Fußball in der Türkei:Plastikklub mischt die Süperlig auf

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Farbtupfer: Die Başakşehir-Spieler - hier Tekdemir und Attamah im Derby gegen Beşiktaş - fallen nicht nur wegen ihrer leuchtenden Trikots auf. (Foto: imago)

Nicht Beşiktaş, Galatasaray oder Fenerbahçe führen die türkische Liga an, sondern Başakşehir - ein Klub mit vielen Verbindungen zu Staatschef Erdoğan.

Von Tobias Schächter, München/Istanbul

"Wir sind zerstritten, aber wir sind keine Todfeinde": Derlei Botschaften mit versöhnlichem Ton sendeten sich die verfeindeten Anhänger der türkischen Fußballvereine Beşiktaş Istanbul und Bursaspor nach den Bombenattentaten vom vergangenen Samstag zu. Anderthalb Stunden nach dem Abpfiff des Spiels der beiden Klubs in Istanbul gingen zwei Bomben einer Splittergruppe der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK in unmittelbarerer Nähe des Beşiktaş-Stadions hoch, mindestens 44 Menschen wurden getötet.

Die meisten der Opfer waren Polizisten, die Begegnung der beiden verfeindeten Fangruppen bedeutete ein Hochrisikospiel, weshalb mehr Polizisten als gewöhnlich präsent waren. Der Anschlag überschattete den 14. Spieltag der Süperlig und rückte den 2:1-Erfolg von Beşiktaş in den Hintergrund. Der Titelverteidiger ist in der Liga weiterhin unbesiegt - aber dennoch nur Zweiter.

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Schon der Name des Klubs liefert einen Hinweis auf seine Verbindungen

An der Tabellenspitze thront weiter der ebenfalls noch unbesiegte Istanbuler Klub Medipol Başakşehir FK. Für die großen Stadtrivalen Beşiktaş, Galatasaray und Fenerbahçe bleibt nur die Verfolgerrolle. Außer in den siebziger und achtziger Jahren durch Trabzonspor und 2010 durch Bursaspor gelang es noch keinem Verein, die Phalanx der Istanbuler Serienmeister zu durchbrechen. Der Aufstieg von Medipol Başakşehir FK zum Herausforderer der Istanbuler Großklubs ist aber weder Zufall, noch ein Märchen.

Schon der Name des Klubs liefert einen Hinweis auf die vielen Verbindungen zur Regierungspartei AKP und Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan. Vor eineinhalb Jahren kaufte sich die Krankenhauskette Medipol bis 2019 in den Namen des Klubs ein. Das Unternehmen gehört Fahrettin Koca, Erdoğans Arzt. Auch andere Großsponsoren weisen eine Nähe zur AKP auf. Vor zwei Jahren weihte Erdoğan persönlich das nach dem aktuellen Nationaltrainer benannte neue Fatih-Terim-Stadion ein.

Gebaut wurde die Arena von der Kalyon-Gruppe, die an der Planung zum Umbau des Gezi-Parks beteiligt war und in den Bau des dritten Flughafens in Istanbul involviert ist, ein Prestigeprojekt der AKP-Regierung. Sponsor ist auch das Bauunternehmen Makro İnşaat, das mit der Werbung "Bir Ev, Bir Aile" - "ein Haus, eine Familie" - quasi das Programm der AKP in sich trägt.

Die Bande zwischen der politischen Macht und dem Klub sind sogar verwandtschaftlicher Natur: Başakşehir-Präsident Güksel Gümüşdağ, ein Unternehmer und ehemaliger Funktionär im nationalen Fußballverband, ist mit einer Nichte von Erdoğans Frau verheiratet. Gümüşdağ ist aktuell Treiber hinter den Ausgliederungsbemühungen der Süperlig-Klubs, die sich nach deutschem Vorbild organisieren wollen.

Trotz der vielen Skandale im Fußball und der angespannten Lage im Land wurde jüngst ein bemerkenswerter TV-Deal geschlossen: Von der kommenden Runde an kassieren die Vereine fünf Jahre lang 557 Millionen Euro pro Saison statt bisher 321 Millionen. Den Zuschlag bekam erneut Digitürk, das dem katarischen Unternehmen beIN Sports gehört.

Aufgrund seiner potenten Sponsoren verfügt Başakşehir zwar über eine perfekte Infrastruktur, Fans hat der Klub allerdings kaum: Im Schnitt kommen nur rund 2000 Leute zu den Heimspielen. Der als Plastikklub wahrgenommene Tabellenführer ist erst 1990 als Betriebssportgruppe der Istanbuler Stadtverwaltung mit dem Namen Istanbul BB gegründet worden. Vor zweieinhalb Jahren wurde die Fußballabteilung in ein Unternehmen verwandelt, das in Başakşehir, einem Stadtteil auf der europäischen Seite der Metropole, eine neue Heimat fand.

Doch der Erfolg beruht auch auf einer für türkische Verhältnisse außergewöhnlichen Vereinsführung. Kontinuität ist in der Regel ein Fremdwort in der Süperlig, in der vergangenen Saison gab es 23 Trainerwechsel, in der aktuellen Runde schon acht. Abdullah Avci aber ist mit zweieinhalb Jahren Amtszeit bei Başakşehir eine Ausnahme im hysterischen Betrieb. Der 51-Jährige führte den Klub in seiner ersten Amtszeit (2006 - 2011) in die erste Liga und ins Pokalendspiel 2011.

Wegen seines Rufs als Entwickler wurde Avci 2011 als Nachfolger von Guus Hiddink zum türkischen Nationaltrainer berufen, aber noch während der schwachen WM-Qualifikationsrunde 2013 entlassen. Co-Trainer Avcis damals bei der "Milli Takim" war Tayfun Korkut, der aktuell den 1. FC Kaiserslautern trainiert. Korkut beschreibt den Başakşehir-Coach als "offen und absoluten Teamplayer". Korkut sagt: "Abdullah Avci ist kein lauter Trainer, er strahlt durch seine Art Ruhe aus und macht Spieler besser."

Türkische Klub-Präsidenten setzten aus Prestigegründen meist auf große Namen. Zusammen mit dem jungen Sportdirektor Mustafa Erögüt aber kann Avci bei Başakşehir selbständig Transferentscheidungen treffen, in der Türkei ist auch das ungewöhnlich. In der Regel gibt es keine Sportdirektoren, die Präsidien regieren oft nach eigenem Gutdünken. Avci dagegen holt nur Profis, die in sein System passen.

Für die fünf Zugänge des vergangenen Sommers gab der Klub nur 1,2 Millionen Euro aus, davon 700 000 für den 18 Jahre alten Cengiz Ünder von Zweitligist Altinordu; der Flügelflitzer wurde jüngst ins Nationalteam berufen. In der gewachsenen Kaderstruktur sind Nationaltorwart Volkan Babacan, 28, und Altstar Emre Belözoğlu, 36, die bekanntesten Namen. Nach jeweils Platz vier in den beiden vergangenen Spielzeiten hat sich der Klub nun zum Titelkandidaten entwickelt. Der ehemalige deutsche Nationalspieler und Beşiktaş-Verteidiger Andreas Beck urteilte nach dem 1:1 vor zwei Wochen: "Başakşehir ist zu Recht vorne dabei."

© SZ vom 15.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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