Fußball-EM:Gahsi vergibt Albaniens Traum

Lesezeit: 4 min

Shkelzen Gashi scheitert an Yann Sommer. (Foto: Denis Charlet/AFP)
  • Die Schweiz schlägt Albanien im zweiten Spiel der Gruppe A 1:0.
  • Den frühen Treffer erzielt der Hoffenheimer Fabian Schär, Albanien ist aber der 37. Minute zu zehnt.
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Von Thomas Hummel, Lens

Als Shkelzen Gashi nach 87 Minuten an den Ball kam, stand ein ganzes Land auf. Der Stürmer von den Colorado Rapids stoppte die Kugel, um ihn herum viel grünes Gras, weil die Schweizer Abseitsfalle nicht griff. Ein Schritt, noch ein Schritt, ein Schuss. Doch Torwart Yann Sommer lenkte den Ball famos über die Latte. Die Albaner im Stade Bollaert-Delelis griffen sich an den Kopf, einige Spieler sanken auf die Knie.

Es war die Chance für Albanien, an diesem lang ersehnten Tag in Lens nicht als Verlierer den Abend zu erleben. Doch auch Gashi war nicht der Torjäger, den eigentlich beide Mannschaften nötig gehabt hätten. Am Ende eines emotionalen, leidenschaftlichen Fußballspiels, das manchmal an einen Straßenkick unter Nachbarjungs erinnerte, gewann der Favorit aus der Schweiz mit 1:0. "Das war total unnötig", kommentierte der albanische Abwehrspieler Mergim Mavraj vom 1. FC Köln nicht unzutreffend, "die Art und Weise ist nur schwer nachzuvollziehen". Und Albaniens Trainer Gianni De Biasi sagte: "Wir haben wirklich den mentalen Druck zu spüren bekommen."

Die beiden Nationen verbindet eine besondere Geschichte

Schweiz gegen Albanien - das war ja das erste Derby der EM-Geschichte. Eigentlich gar kein Ländervergleich, sondern eine interne Veranstaltung. In der Schweiz ging die Formulierung um, es handle sich bei diesem Auftaktspiel in der Gruppe A um die Partie Schweiz 1 gegen Schweiz 2. Was in Albanien nicht gut ankam, dort sprachen sie bald von Albanien 1 gegen Albanien 2.

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Die beiden Nationen verbindet eine besondere Geschichte, die sich an diesem Samstag im nordfranzösischen Lens zuspitzte. Im Schweizer Kader stehen sechs Spieler mit albanischen Eltern. Gleich zehn Spieler im albanischen Kader sind in der Schweiz aufgewachsen. Diese Konstellation lud ein normales EM-Gruppenspiel mit erheblicher Energie auf.

Vor allem für die Leute vom Balkan war dies das Spiel ihres Lebens. Ihre Jungs sollten klarstellen, dass Albanien mehr zu bieten hat als Krieg und Armut. Dafür hätte ausgereicht, dass sich ihre Fußballer zum ersten Mal überhaupt für ein großes Turnier qualifiziert hatten. Nun die zusätzliche Brisanz gegen das Land, in das bis zu 300 000 ihrer Landsleute geflohen sind.

Als die albanische Mannschaft auf den Rasen zum Aufwärmen lief, musste sie den Eindruck gewinnen, dass nicht viel weniger ihrer Landsleute im Stadion saßen. Der bei weitem größere Teil der 35 000 Zuschauer im Stadion unterstützte inbrünstig den EM-Neuling. Die Albanischstämmigen im Schweizer Trikot hörten die lauten Pfiffe, sie sind nicht mehr gut gelitten in der Heimat ihrer Eltern.

Erstes Bruder-Duell der EM-Geschichte

Nach fünf Minuten schritt der Schweizer Xherdan Shaqiri vor den albanischen Fanblock zur Ausführung eines Eckballs und musste sich von der Tribüne einiges anhören. Das beeindruckte ihn allerdings wenig, seine Flanke flog haargenau auf den Kopf von Fabian Schär, der Hoffenheimer Verteidiger köpfte ungestört zum 1:0 ein. Sein Gegenspieler Mergim Mavraj war weggerutscht, Torwart Etrit Berisha hatte sich für einen Irrflug durch die laue Luft entschieden. Es war der schnelle Schock für den Außenseiter, auch das Publikum kühlte merklich ab. Plötzlich sah man, dass gar nicht so wenige der in rot gekleideten Fans sich für die Schweizer freuten.

