Fußball-Bundesliga:Tuchels Erben erobern die Bundesliga

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Die neue "Rettet Werder Bremen"-Besetzung. Cheftrainer Alexander Nouri (Dritter v.li.) mit seiner Crew (v.li.): Christian Vander, Florian Bruns, Markus Feldhoff, Axel Dörrfuß und Günther Stoxreiter. (Foto: Ewert/Nordphoto)

Ismaël, Nouri, Nagelsmann: Der Trend zum Nachwuchstrainer ist der konsequente nächste Schritt bei der Modernisierung des deutschen Fußballs.

Von Christof Kneer

Klaus Allofs kann nicht behaupten, dass er das Copyright auf diese Idee hatte, er war gar nicht dabei, als jemand in Bremen versehentlich dieses Modell erfand. Im Mai 1999 beschloss jemand in Bremen, den aktuellen Amateur- und vormaligen Jugendtrainer Thomas Schaaf zum Chefcoach zu machen, kurz vor Saisonschluss, in höchster Not. Werder Bremen war gerade sehr konsequent dabei, abzusteigen, wozu der Trainer Felix Magath einen beeindruckenden Beitrag geleistet hatte. Die Spieler hatten schreckliche Angst vor ihm, mit Magath wären die Bremer zähneklappernd in der zweiten Liga gelandet. Deshalb der Versuch mit Schaaf, der den Klub mit seiner damals noch verschmitzten Unaufgeregtheit rettete und, Jahre später, zum Double-Sieger machte.

Klaus Allofs ist im Herbst 1999 nach Bremen gekommen, ein paar Monate nach Schaafs Beförderung, und man darf davon ausgehen, dass er sich nun, 17 Jahre später, wieder an damals erinnert. Der langjährige Bremer ist inzwischen bei etwas gelandet, was sich VfL Wolfsburg nennt, und er muss sich gerade ähnliche Gedanken machen wie die Bremer damals: Wer soll dem Trainer Dieter Hecking nachfolgen, vor dem die Spieler zwar keine Angst hatten, der aber zuletzt eine Grimmigkeit ausstrahlte wie der Schaaf in der Endphase?

Der Trend, der inzwischen fast kein Trend mehr ist, besteht aus vielen Namen

Gut möglich, dass Allofs die Idee von damals kopiert. Valérien Ismaël sei "keine Notlösung", sagt Allofs über den Trainer aus der hauseigenen U 23, den er vorübergehend zum Profitrainer befördert hat. In Wolfsburg denken sie sonst nur über Trainer nach, die mindestens Magath heißen, auch jetzt fallen noch Namen wie Marc Wilmots oder André Villas-Boas, und vielleicht kommt irgendwer bei VW bald noch auf die Idee, den guten, alten van Gaal anzuschleppen. Dass in diesem für name dropping sehr empfänglichen Unternehmen ein Amateurtrainer wie Ismaël aber offiziell für präsentabel gehalten wird, ist möglicherweise ein Weltwunder - und auf jeden Fall ein Beweis für jenen Trend, der inzwischen schon fast kein Trend mehr ist. Sondern eigentlich: Normalität.

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Der Trend, der inzwischen fast kein Trend mehr ist, besteht aus vielen Namen, Valérien Ismaël wäre nur der neueste von ihnen. Weitere Namen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Alexander Nouri. Julian Nagelsmann. André Schubert. Pal Dardai. Martin Schmidt. Christian Streich. Sie alle dienten im Amateur- oder Jugendbereich jener Klubs, deren Profimannschaften sie heute mehr oder weniger selbstverständlich trainieren.

Selbst in der angeblich so retrohaften Kampfliga zwei versuchen es die Absteiger mit dem jugendbewegten Ansatz: Hannover 96 vertraut dem im eigenen Gewächshaus gezüchteten Daniel Stendel, der VfB Stuttgart hat sich den jungen Hannes Wolf angelacht, der in Dortmund dreimal deutscher Jugendmeister war.

"Wenn man diese Linie zurückverfolgt, dann ging die Entwicklung wohl mit Thomas Tuchel los", sagt Max Eberl, der Sportchef von Borussia Mönchengladbach. Natürlich kennt auch er die Bremer Story von 1999, aber nicht mal die kühnsten Geschichtsfälscher würden behaupten, dass Schaaf damals ins Amt kam, weil von ihm ein innovativer wind of change ausging. Dass das niemand behauptet, liegt übrigens nicht an Schaaf. Sondern daran, dass damals niemand auch nur im Entferntesten für möglich hielt, dass Jugendtrainer vielleicht die besseren Trainer sein könnten. Erst recht, wenn sie als aktive Spieler nur 50, nur 20 oder gar - Skandal! - null Erstligaspiele absolviert haben.

