Fußball-Bundesliga:Zum Dank eine Möhre extra

Die Bundesliga ist wieder die beste Fußballliga der Welt - zehn stichhaltige Belege für eine steile These anlässlich des Spitzenspiels FSV Mainz gegen Borussia Dortmund.

Boris Herrmann, Christof Kneer, Philipp Selldorf

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SV Mainz 05 - 1. FC Koeln

Quelle: dapd

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Es ist nun an der Zeit, endlich einmal einem Mann zu danken, der in Fußball-Deutschland bislang mit zwei - allerdings spektakulären - Qualitäten bekannt geworden ist: mit seiner beachtlichen Gesichtsbräune und dem nicht weniger beachtlichen Sakko seines Assistenten Ulrich Stielike. Das geradezu historische Verdienst des einstigen DFB-Teamchefs Erich Ribbeck (Oktober 1998 bis Juni 2000) besteht aber darin, dass er den deutschen Fußball derart demonstrativ an die Wand gefahren hat, dass auch der Letzte die Notwendigkeit von Reformen begriff - bis auf Lothar Matthäus vielleicht, der nicht einsehen wollte, dass sein Liberoposten abgeschafft werden sollte, wo er doch gerade erst 39 war.

Ein Jahrzehnt später darf Ribbeck nun vom Golfplatz auf Teneriffa aus zufrieden betrachten, wohin sein innovativer Brachialkurs den deutschen Fußball geführt hat: an die Spitze. Aus Anlass der aktuellen Saison hat die SZ-Sportredaktion sogar beschlossen, dass es sich bei der lange belächelten Bundesliga inzwischen um die beste Liga der Welt handelt. Und ausnahmsweise kann die SZ-Sportredaktion ihre Behauptungen auch noch beweisen.

Eintracht Frankfurt v FC Schalke 04 - Bundesliga

Quelle: Bongarts/Getty Images

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FÜNF-JAHRES-WERTUNG

Jahrelang hätte in Deutschland niemand zu denken geschweige denn zu sagen gewagt, was dieser Tage die leitenden Funktionäre des Fußballgroßunternehmens FC Schalke 04 postulieren: "Die Bundesliga ist die beste Liga der Welt" - in dieser mutigen Ansicht sind sich Manager, Vorstandssprecher und Cheftrainer des Gelsenkirchener Champions-League-Teilnehmers absolut einig. Dass diese Posten in Schalke allesamt durch Felix Magath besetzt sind, erleichtert die Meinungsbildung, entwertet sie aber nicht. Magath könnte seine These auch vor Gericht beweisen: mittels der Fünf-Jahres-Wertung der Europäischen Fußball-Union (Uefa). In dieser objektiven Rangliste hat Deutschland Italien auf Platz drei abgelöst und steht hinter England und Spanien. Die Folgen sind erheblich: Ab der Saison 2011/2012 spielt die Bundesliga nicht mehr zwei, sondern drei garantierte Champions-League-Startplätze aus, ein vierter Klub darf in die Qualifikation.

Skeptiker mögen jetzt einwenden, dass Platz drei in Europa nicht Platz eins in der Welt ist. Doch erstens gibt es etliche weitere Kriterien, die Magaths Ansicht stützen, zweitens gibt ihm der Trend eindeutig recht. Nach aktuellem Stand wird die Bundesliga die Primera Division ab der kommenden Saison in der Uefa-Wertung überholen und auch der Premier League näherrücken. Dass jetzt der Kicker-Kolumnist und ehemalige Schalker Marc Wilmots (besser bekannt als "Willi, das Kampfschwein") festgestellt hat, Schalkes Gruppengegner in der Champions League - immerhin Olympique Lyon und Benfica Lissabon - besäßen weniger Niveau als die Gegner im deutschen Punktspielbetrieb, ergibt keinen Widerspruch. Es ist vielmehr ein Kompliment an die neue Wettbewerbskultur der Bundesliga.

Holger Badstuber, Thomas Mueller, Toni Kroos, Danijel Pranijc

Quelle: AP

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DIE PROFESSORENSÖHNE

Jürgen Götze hält eine Professur für Datentechnik an der TU Dortmund. Er ist also erstens ein Geistesmensch und zweitens der Vater des 18-jährigen Mario Götze, des nach Meinung von DFB-Sportdirektors Matthias Sammer "größten Talents seit langem". Der Sohn des Geistesmenschen ist das Gesicht eines Trends, der die Liga verändert hat: Die Kader der Teams sind voll von echten oder gefühlten Professorensöhnen, von denen keiner mehr Stinkefinger hochhält oder Schlägereien in Nachtklubs anzettelt. Die gelehrige Internatsgeneration hat sich in der Liga so breitgemacht wie in der Nationalelf, was das Niveau deutlich gehoben hat.