Das leicht erzielte Tor folgte auch aus der überraschenden Erkenntnis, dass sich die Schweizer vor diesem heiklen Duell einen mutigen Plan gezimmert hatten. Sie attackierten die Albaner früh, gingen energisch in die Zweikämpfe und machten damit genau das, was eigentlich vom Gegner erwartet worden war. Selbst die Brüder Granit und Taulant Xhaka kamen sich häufiger ruppig näher, obwohl sie das eigentlich gar nicht vorhatten. Sieger war stets der bisherige Gladbacher Granit.

In dem ersten Bruder-Duell der EM-Geschichte bildete sich die verwobene Geschichte der beiden Länder ab. Anfang der neunziger Jahre waren etliche Familien vor dem Krieg im Kosovo geflohen, viele in die Schweiz. Ihre Söhne wuchsen in Graubünden, in Basel, im Tessin auf, sie gingen in Fußballvereine, einige wurden besonders gut. Die besten von ihnen spielten bald zusammen in den Auswahlteams der Schweiz, einige wurden U17-Weltmeister. Nun standen sich viele als Gegner gegenüber.

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Seferovic wird auch im Schweizer Trikot kein Vollstrecker mehr

Irgendwann musste sich jeder einzelne für ein Land entscheiden. Aus der Familie Xhaka wählte der jüngere Granit die Schweiz, der ältere Taulant Albanien. Der Freiburger Amir Abrashi hatte erklärt: "Ich habe zwei Zuhause. Das Blut ist albanisch, die Heimat die Schweiz." Er wählte das Blut.

Abrashi und seine Kollegen brauchten eine Weile, um sich in das Spiel hinein zu wühlen. Taulant Xhaka gab als erster Albaner der EM-Geschichte einen Torschuss ab. Stürmer Armando Sadiku vergab als erster Albaner der EM-Geschichte eine riesengroße Möglichkeit, nach einem perfekten Pass von Abwehrspieler Elseid Hysaj scheiterte er freistehend an Torwart Yann Sommer (31.).

Eine Seite des Stade Bollaert-Delelis erbebte unter den frischen Hoffnungen der Albaner. Allerdings wieder nur fünf Minuten, dann folgte der nächste Schock. Kapitän und Identifikationsfigur Lorik Cana rutschte bei einem Zweikampf aus, verlor die Nerven und klärte, da sein Versuch mit dem Kopf erfolglos geblieben war, fast auf dem Rücken liegend mit der Hand. Da er schon Gelb gesehen hatte, zeigte ihm Schiedsrichter Carlos Velasco Carballo die verdiente gelb-rote Karte (36.). Starr vor Schreck war es ein Wunder, dass die Albaner kein zweites Gegentor mehr hinnahmen. Der Schweizer Blerim Dzemaili drosch den Freistoß an den Pfosten. Er und Haris Seferovic vergaben weitere Chancen.

Die Frankfurter mussten feststellen, dass ihr Stürmer Seferovic auch im Schweizer Trikot zu keinem Vollstrecker mehr wird. Er scheiterte noch dreimal freistehend am albanischen Torwart Berisha. Längst hätte die Partie entschieden sein müssen. "Ich hoffe, Haris hat sich die Tore aufgehoben", kommentierte Granit Xhaka. Umso mehr es dem Ende zuging, umso wilder wurde es. Der eingewechselte Albaner Ergys Kace zog einmal dem Schweizer Valon Behrami fast die Hose aus, mähte ihn dann wild von hinten um und hatte mit Gelb viel Glück. Dennoch blieb dem Außenseiter bis zum Ende die Hoffnung. Auf diese eine Möglichkeit. Die dann auch kam. Doch Shkelzen Gashi schoss nicht genau genug.

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