VfB Stuttgart:Drei wichtige Fragen zum Foul an Gentner

Lesezeit: 3 min

Christian Gentner liegt benommen und schwer verletzt am Boden. (Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Das schwere Foul an Christian Gentner überschattet den Stuttgarter Sieg gegen Wolfsburg.
  • Danach stellen sich auch Fragen, ob regeltechnisch alles korrekt abgelaufen ist.

Von Christof Kneer, Stuttgart

Am Morgen danach saß der neue Sportvorstand schon wieder im Auto, Michael Reschke war auf dem Weg nach Hoffenheim. Fußballspiele zu sehen, ist für Reschke so etwas Ähnliches wie atmen, okay, ein bisschen wichtiger vielleicht. Es hätte ein cooler Tag für Reschke werden können, einfach mal ohne Druck ein Spiel sehen, niemanden verpflichten und nichts entscheiden müssen, und nebenbei hätte man sich an der Erkenntnis wärmen können, dass die eigene Mannschaft, der VfB Stuttgart, am Tag zuvor sehr verdient 1:0 gegen Wolfsburg gewonnen hatte. Und sicher wäre es auch launefördernd gewesen, zwischendurch mal an Santiago Ascacibar zu denken, den 20 Jahre alten Argentinier, der am Vortag auf fast schon unheimlich souveräne Weise im defensiven Mittelfeld des VfB debütiert hatte. Ascacibar ist ein Spieler, der nicht in Stuttgart wäre, wenn Reschke nicht in Stuttgart wäre.

Aber Reschke war am Morgen danach ebenso wenig zum Feiern zumute wie am Abend zuvor dem Trainer Hannes Wolf oder dem Spieler Andreas Beck. Klar, es sei schön, drei Punkte geholt zu haben, meinte Beck, "aber in der Kabine haben sich alle Gespräche nur um Gente gedreht".

VfB Stuttgart
:"Dramatische Minuten" in Stuttgart

Der VfB überzeugt beim 1:0-Sieg, doch die furchtbare Verletzung von Kapitän Gentner überschattet die Partie: Er verliert nach einem Zusammenprall das Bewusstsein und zieht sich mehrere Brüche zu.

Von Tobias Schächter

Schlimmer als die Diagnose waren nur die Bilder

Brüche des unteren und seitlichen Augenhöhlenbodens, Bruch des Nasenbeins und Bruch des Oberkiefers: Schlimmer als die Diagnose waren nur die Bilder, die der Diagnose vorausgingen. Blutüberströmt und regungslos lag Christian Gentner kurz vor Schluss auf dem Rasen, nachdem ihm im Luftraum das Knie des VfL-Torwarts Koen Casteels entgegengekommen war. "Das waren dramatische Momente, wir hatten Riesenangst, dass was passiert ist, was bleibende Schäden hinterlassen könnte", berichtete später Trainer Hannes Wolf, der nach der Kollision auf den Rasen geeilt war und miterleben musste, wie Klubarzt Ray Best dem offenbar ohnmächtigen Kapitän die Zunge aus dem Hals holte.

Es fühlte sich an, als würde die Zeit still stehen im Stadion, die Zuschauer wussten nichts und sahen nicht viel. Blutete Gentner? Bewegte er sich? War er ansprechbar? Und war das etwa eine Halskrause, die sie ihm da anlegten? Viele der Zuschauer überbrückten die bange Zeit des Nichtswissens und Nichtvielsehens, indem sie "Christian Gentner" skandierten, andere, indem sie den Torwart Casteels niederpfiffen. Dann betrat der Notarzt den Rasen, alarmiert vom Klubdoktor Best, und nach mehr als fünfminütiger Spiel-Unterbrechung wurde Gentner auf der Trage abtransportiert.

Die wichtigste Nachricht sei, dass "Christian wieder vollständig gesund wird", sagte Trainer Wolf später, es war die Antwort auf die große und entscheidende Frage: Wie geht es Christian Gentner? Es gab aber noch zwei weitere Fragen, die am Wochenende rauf und runter diskutiert wurden - ohne eindeutige Antwort übrigens.

Die eine Frage lautete: Hätte der Videoschiedsrichter sich nicht melden und ein heftiges Foul anzeigen müssen, worauf der bereits verwarnte Casteels zwingend vom Platz geflogen wäre? Und damit verbunden die zweite Frage: Durfte Casteels das?

In Stuttgart haben sie einstweilen der Versuchung widerstanden, mit dem Finger auf Casteels oder Schiedsrichter Winkmann zu zeigen. Man müsse "sehr aufpassen, dass wir jetzt nicht auch schon die Video-Schiedsrichter jede Woche hinterfragen", sagt Sportvorstand Reschke, das würde "der Sache nicht gerecht". Während der nicht zuständige TV-Experte Markus Merk wegen Rücksichtslosigkeit im Dienst auf eine persönliche Strafe für Casteels plädierte, verzichtete der zuständige Schiedsrichter Winkmann auf eine Karte, wofür er sich später von den höchsten Stellen - gerade noch so - bestätigt fühlen durfte.

"Regeltechnisch" sei diese Entscheidung "grenzwertig, aber vertretbar", meinte Hellmuth Krug, der beim DFB den hervorragenden Titel "Projektleiter Video" führt. Winkmann habe die Szene "als unglücklichen Zusammenprall bewertet, da der Torhüter ausschließlich den Ball im Blick hat, klar wegfaustet und Christian Gentner nicht kommen sieht". Der Videoassistent Deniz Aytekin habe diese Sichtweise auf Nachfrage bestätigt - was übrigens auch für den zuständigen Torwart gilt.

"Ein brutaler Verlust"

Koen Casteels, 25, ein wirklich sehr, sehr großer Belgier, zeigte sich später angemessen betroffen, war sich aber keiner Schuld bewusst. "Wenn das ein Foul ist, muss man die ganze Jugendausbildung umstellen, ab fünf, sechs Jahren", sagte er. Von Kindesbeinen an werde einem Torwart beigebracht, "dass du das linke Knie mitnimmst, wenn du mit rechts hochgehst, 99 Prozent der Torhüter machen das so". Auch diese Theorie haben die Stuttgarter gnädig gelten lassen, der Torwartkollege Ron-Robert Zieler ebenso wie Trainer Wolf ("war bestimmt keine Absicht"). Dennoch erlaubte sich Reschke mit einem Tag Abstand die Anmerkung, dass man "die Spielweise mit dem Knie voraus bei Torhütern mal grundsätzlich beobachten muss, auch wenn das jahrelang so praktiziert wurde". Womöglich müsse "ein Umdenken stattfinden" - sonst könnten sich im ultraschnellen, ultraathletischen und ultraengen Spiel der Neuzeit noch häufiger solche Hochgeschwindigkeitsunfälle ereignen.

Am Dienstag spielen die Stuttgarter in Gladbach, bis dahin werden sie versuchen, die Freude über den zweiten Heimsieg und das Mitgefühl mit dem Kapitän ins passende Verhältnis zu bringen. "Ein brutaler Verlust" sei Gentners Ausfall, sagt Reschke, der Kapitän sei "ein Charaktertyp wie die Benders". Wann Gentner zurückkommt, kann und will keiner sagen beim VfB, "das ist jetzt auch nicht wichtig", meint Reschke, "er soll in aller Ruhe gesund werden".

Auch Chadrac Akolo, der Siegtorschütze gegen Wolfsburg, wird in Gladbach wohl ausfallen. Aber über seine Zerrung mochte sich an diesem Tag niemand beklagen.

© SZ vom 18.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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