Fußball-Nationalmannschaft:Das große Visiönchen

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Nach endloser Diskussion um die Kapitänsfrage wendet sich die Nationalelf der EM-Qualifikation zu. Zum Auftakt gegen Belgien ist die DFB-Elf der Favorit, Philipp Lahm äußert sich schmallippig - und der Bundestrainer warnt.

Ludger Schulze

Wenn es denn die Absicht des DFB gewesen sein sollte, seine Mannschaft in einem belgischen Waldgebiet zu verstecken, dann ist das hervorragend gelungen. Vor dem Qualifikationsspiel zur Fußball-Europameisterschaft 2012 haben die Verbands-Organisatoren die Spieler in einer Gegend einquartiert, die selbst das allerbeste Navigationssystem zur Verzweiflung bringt.

Philipp Lahm spricht nur wenig über die Entscheidung in der K-Frage - und nicht viel mehr über "die große Vision". (Foto: dpa)

"Bitte umkehren", befiehlt das GPS kategorisch auf allen Straßen rund um das Quartier in La Hulpe nahe Brüssel. Der Grund: Dort, wo die Zufahrtsstraßen zum Hotel gerade nicht von Straßenarbeitern frisch asphaltiert werden, sind die Wege durch Waldarbeiter blockiert, die hingebungsvoll Bäume fällen. Dass dennoch vereinzelte Nachrichten von Bundestrainer Joachim Löw und seinen Leuten in die Öffentlichkeit dringen, ist demnach keine Selbstverständlichkeit.

"Die große Vision"

So wäre also zu berichten, dass die deutsche Mannschaft die Post-WM-Zukunft unter einem neuen Drei-Sterne-Motto angeht, das Löw offenbar seinen Männern präsentiert hat unter dem griffigen Namen: "Die große Vision". Die große Vision, erläuterte Interims-Kapitän Philipp Lahm am Tag vor der Begegnung mit Belgien in seinem Waldversteck, "äh, ist ... die Europameisterschaft zu erreichen".

Nun ja, das riecht eher nach der großen Normalität, denn letztmals hat es ein deutsches Team anno 1968 verabsäumt, das Ufer eines solchen Turniers zu erreichen. Was Weltmeisterschaften betrifft, ist das sogar noch ein Weilchen länger her. 1950 verpasste die Elite-Auswahl die WM-Angelegenheit nur deshalb, weil der Fußballverband der international geächteten Deutschen als Konsequenz aus dem Zweiten Weltkrieg noch gar nicht Mitglied der Fifa war.

Die Belgier und ihre Qualitäten

Womit geklärt wäre, dass ein Scheitern in Löws Masterplan überhaupt nicht vorkommen darf; zumal nach der glanzvoll absolvierten Weltmeisterschaft in Südafrika, die sein Team auch nach Philipp Lahms Ansicht zwangsläufig in die Rolle des "absoluten Topfavoriten" in der Qualifikationsgruppe drängt. Auch er gibt sich Mühe, von vornherein den Verdacht zurückzuweisen, man könne den Gegner in irgendeiner Weise unterschätzen.

"Wir werden hochkonzentriert in die Partie gehen", man wisse schließlich, "dass die belgische Mannschaft ihre Qualitäten hat". Das bestätigt Joachim Löws Assistent Hansi Flick gerne. "Wir waren bei unserer Analyse überrascht, wie kompakt und gut geordnet die Belgier stehen, sie haben sehr junge, talentierte, technisch starke Spieler. Das ist eine Mannschaft, die so langsam den modernen Fußball interpretiert."

Gut gesprochen, aber eigentlich kamen die Belgier nur unwesentlich über ein Randthema hinaus, denn hinter den Dingen lauerte versteckt die K-Frage, die wochenlang durch die Diskussionen der Fußball-Republik waberte. Doch am Mittwoch hat sich der Bundestrainer bekanntlich generell für den diesmal abwesenden Michael Ballack in der Kapitänsrolle entschieden, Lahm dient diesmal als Ersatz und nach Ballacks Rückkehr als zweiter Mann.

Auch gegen Belgien und Aserbaidschan wird Philipp Lahm die Kapitänsbinde tragen. Was danach mit der Binde passiert, weiß nur der Bundestrainer. (Foto: ddp)

Der Münchner Rechtsverteidiger hatte eine flammende Bewerbung abgegeben, in der langen Findungsphase jedoch stets betont, selbst bei einer Ablehnung ändere sich nichts für ihn. "Diese Entscheidungen müssen immer akzeptiert werden, und das werden sie auch", sprach er, "das lernt man von klein auf im Fußball". Aber wer ihn beobachtete, kam kaum umhin festzustellen, dass er sich kurz, knapp und reichlich schmallippig äußerte, helle Freude jedenfalls sieht anders aus als das, was in Lahms Gesicht zu lesen war.

Qualifikation kommt von Qual

Im gewöhnlichen Berufsleben hat jeder Sachbearbeiter schwer zu schlucken, wenn der konkurrierende Kollege zum Abteilungsleiter aufrückt, das dürfte auch im Fußball nicht anders sein. Lahm aber hat sich entschieden, die Zurückweisung zu verdrängen: "Es geht nicht um enttäuscht oder nicht enttäuscht", er sei jetzt erst mal froh, die Mannschaft in den kommenden beiden Spielen (Dienstag geht es in Köln gegen Aserbaidschan) "aufs Feld führen zu dürfen. Darüber freue ich mich, das ist eine große Ehre". Es ist sicherlich klug, kein Bohei aus der Kapitänssache zu machen, zumal sich Philipp Lahm augenscheinlich nicht des Rückhalts einer Mannschaftsmehrheit sicher sein kann.

Sami Khedira beispielsweise misst der Angelegenheit geringe Bedeutung zu. "Ich denke", sagt der Mann aus Madrid, "dass die Mannschaft das Thema nie groß beschäftigt hat", das sei nur in der Öffentlichkeit anders. Fraktionsbildung gebe es mitnichten, wenngleich: "Für mich ist es eine Selbstverständlichkeit, dass Michael Ballack Kapitän bleibt."

Und damit soll es dann auch gut sein, in den Vordergrund rückt nun, tunlichst einen Fehlstart nach der WM-Euphorie zu vermeiden. Das ist kein Selbstläufer, denn laut Auskunft von Joachim Löw "haben die Spieler noch nicht ihr hundertprozentiges Leistungsvermögen erreicht". Es fehlt an Rhythmus nach nur vierwöchiger Vorbereitung, "die Mannschaft muss sich in dieses Spiel gegen Belgien hineinquälen", fügt Assistent Flick an. Da kann man nur hoffen, dass die Zuschauer daheim am Fernseher sich am Ende nicht aus der Partie herausquälen müssen.

© SZ vom 03.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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