Fußball-EM:Wie groß ist Frankreich wirklich?

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Wann startet er endlich durch bei dieser EM? Paul Pogba. (Foto: REUTERS)

Verliert Frankreich das Viertelfinale gegen Island, wäre das die größtmögliche Schande für den EM-Gastgeber. Trainer Deschamps warnt - doch niemand will ihn hören.

Von Thomas Hummel, Paris

Didier Deschamps hat sich zuletzt rar gemacht. Seine öffentlichen Auftritte beschränkten sich auf Pflichtermine der Uefa, sonst ließ er andere sprechen. Die vielen Angriffe auf seine Person, die Probleme rund um seine Mannschaft haben dem 47-Jährigen zugesetzt. Dazu der Druck, im Heimatland den Titel holen zu müssen. Frankreich fragt sich nur, was ihn mehr bedrückt.

Nun geht es gegen Island. Im Viertelfinale von Saint-Denis steht die ganze Mission auf dem Spiel. Eine Niederlage gegen das kleine Inselvolk? Deschamps und die Franzosen können sich die Reaktionen ausmalen. Die Engländer haben es vorgemacht. Auf den Punkt gebracht lacht sich die ganze Welt kaputt, zu Hause wartet ein medialer Spießrutenlauf und die Superlative werden immer superlativer. Gegen Island zu verlieren, scheint die größtmögliche Schande zu sein.

Ob jemand die Warnungen hören will? "Wir haben viel Respekt, ich und meine Spieler, vor dem, was Island erreicht hat", erklärte Deschamps. Einen Tag vor dem Spiel muss der Trainer ans Mikrofon, das schreibt die Uefa vor, also stellte er sich im Stade de France. Deschamps führte aus: "Sie sind nicht zufällig da, wo sie sind." Sein Torwart und Kapitän Hugo Lloris unterstützte ihn. "Wenn wir rausgehen mit dem Gefühl, wir haben mehr Talent, wir sind besser, dann wird das nicht funktionieren."

Die Nation will nichts von Problemen hören

Doch da können die beiden so viel warnen, wie sie wollen. Ein Ausscheiden am Sonntag im Nationalstadion nördlich von Paris wäre eine sportliche Katastrophe. Die Nation erwartet schlichtweg den Sieg. Und will auch nichts von Problemen hören.

Dabei könnte Deschamps so viel erzählen von Schwierigkeiten. Mit der Affäre um Karim Benzema ging es los, als jemand an dessen Haus in Concarneau das Wort "Rassist" schmierte. Nach der vorangegangenen Erpressungsgeschichte konnte er Benzema und auch das mutmaßliche Opfer Mathieu Valbuena nicht nominieren. Es ging weiter mit Verletzungen von Stammspielern. Zu Beginn des Turniers echauffierten sich alle, dass die Mannschaft in der Vorrunde so holprigen Fußball spielte.

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Der Stürmer ähnelt dem jungen Brad Pitt, der Kapitän macht falsche Einwürfe: Wer sind die famosen Isländer, die gerade die EM aufmischen? Die Spieler in Kurzporträts.

Okay, sie wurden Gruppenerster. Mais pardon, die Gegner hießen Rumänien, Albanien und Schweiz. "Alle sagten, das sei eine leichte Gruppe, aber das war nicht der Fall", argumentierte Deschamps schon merklich schmallippig nach dem 0:0 gegen die Schweiz.

Es folgte das Achtelfinale gegen die Iren. 0:1 zur Pause, am Ende gerade noch 2:1 gesiegt. Da war das Aus schon greifbar. Dabei hatte der Fernsehsender beIN Sports bereits nach dem Abschlusstraining die mögliche Aufstellung veröffentlicht, die Iren wussten genau, was auf sie zukam. Dass zum Beispiel der Mittelfeldspieler Blaise Matuidi rechts hinten spielen würde. Die Umstellung provozierte wiederum die französischen Kritiker. Ach ja, hatte er nicht im zweiten Spiel gegen Albanien Paul Pogba und Antoine Griezmann herausgenommen?

Geht ja gar nicht! Und wo bleibt endlich das erste begeisternde Spiel? Lloris sprang seinem Trainer bei: "Es reicht nicht, die Grande Nation zu sein und schönen Fußball zu spielen, um zu gewinnen."

Der Trainer muss umstellen

Für das Island-Spiel muss Didier Deschamps umstellen, N'Golo Kanté und Adil Rami sind gesperrt. Vor allem die Position von Rami in der Innenverteidigung regt die Debatten an. Gerechnet wird allgemein damit, dass Samuel Umtiti sein erstes Länderspiel machen wird. Der 22-Jährige wechselt nach der EM von Lyon zum FC Barcelona. Die Alternative ist der 25-jährige Eliaquim Mangala von Manchester City, der es aber auch erst auf sieben Länderspiele bringt. Und stellt Deschamps gegen die starke Defensive der Isländer auf ein System mit vier offensiven Spielern um? Oder bleibt er bei seinem eingeübten 4-3-3-System?

Zu all dem wollte Deschamps im Stade de France nichts sagen. Gar nichts. Was sind die Qualitäten von Umtiti? Deschamps grinste und antwortete: "Soll ich auch die Qualitäten von Mangala besprechen?" Es war ein Auftritt mit starker Abwehrhaltung. Bis vom Gegner die Rede war, dann wurde Deschamps wieder ernst und sachlich. Zum Größennachteil im eigenen Strafraum gegen die hochgewachsenen Isländer sagte er: "Ich kann meine Spieler ja nicht größer machen." Und zur Spielweise: "Island besteht nicht nur aus langen Einwürfen." Beides ist richtig. Doch auch er weiß, dass ihm bei einer Pleite keine Erklärung der Welt helfen wird. Denn er wäre verantwortlich für die wohl größte Pleite in der Geschichte des französischen Fußballs.

© SZ vom 03.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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