Inzwischen fluten die Absolventen der Klub-Akademien und DFB-Stützpunkte das Land, sie heißen Götze, Müller, Badstuber, Schürrle, Holtby, Bender oder Reinartz, sind fußballerisch exzellent ausgebildet, mental stabil und von Kindesbeinen an mit dem Leistungsgedanken vertraut. "Diese Jungs sind absolut reif", sagt Hrubesch, der mit der U19 und der U21 im vergangenen Jahr den EM-Titel gewann. "Diese Titel waren auch für Bundesliga wichtig", sagt er, "mit so einem Titel kriegen die Jungs im Verein einen ganz anderen Stellenwert. Die Jungs haben bewiesen, dass sie eine Sache konsequent durchziehen können, und die Ligatrainer haben keine Scheu mehr, sie einzusetzen." Als Trendsetter sieht Hrubesch auch den FC Bayern, "den man da ruhig mal loben darf". Die Bayern haben mit lauter jungen Spielern fast die Champions League gewonnen, "das hatte für die Liga Vorbildcharakter".

Uli Hoeness

Quelle: AP

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GELD

Politiker reden neuerdings vom zweiten deutschen Wirtschaftswunder. Die Bundesliga hat es vorweggenommen. Als im vorigen Winter das Land noch die große Wirtschaftsdepression befürchtete, gab der Profifußball bekannt, dass er im fünften Jahr hintereinander Rekordzahlen erreicht habe, in der Saison 08/09 meldeten erste und zweite Liga erstmals einen Gesamtumsatz von mehr als zwei Milliarden Euro. Hohe Zuschauer- und Sponsoringeinnahmen sorgen für solide Verhältnisse.

Die Verbindlichkeiten der Ligen betragen zwar mehr als 700 Millionen Euro, doch ein Spitzenklub wie Manchester United trägt ganz allein an noch höheren Schulden. Dass Uli Hoeneß weiterhin klagt, sein FC Bayern kassiere viel weniger Fernsehgeld als Real Madrid oder Manchester United, gehört zur Standardrhetorik. Auch Hoeneß will das Solidar-Prinzip nicht antasten. Eine Eigenvermarktung des FC Bayern steht nicht zur Debatte. Besser gesagt: nicht mehr.

DFB-Pokal - FC Bayern München - Werder Bremen

Quelle: dpa

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BREITE SPITZE

Wie Erich Ribbeck, so wird auch dessen Vorgänger Berti Vogts notorisch unterschätzt. Legendär war etwa seine Gastrolle im "Tatort" ("Gebt dem Kaninchen eine Möhre extra"), am klügsten aber war der berühmte Satz, wonach die Breite an der Spitze dichter geworden sei. Der Satz wirkt, als sei er für die aktuelle Bundesliga-Saison entworfen: "Im Moment kann der Achtzehnte problemlos den Ersten schlagen", sagt Bastian Schweinsteiger.

In der Tat unterscheidet sich das Tabellenbild der Bundesliga markant von jenem in den klassischen Spitzenligen. In Spanien, England und Italien bilden die drei, vier großen Klubs traditionell eine geschlossene Gesellschaft, die es regelmäßig in die Champions League schafft, dort viele Extramöhren verdient und so in der heimischen Liga immer weiter enteilt. "Das Attraktive an der Bundesliga ist, dass sich über die Jahre kein klassischer Kronprinz hinter dem FC Bayern herauskristallisiert hat", sagt Heribert Bruchhagen, Vorstandschef von Eintracht Frankfurt. Die Liga ist gerade dabei, aus dieser Schwäche eine Stärke zu machen. Kein Klub enteilt den anderen, was dazu führt, dass sich die Klubs herausfordern, anstacheln und nach oben ziehen. "Spieler, die an 34 Spieltagen voll gefordert sind, werden auf Dauer bessere Spieler sein", sagt der Münchner Hamit Altintop. Und wenn die Bayern als geschlossene Tabellenführer-Gesellschaft mal ausfallen, ergibt sich eine völlig offene, spannende Liga, der man zum Dank mal eine Möhre extra geben sollte.

