Frauen-WM 2011: Begeisterung:Wehret der Mathematik!

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Bei den Einschaltquoten und Zuschauerzahlen überragen die deutschen Fußballerinnen zum WM-Auftakt im Vergleich beinahe die Männer-Elf. Die vorherrschende Euphorie ist erfreulich und berechtigt - daraus direkt positive Langzeiteffekte für den Frauenfußball zu errechnen, wäre jedoch zu weit gegriffen.

von Klaus Hoeltzenbein

Theo Zwanziger, 66, war früher Verwaltungsrichter in Koblenz. Kurz bevor die WM der Fußballfrauen angepfiffen wurde, sah er sich genötigt, eine Warnung auszusprechen. Er tat dies in der Sprache, die er gelernt hat, in der Sprache der Juristen. Er sagte also nicht, seine Landsleute mögen jetzt doch bitte auf dem Teppich bleiben, warnte nicht vor schwarz-rot-goldenem Ausflippen, nein, Zwanziger sagte einen Satz wie aus dem Seminar: "Wir dürfen hier nicht in eine sachwidrige Euphorie ausbrechen, sondern müssen die Dinge nüchtern betrachten!" Zwanziger stieg auf die, genau: Euphoriebremse (Originalton Männerfußball). Sie wird immer wieder gerne getreten, diese Bremse.

Interessiert keinen? Von wegen! Die deutschen Fußballfrauen hatten bei ihrem Auftaktspiel gegen Kanada zeitweise mehr als 18 Millionen TV-Zuschauer. (Foto: Getty Images)

Alles Taktik, die gute alte Schule. Denn natürlich hatte Zwanziger, der in seiner Amtszeit als DFB-Präsident onkelhaft über seine Fußballfrauen wacht, Druck ventilieren, Erwartungen dämpfen wollen. Er hat die Frauen-Nationalelf vor dem Duell mit der Männer-Nationalelf schützen wollen, vor dem direkten Vergleich in öffentlicher Wahrnehmung.

Und dann diese Zahlen: 18 Millionen Zuschauer in der Spitze, trotz Sommersonnenwetters bundesweit, 15,37 im Schnitt, 60,1 Prozent Marktanteil für die ARD beim Auftaktsieg gegen Kanada. Rekorde, Rekorde, damit sind die Frauen sogar den 2010er WM-Quoten der Löw-Jungs nicht mehr fern. Und der letzte Wetten-dass-Gottschalk aus Mallorca (12,43 im Schnitt, 43 Prozent Marktanteil) wurde locker überholt.

Momentaufnahme? Reiz des Neuen? Gewiss. In jedem Fall verbirgt sich ein interessanter Neugier-Faktor in diesen Zahlen, ein Fall für Soziologen. Denn beim Testlauf zur aktuellen Frauen-WM, der Männer-WM 2006 in Deutschland, war der Anteil der Frauen bei Fußball-Übertragungen erstmals höher gewesen als derjenige der Männer.

Als entscheidende Größe galt damals das Public Viewing, galten die millionenfach besuchten Party-Fanmeilen, auf denen jeder - sachwidrig flirtend- in Euphorie ausbrechen konnte. Am Sonntagabend war es statistisch umgekehrt: Weit mehr Männer (8,20 Millionen) als Frauen (6,39) sahen dem Frauenfußball zu.

Sachwidrig wäre es auch, aus dem Zahlenwerk auf irgendwelche Langzeiteffekte zu schließen. Man kann nun nur nicht mehr behaupten, dass sich niemand für Frauenfußball interessiert, oder dass das Turnier am Publikum vorbei organisiert wurde. Darüber staunt nicht allein Linda Bresonik, die Abwehrspielerin: "Ich dachte, wenn schon 75.000 im Stadion sind, wie können dann noch 18 Millionen vor dem Fernseher hocken!?" Ist Fußball, Linda. Wie sagte einst in einer knallhart diskutierten Sachfrage des Männerfußballs der berühmte Rummenigge: Hat alles nichts mit Mathematik zu tun.

© SZ vom 28.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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