Fußball-EM:Nur Tuchel steht "Kuba" im Weg

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Bald Chef von Wisla Krakau? Blaszczykowski im Nationaltrikot. (Foto: Yves Herman/Reuters)

Borussia Dortmund hat Jakub Blaszczykowski nach Florenz verliehen, doch Thomas Tuchel will den Polen wohl nicht zurücknehmen - trotz starker Leistungen bei der EM.

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Für einen, der so wenig redet, ist von Jakub Blaszczykowski gerade verdammt viel die Rede. Polens Fußball-Anhang fragt sich, ob das Land nicht längst im Urlaub wäre, ohne dessen zwei EM-Tore und die eine Torvorlage. Das Turnier liefert derzeit ein kleines Wunder für ihn, der sich gerne vor der Öffentlichkeit versteckt.

Kuba, der "kleine Jakub", wie er sich seit seiner Zeit in der Bundesliga, seit 2007, nennt, um den Deutschen den Konsonanten-Überschuss in seinem Nachnamen zu ersparen - "der kleine Figo", wie ihn Schmeichler nennen -, steht ab 1. Juli wieder in Diensten von Borussia Dortmund, rein formal. Für die abgelaufene Saison war er an den AC Florenz ausgeliehen, aber die Fiorentina wollte vor der EM die Kaufoption nicht ziehen. Kuba hatte sich schon in der Hinrunde verletzt und war dann beim portugiesischen Trainer Paulo Sousa, der als Spieler mit Dortmund 1997 die Champions League gewann, aus der Verlosung gefallen. Es ist eine der vielen Ironien in Kubas Geschichte, dass er mit der polnischen Nationalmannschaft im Viertelfinale nun gegen Portugal spielt, wo Sousa als nächster Nationaltrainer gehandelt wird.

In den EM-Kader, der ohne seine Sololäufe und Tore wohl kaum noch in Frankreich wäre, ist Kuba wegen der Verletzungsprobleme auch nur auf den letzten Drücker gerutscht. Irgendwie hatte Nationaltrainer Adam Nawalka ihn offenbar schon abgeschrieben, obwohl Trainer so etwas nicht zugeben, wenn sich dann herausstellt, dass sie falsch lagen. Als Mannschaftskapitän hat ihn sein Intimfeind Robert Lewandowski abgelöst und beiseite gedrückt. "Dass wir uns privat nicht sehen und uns nicht viel zu sagen haben, ist ja bekannt", sagte Kuba einmal über seinen Kollegen, dem er bei der EM bislang die Schau stiehlt. Lewandowski arbeitet viel auf dem Platz, doch er trifft das Tor nicht. Kuba arbeitet noch mehr - und trifft. Aber deshalb nun mit großen Worten für sich selbst werben, wie es andere Profis tun würden?

Heimlicher Publikumsliebling des BVB

Irgendwie scheint das Windmachen bei Kuba selbst dann nicht so recht zu funktionieren, wenn er, wie aktuell, eigentlich überall ein heißer Kandidat sein müsste - und einen neuen Klub braucht. Aus Dortmund hört man, dass der BVB-Anhang sich den heimlichen Publikumsliebling zurückwünscht. Auch Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke und Sportchef Michael Zorc möchten Blaszczykowski, dessen Vertrag in Dortmund bis 2018 läuft, am liebsten zurückholen. Er würde in die romantische Serie von Rückholaktionen passen: Nuri Sahin, Shinji Kagawa, demnächst vielleicht Mario Götze. Nebenbei: In 197 Bundesliga-Spielen war Kuba an 70 Toren als Schütze oder Vorlagengeber beteiligt. Und doch wird Blaszczykowski wohl nicht nach Dortmund zurückwechseln.