1. FSV Mainz 05 - TSG 1899 Hoffenheim

Quelle: dapd

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TRAINER MACHEN SPIELER

Was macht eigentlich Peter Neururer? Vermutlich das, was er immer macht, wenn er gerade keinen Job hat, nämlich Harley Davidson fahren oder mit Olaf Thon Golf spielen. Das Praktische ist, dass er beim Golfen bestimmt noch mehr Kollegen trifft, die er kennt, Jürgen Röber, Willi Reimann, Ewald Lienen. Wenn sie dann im Klubheim eine kleine Sportschau-Pause einlegen, begegnet ihnen auf dem Bildschirm die neue Trainer-Generation: Thomas Tuchel. Jürgen Klopp. Robin Dutt. Holger Stanislawski. Marco Kurz. Und natürlich das Gründungsmitglied im Klub der Konzepttrainer: Ralf Rangnick. "Auf dem Trainermarkt hat sich in den letzten zehn Jahren viel verändert, das hat dem Niveau der Liga sehr gut getan", sagt Rangnick und erinnert an den alten Satz: "Gute Trainer produzieren gute Spieler."

Seit die Unternehmenslogik nur noch selten der Denkungsart von knorrigen Klubpatriarchen folgt, sondern eher den Regeln eines modernen Wirtschaftsbetriebs, sind Tuchels fast überall möglich geworden - Trainer, die ihre Spieler nicht mit Gras, sondern mit Matchplänen füttern. "Inzwischen haben die Klubs gelernt, dass die besten Trainer und Ausbilder oft in den Jugend- oder Amateurmannschaften sitzen", sagt Rangnick. Er wurde vor einem Jahrzehnt noch angefeindet, weil er selbst kein Profifußballer war, heute, sagt er, habe sich "weitgehend die Erkenntnis durchgesetzt, dass der Chef einer Computerfirma nicht unbedingt ein begnadeter Hacker gewesen sein muss".

Borussia Moenchengladbach - Werder Bremen

Quelle: dapd

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FRÜHER NUR MANNDECKER

Pierre Littbarski hat einmal beklagt, dass er im Teamhotel leider nicht mit seinem Kumpel Thomas Häßler auf einem Zimmer wohnen könne. Grund: Einer von beiden muss ja an die Klinke kommen. Das war ein selbstironischer Witz, der aber einen ernsten Kern hatte. Der deutsche Fußball fand seine 1,68m und 1,66m kurzen Knuddeldribbler zwar süß und niedlich, aber wenn es ernst wurde, mussten es doch wieder der Torwart oder der Manndecker richten. Litti und Icke? Waren die Kür. Torwart und Manndecker aber waren Pflicht.

Heute? Ist die Liga voll von größeren und kleineren Knuddel- und Tempodribblern. Marin (re.), Reus (li.), Großkreutz, Götze, Holtby, Gündogan, Gebhart, Hermann, Sam... "Der Spielertyp Messi macht im modernen Fußball den Unterschied aus", sagt Sportdirektor Sammer, "und dieser Typ wird heute in unseren Nachwuchszentren bewusst gesucht und geschult." Die Bundesliga ist modern geworden, was Litti und Icke eigentlich freuen sollte. Problem: Sie haben gerade nicht so viel Grund zum Freuen. Denn: Littbarski ist Co-Trainer in Wolfsburg, Häßler Techniktrainer in Köln.

Hertha BSC - FC Bayern München

Quelle: dpa

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HAUPTSTADT

Meister in der Verbandsliga Mittelrhein (2001), Vizemeister in der Oberliga Nordrhein (2006), Sieg in einem Testspiel gegen den FC Bayern (2006) - das sind sie schon, die "Größten Erfolge" des Bonner SC. Das zeigt: Selbst wenn die Regierung damals am Rhein geblieben wäre, spielte die deutsche Hauptstadt heute in der Bundesliga keine Rolle.

London, Madrid, Lissabon und Moskau zum Beispiel sind stolze Fußballstädte, die traditionell mindestens einen Titelkandidaten stellen. Berlin hingegen könnte lediglich den DDR-Serienmeister BFC Dynamo vorweisen, lässt das aus guten Gründen aber lieber sein. Die Symptome des Berliner Fußballvirus sind offenkundig, falsch ist nur die Diagnose. Die angebliche Schwäche der Hauptstadt ist in Wahrheit die Kraft der Provinz. Dort, wo es schlaue Tatort-Kommissare, solvente Unternehmen und gute Zeitungen gibt, wachsen auch gute Stürmer heran. Die Bundesliga braucht keine Hauptstadt, weil sie aus lauter kleinen Hauptstädten besteht.

