Fußball: Argentinien:Véron, der Hexer

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Meistertitel sind in Argentinien eine flüchtige Sache. Der jüngste Erfolg ist für Estudiantes de La Plata dennoch ein besonderer: Weil er die Wichtigkeit von Kapitän Juan Sebastián Verón dokumentiert.

Peter Burghardt, Buenos Aires

Natürlich war er wieder der Zeremonienmeister, wer sonst. Juan Sebastián Verón, genannt La Brujita, das Hexlein. Idol und Kapitän von Estudiantes de La Plata, Argentiniens Fußballmeister. Verón nahm im rotweißen Trikot die blumenvasenähnliche Trophäe entgegen nach dem 2:0-Sieg am Sonntag gegen die argentinische Version von Arsenal und dirigierte das Team bei der Siegerehrung wie ein Orchester. Er ließ sich auf Schultern tragen und sprach zu den 25.000 Zuschauern.

Auf den Schultern der Kollegen: Juan Sebastián Verón. (Foto: AP)

Zwar hatte der Volksheld im letzten Saisonspiel einen eher passiven Beitrag geleistet: Nach 59 Minuten machte er Platz für Stürmer Hernán Rodrigo López, der dann beide Tore erzielte, beider per Kopf, wobei der Schiedsrichter das erste dem Kollegen Gastón Fernández zuschrieb. Aber Verón sagte: "So viele Jahre war Estudiantes ohne Titel, und seit fünf Jahren machen wir unglaubliche Sachen, haben zwei Turniere und einen Pokal gewonnen." In fünf Jahren mit ihm.

2006 war der Mittelfeldmann mit Kahlkopf und Bart zu seinem Heimatklub zurück gekommen, nach zehn Jahren bei Boca Juniors, Sampdoria Genua, AC Parma, Lazio Rom, Manchester United, dem FC Chelsea und Inter Mailand. Danach begann die kleine Hexe, den Verein zu verzaubern. Mit ihm eroberte Estudiantes in einem legendären Entscheidungsmatch gegen Boca vor vier Jahren die Meisterschaft und 2009 die Copa Libertadores, Lateinamerikas Champions League.

Im Weltcupfinale in Dubai unterlag Veróns Ensemble dem FC Barcelona erst nach Verlängerung, das Endspiel der Copa Sudamericana ging 2008 gegen Porto Alegre verloren. In der Weltrangliste der Statistiker des IFFHS belegt La Plata hinter Barcelona, Inter und dem FC Bayern Platz vier, vor Manchester, Real Madrid, Chelsea. Jetzt steht also die nächste Auszeichnung in der Vitrine, die 15. im Leben des Juan Sebastián Verón.

Das geht in Argentinien einerseits schnell. Dort und in anderen Ländern der Region wird zweimal pro Saison prämiert, Vorrunde und Rückrunde sind eigene Turniere. Zuletzt gab es alle sechs Monate einen anderen Meister. Estudiantes folgten San Lorenzo, Lanús, River Plate, Boca Juniors, Vélez Sarsfield, Banfield und Argentinos Juniors, Estudiantes schließt nun den Kreis. Es sind meistens spannende und stets flüchtige Wettbewerbe, die Elf aus der Provinzhauptstadt im Süden von Buenos Aires ist die stabilste Belegschaft der Republik.

2010 hat der Marktführer 85 Punkte gesammelt - 15 Punkte mehr als Vélez Sarsfield aus der Metropole, das diesmal der hartnäckigste Verfolger gewesen war. Den traditionellen Granden Boca und River sind die Estudiantes in zweieinhalb Jahren um 41 beziehungsweise 61 Punkte enteilt. River muss sogar um den Klassenerhalt fürchten, dafür wird die durchschnittliche Punktzahl aus drei Jahren gerechnet.

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La Plata mehrt derweil seinen Ruhm im Schatten der Metropole. Aus der Stadt stammen unter anderem Staatschefin Cristina Fernández de Kirchner sowie Francisco Varallo, bis zu seinem Tod am 30. August der letzte Überlebende des ersten WM-Finales 1930. Beide stehen oder standen allerdings dem abstiegsgefährdeten Lokalrivalen Gimnasia nahe.

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José Sosa alias El Principe verschwand zu den Bayern und nach Neapel, Mauro Boselli zu Wigan, Marcos Angeleri nach Sunderland. Das ist so üblich in Argentinien, einem führenden Exporteur des Weltfußballs. Außerdem verletzte sich zwischendurch die halbe Mannschaft, Verón inklusive. Widerstandsfähiger und weniger schnell beleidigt als Juan Román Riquelme bei Boca ist er dennoch, auch im reifen Alter von 35.

Die Karriere in der Nationalmannschaft nähert sich nach 71 Länderspielen dem Ende. Der neue Auswahltrainer Sergio Batista mag Verón und auch Riquelme bloß noch in einer Selektion aus jenen Profis aufbieten, die in Argentinien spielen, kaum für die Copa América im kommenden Jahr am Rio de la Plata.

Aber Verón will sein Estudiantes wieder zur Copa Libertadores führen und irgendwann Präsident des Vereins oder sogar des argentinischen Verbandes werden. Schafft er das auch noch, dann wäre das nicht weniger als Hexerei.

© SZ vom 14.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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