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Denn ob Thomas Tuchel die Talente des Polen zu schätzen weiß, darf bezweifelt werden. Im vergangenen Sommer hatte der BVB-Trainer bereits keine Verwendung für Kuba, ein 30-Jähriger passt nicht zum Gestaltungs- und Entdecker-Geist von Tuchel. Während Watzke und Zorc ihn als Stabilitätsfaktor in einem in diesem Sommer nicht ganz freiwillig durchgewürfelten BVB-Kader sehen, dürfte Kuba für einen Fortschrittsgläubigen wie Tuchel nicht die Verheißungskraft von Talenten wie den Mittelfeldspielern Emre Mor oder Ousmane Dembele haben. Beiden werden Wunderdinge nachgesagt, und Tuchel brennt darauf, mit jungen Spielern den Fußball neu zu erfinden.

Andere in Dortmund ahnen, dass es in Zeiten des Wandels auch etwas Solides braucht und nicht nur Optionsscheine auf Luftschlösser. Gerade nach dem Verlust der Schlüsselspieler Ilkay Gündogan, Mats Hummels und wohl auch Henrikh Mkhitaryan würden Watzke und Zorc offenbar gerne ein bisschen Identität stiften, auch mit Spielern wie Kuba oder Götze, die im emotionalen Dortmunder Umfeld mehr Heimatgefühl verströmen als eine Europaauswahl an Talenten, deren Bartwuchs gerade einsetzt.

Zumal der erwartete Weggang Mkhitaryans zu ManUnited auch den Bedarf erhöht, einen Offensivspieler mit gestalterischen Fähigkeiten zu verpflichten, wie sie Kuba gerade zeigt. Es ist nicht das erste Mal, dass eine EM ein einschneidendes Ereignis in seiner Karriere darstellt. Vor vier Jahren, kurz vor der vorigen Europameisterschaft, die in der Ukraine und in Polen stattfand, hat Blaszczykowski sein Kindheitstrauma öffentlich gemacht. Kuba war elf Jahre alt, als er Zeuge wurde, wie sein Vater seine Mutter tötete, sie mit einem Küchenmesser erstach. Kubas Vater ging 15 Jahre ins Gefängnis und er starb, ohne dass sein Sohn je wieder ein Wort mit ihm gesprochen hatte, kurz nach seiner Haftentlassung - kurz vor Beginn des EM-Turniers 2012. Kuba wurde nach der Katastrophe gemeinsam mit Bruder Dawid von der Großmutter aufgezogen - und fußballerisch von seinem Onkel betreut. Jerzy Brzeczek war selbst Nationalspieler gewesen, er führte Polens Olympiaauswahl als Kapitän zum Gewinn der Bronze-Medaille bei Olympia 1992.

"Ich widme jedes meiner Tore meiner Mutter", hat Kuba gesagt, als er seine Geschichte erzählt hat. Und wer ihn bei der EM beobachtet, der sieht, wie er nach Treffern zum Himmel schaut, sich mit fahriger Geste bekreuzigt und einen Moment ganz woanders zu sein scheint. Alles, was er im Leben bisher erreicht habe, sagt Kuba auch, verdanke er seiner Oma. "Ohne sie wäre ich abgedriftet und vielleicht auf die schiefe Bahn gekommen." Einer, dem das Schicksal so früh einen so wüsten Schlag versetzt, der bleibt vielleicht gerne etwas unterm Radar, in der Deckung.

Sein Dribbler-Talent hat ihn in die Öffentlichkeit gespült. Doch "eigentlich", sagt sein enger Freund und langjähriger Dortmunder Weggefährte Lukasz Piszczek lächelnd, "spricht er heute sogar noch etwas weniger als früher". Dass sie ihn in Polens Nationalteam, angeblich auf Drängen von Lewandowski, als Kapitän abgesetzt haben, dass er von Dortmund nach Florenz abgeschoben wurde - das hat ihn nicht gerade gesprächiger gemacht.

Kuba hat sein Haus in Dortmund behalten, er will offenbar dort nicht loslassen. Vielleicht hat es auch mit seiner Lebensgeschichte zu tun, dass er an Menschen und Orten länger festhält als andere. Sein früherer Trainer Jürgen Klopp hat Kuba zu den besten Spielern der Mannschaft gezählt. Er nannte ihn unter all jenen, die er im Fußball kennengelernt habe, "einen der fleißigsten und angenehmsten Menschen".

© SZ vom 30.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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