat etwas getan. "Ich möchte mir überhaupt nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn die beiden nicht so schnell und geistesgegenwärtig reagiert hätten", sagt Bernhard Slawinski, Münchens Kreisvorsitzender im Bayerischen Fußball-Verband. Zumal viele ja gar nicht erkennen konnten, "welche Tragödie sich da abspielte". Beide sind nun Monatssieger der Initiative "Fairplay München". Can nahm die Auszeichnung am vergangenen Montag entgegen, Radulovic weilt gerade aus familiären Gründen in Kroatien. Weil sie für ihn mindestens "Helden des Jahres" seien, hat sie Slawinski obendrein für den Sepp-Herberger-Preis des DFB vorgeschlagen.

Auch das Wiederholungsspiel wurde nach dem Vorfall nicht fortgesetzt, am 12. April kam es daher zu einer dritten Auflage. Es ging sehr friedlich zu. Der SV Am Hart II siegte 1:0. Das Tor erzielte Ekrem Can.

© SZ vom 04.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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