Fußball-EM:Trauma? Welches Trauma?

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Welche Mannschaft hat den besseren Torhüter? Gianluca Buffon und Manuel Neuer (rechts) (Foto: AFP)

Grübeln die Italiener? Wer überfällt wen? Und holt Manuel Neuer einen Zettel aus dem Stutzen? Sieben Dinge, die das Viertelfinale entscheiden können.

Von Thomas Hummel, Bordeaux

Trauma I: Wie steht's nun mit dem Trauma? Achtmal traten Deutsche gegen Italiener zu einem offiziellen Match an, achtmal konnten Deutsche nicht gewinnen. Also, Herr Özil? "Wir zeigen morgen, dass es auch anders geht." Und Sie, Herr Kroos? "Warum sollte ich ein Italien-Trauma haben? Das müssen Sie mir erst einmal erklären, bevor ich das dementiere."

Die Organisation "Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme" definiert Trauma wie folgt: "Ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde."

SZ-Bewertung: Die Deutschen haben die Hosen voll. Kann gar nicht anders sein.

Trauma II: Nun mal eine Rückfrage: Haben die Italiener ein Trauma? Vor allem die Fraktion da hinten? 2:4 mit Juventus gegen den FC Bayern, 1:4 mit Italien gegen Deutschland. Acht Gegentore binnen zwei Wochen im März. Also, Signor Buffon, ein kleines Deutschland-Trauma? Hmm? Oder Sie, Herr Bonucci?

Es hat sich niemand getraut, die beiden das zu fragen. Vermutlich, weil sich jeder ausmalen kann, wie sie antworten. Traumatizzare? Ma che cazzo! Sie wollen doch 23 Träumer in diesem Turnier sein, und nicht 23 Traumatisierte. Das muss eine Verwechslung sein. Augenbrauen hoch, Mundwinkel runter.

SZ-Bewertung: Spätestens nach dem dritten Gegentor könnten die Italiener leicht ins Grübeln kommen.

Tarnung: Mit der Aufstellung ist das so eine Sache bei einem Turnier. Belässt man die siegreiche Elf, die allerdings vom Gegner in alle Einzelteile analysiert wurde? Oder setzt man auf den Überraschungsfaktor?

Die Italiener beherrschen das Spiel des Tarnen und Täuschens seit eh und je. Läuft der angeschlagene Daniele De Rossi auf? "Sein Zustand ist mäßig", sagte Trainer Antonio Conte. Hört sich schwer nach Spezial-Auftrag an. Vielleicht nimmt sich De Rossi seinen Torwart Buffon zum Vorbild. Der hatte sich einmal mit einem gefälschten Abiturzeugnis zum Jura-Studium in Parma eingeschrieben, obwohl er die Schule mit 17 Jahren wegen des Fußballs vorzeitig verlassen hatte. De Rossi wird sich demnach den Bart rasieren, sein Blutgrätschen-Warndreieck-Tatoo an der Wade übermalen und unter dem Namen Stefano Sturaro ins Stadion Bordeaux einschleichen. Was sagt der Bundestrainer dazu? "Geheimniskrämerei."

SZ-Bewertung: Italien verwirrt sich selbst.

Rhythmus: "Komm' mit mir ins Abenteuerland, auf deine eigene Reise. Komm' mit mir ins Abenteuerland, der Eintrag kostet den Verstand." Hört sich nach dem idealen Motivationslied an für eine Fußballmannschaft. Ist beim DFB allerdings nicht mehrheitsfähig.

Toni Kroos hat nun verraten, dass er der Musikgruppe Pur frönt. Allerdings unter riesigen Kopfhörern, damit niemand was mitkriegt. Jérôme Boateng bestätigte die Aussage mit einem grimmigen Nicken. Von Abenteuerland will Herr Boateng wohl nichts wissen. Daraus ist zu schließen, dass die Mannschaft ein latentes Rhythmus-Problem hat, dass sie aus dem Takt kommt, einer aus der Reihe tanzt.