FC Schalke 04 -  Borussia Dortmund

Quelle: dpa

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TRANSFERS

Lucas Barrios (re.) kam mit der Empfehlung nach Dortmund, der beste Torjäger der Welt zu sein, aber nicht wenige Kenner haben über diesen Titel gelächelt, denn der Argentinier Barrios hatte ihn in der chilenischen Liga bei Colo Colo erworben, wo er sich nach seinem gescheiterten Engagement in Mexiko niederließ. Diese Experten hat Barrios beschämt, denn tatsächlich ist er nicht nur ein brillanter Torjäger, sondern auch ein starker Teamspieler, und jetzt sagen andere Kenner, dass sein Transfer unter den vielen klugen Transfers, die Borussia Dortmund zuletzt getätigt hat, der allerklügste, auf jeden Fall aber der mutigste war.

Michael Reschke, der weitgereiste Chefscout von Bayer Leverkusen, spricht bewundernd von der "Königsentscheidung" des Kollegen Michael Zorc. Wobei die Borussia ohnehin zu mutigen Geschäften tendiert: Für die jungen Neven Subotic und Mats Hummels haben sie jeweils fünf Millionen Euro bezahlt, manche Kenner fanden das teuer. Und aus Japan haben sie Shinji Kagawa (li.) importiert, der nahezu allen Kennern völlig unbekannt war. Bessere Einfuhrbilanzen sind jedoch ein generelles Merkmal in der Liga, vorbei die Zeiten, in denen die berüchtigten "mittelmäßigen Ausländer" das Bild bestimmten. Reschke sagt es so: "Es werden viel weniger Pflaumen aus dem Ausland verpflichtet. Das Scouting ist viel besser geworden." Früher pflegten viele Klubs ihre Kader eher wahllos durch Importe aus Osteuropa und Balkanien zu füllen. Statt eigener Späher bediente man sich der Kataloge und Videos von Berateragenturen. Das Video über Lucas Barrios und dessen Colo-Colo-Tore gab es übrigens kostenlos im Internet, man musste es nur zu deuten wissen.

Borussia Dortmund v 1899 Hoffenheim - Bundesliga

Quelle: Bongarts/Getty Images

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MULTIKULTI

Multikulti ist gescheitert, sagte Angela Merkel neulich. An diesem Satz ist das meiste uninteressant, weil er sich weniger auf eine komplexe Lebensrealität in diesem Land bezieht als auf ein komplexes Umfrage-Problem der Union. Ein Aspekt aber ist bemerkenswert. Merkel erklärte Multikulti just in jener Schaffensphase für tot, in der sie mehr Zeit in Fußballstadien und Spielerkabinen verbrachte als im Bundeskanzleramt. Auf deutschen Fußballplätzen erlebt die Multikultur gerade ihre erste große Blütephase. Die Multinationalelf hat im Sommer die Welt begeistert, und wenn der Nachwuchsbereich des DFB hält, was er verspricht, dann könnte sie in naher Zukunft noch viel multinationaler werden. Die größten Talente hören inzwischen auf Namen wie Bienvenue Basala-Mazana, Peniel Mlapa (re.) oder Samed Yesil.

Als Souleyman Sané in den achtziger Jahren als einer der ersten Afrikaner in der Liga auftauchte, wurde er mit Affengeschrei begrüßt. Er ertrug den Rassismus in der Überzeugung, Pionierarbeit zu leisten: "Die meisten Fußballfans in Deutschland kannten dunkelhäutige Menschen damals nur aus dem Fernsehen", sagte er. Diese Zeiten sind vorbei.

Arjen Robben

Quelle: APN

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JUNGE HELDEN

Die Wahl zum weltbesten Fußballer des Jahres war für die Bundesliga zuletzt oft peinlich. Der Fifa-Kommission, die für die Vorschläge zuständig ist, fiel immer nur derselbe deutsche Fußballer ein. Auf der jüngsten Liste ist nicht mal mehr Michael Ballack vertreten, und wieder sind Klubs wie der FC Barcelona, Real Madrid oder Inter Mailand die wichtigsten Lieferanten der 23 Namen zählenden Starkollektion.

Die Bundesliga muss sich trotzdem nicht mehr schämen, denn neuerdings spricht man wieder deutsch im Kandidatenkreis der besten Spieler: Inklusive Arjen Robben gehören fünf Profis des FC Bayern dazu und als Bonus Mesut Özil. Diese Fifa-Liste kann sich die Liga als amtliches Testsiegel auf ihren Briefkopf drucken lassen.

© SZ vom 30.10.2010/jbe
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