"Als Trainer Erfahrung zu haben, ist gut und schön, aber als Kriterium reicht das heute nicht mehr aus", sagt Max Eberl, "und wer ein erfolgreicher Fußball-Profi war, der wird heute auch nicht automatisch ein erfolgreicher Trainer."

Zu den begehrtesten Trainern Europas gehört heute ein Mann, der als Aktiver für die Stuttgarter Kickers und den SSV Ulm 1846 spielte und als Trainer erstmals mit der Mainzer U 19 Meister wurde: Aber Tuchels Weg wäre wohl kaum stilbildend geworden, wenn ihm nicht weitere Trainer gefolgt wären - unter anderem jener Trainer, dem der Gladbacher Sportchef Eberl gerade den Vertrag bis 2019 verlängert hat. "Ich glaube, dass auch unser Modell in der Branche genau beobachtet wird", sagt Eberl. André Schubert kommt ja neuerdings zur besten Sendezeit im Fernsehen, er trägt Sakko und schöne Oberhemden, und bevor er sich an die Seitenlinie stellt, spielen sie die Champions-League-Hymne.

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Wahrscheinlich kann die oft bejubelte Modernisierung des deutschen Fußballs erst dann als einigermaßen vollzogen betrachtet werden, wenn sie nicht mehr nur die Menschen betrifft, die das Spiel spielen, sondern auch jene, die es lehren. Zum umfassend ausgebildeten, präzise gecasteten Spielertalent kommt nun das umfassend ausgebildete und inzwischen auch schon präzise gecastete Trainertalent.

Und wenn es stimmt, dass junge Fußballer heute schon mit sechzehneinhalb Jahren Profis sind, weil sie täglich trainieren, in Junioren-Bundesligen spielen und Berater beschäftigen: Dann sind auch die Trainer, die diese Sechzehneinhalb-Jährigen trainieren, schon Profitrainer. "Die jungen Trainer kennen die Regeln der Branche genau", sagt Eberl, "sie kommen in keine andere Welt, wenn sie eine Männer-Mannschaft übernehmen. Das Handwerk ist dasselbe. Das einzige, was sich ändert, sind die öffentliche Wahrnehmung, der Druck und die Summen, um die es geht."

Der deutsche Fußball werde insgesamt jünger, findet Eberl, 43, "mich freut das sehr". Er ist ja selbst ein Profiteur dieser Entwicklung, Eberl ist quasi der Tuchel für Funktionäre. Er war in Mönchengladbach erst Nachwuchsdirektor, bevor er zum Gesamt-Sportchef aufgestiegen ist, und gerne verweist er auf Funktionärskollegen wie Rouven Schröder (Mainz) oder Frank Baumann (Bremen), die zuletzt einen ähnlichen Weg gegangen sind.

Und diese jungen Funktionäre suchen im Zweifel wieder junge Trainer, die dann junge Spieler . . . und so weiter. Dieser Kreislauf hat dazu geführt, dass heute sogar nicht sehr alte Trainer wie Mirko Slomka erleben müssen, wie sie überall gehandelt, aber nirgendwo genommen werden.

Zurzeit sind die Trainer aus dem eigenen Haus eine sichere Wette für ihre Sportchefs. Sie sind beim Anhang gut vermittelbar, kosten wenig Geld und bringen Zeit. Klappt es, hat der Sportchef ein Trainertalent entdeckt; klappt es nicht, lässt sich der junge geräuschlos durch einen erfahreneren Coach ersetzen. Denn auch das weiß Max Eberl und wissen alle anderen: Jugend ist kein Wert an sich. Ja, es gibt die Erfolgsgeschichten von Tuchel, Dardai, Schubert und Schmidt, aber es gibt auch die Geschichten von Skripnik, Zinnbauer, Kramny oder den heutigen Löw-Assistenten Thomas Schneider und Marcus Sorg. Letztere waren zur falschen Zeit am falschen Ort, anderen fehlte schlicht das Format, wieder andere sind so schnell verschwunden, dass man sich kaum an sie erinnert.

Kennt noch jemand Marco Pezzaiuoli? Diesen hoch gelobten jungen Mann haben sie in Hoffenheim nur acht Spiele lang Cheftrainer sein lassen, fünf Jahre ist das her. Heute arbeitet er in China bei Guanghzou Evergrande. Als Jugendkoordinator.

© SZ vom 22.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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