Bei den Italienern herrscht dagegen Einklang. Alles tanzt nach der Pfeife von Graciano Pellè. Mit 11 Jahren war er italienischer Meister im Turniertanz und man kann sich vorstellen, wie er Giorgio Chiellini eng anliegend den Tango beibringt.

SZ-Bewertung: Weltmeister im Fußball-Tanz sind die Kolumbianer. Basta!

Chic: Es ist doch ein verdammtes Klischee, dass Italiener immer besser angezogen sind als Deutsche. Oder? Zur letzten Pressekonferenz vor dem Spiel erschien Antonio Conte im maßgeschneiderten Anzug, Gianluigi Buffon im dunkelblauen Hemd, oberste Knöpfe offen, dazu eine Brille mit dunklem Rand. Danach kam Mesut Özil im Polohemd aus der DFB-Kollektion und dazu Joachim Löw mit einem etwas zu weiten T-Shirt, auf dem stand: "Wir für Euch, Ihr für uns."

Okay, zugegeben, Klischee erfüllt.

SZ-Bewertung: Kleider machen Leute. Aber keine Halbfinalisten.

ExklusivInterview mit Joshua Kimmich
:"Lieber spiele ich rechts hinten als die fünfte Geige"

Der DFB braucht einen Rechtsverteidiger, hieß es vor der EM - also erfand Joachim Löw den Rechtsverteidiger Joshua Kimmich. Im SZ-Gespräch erzählt der Münchner, wie das ging.

Von Christof Kneer und Philipp Selldorf, Évian-les-Bains

Torhüter: Man kann sich vorstellen, wie es ist, wenn Manuel Neuer und Gianluigi Buffon durch die gleiche Tür wollen. 'Bitte, nach Dir.' - 'Ma, in nessun caso, nach Dir, naturalmente.' - 'Kommt nicht in Frage.' Und so weiter, und so weiter.

Sagte Buffon über Neuer: "Es wäre beleidigend, Neuer mit einem 38-Jährigen zu vergleichen." Sagte Neuer über Buffon: "Man sieht ihm nicht an, dass er schon dieses hohe Alter hat. Ja - so muss man es sagen" Es klang so, als würden sie gerne jeweils vom anderen eine Statue in den eigenen Garten stellen wollen.

Und was sagt die Stadt Bordeaux dazu? Will sich auf keine Seite schlagen. Die Rue Buffon liegt direkt in der Innenstadt und lockt mit dem hervorragenden Café Gourmand sogar deutsche Rekordnationalspieler zum Abendessen an. Während die Pâttiserie Manu am Bahnhof die herrlichsten selbstgemachten Kuchen und Süßwaren herstellt.

SZ-Bewertung: Beim Stand von 4:1 für Deutschland holt Manuel Neuer einen Zettel aus dem Stutzen, auf dem steht: Koan Gigi!

Wehrhaftigkeit: Hätte sich die Geschichte jemand ausgedacht, der Autor wäre belächelt worden als Übertreiber und Fantast. Italiens Eisenmann Leonardo Bonucci ist einst von einem Räuber mit der Pistole bedroht worden, woraufhin Bonucci den Angreifer mit der Faust niederschlug. Nachdem er Ehefrau und Kind im Auto eingeschlossen hatte, nahm er die Verfolgung auf, erwischte die Bösewichter aber nicht.

Solche Zwei-Fäuse-für-ein-Halleluja-Geschichten sind von der deutschen Mannschaft nicht bekannt. Das kann nur zwei Gründe haben: Ein Bandit müsste bei einem Überfall auf Joshua Kimmich damit rechnen, dass plötzlich Jérôme Boateng hinter ihm auftaucht. Oder Cathy Hummels, die ihm mit strahlendem Lächeln erklärt, wie man sich bei einem ordentlichen Überfall zu schminken hat.

SZ-Bewertung: Mit dem Erfolg einer sogenannten Überfall-Taktik ist in diesem Viertelfinale nicht zu rechnen.

Fazit: Ein traumahaftes Spiel.

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