Frankreich erreicht WM:Vereint in Ekstase

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Mamadou Sakho: Verteidiger und Doppeltorschütze (Foto: dpa)

Die WM-Qualifikation scheint für Frankreich schon verloren. Dann erzielt Verteidiger Mamadou Sakho seine ersten Länderspieltore im wichtigsten Spiel seiner Karriere, die Begeisterung im Land ist riesig. Nun könnte sich das französische Volk womöglich mit seiner Nationalmannschaft um Franck Ribéry versöhnen.

Von Saskia Aleythe

Als der Moment der Ekstase über Frankreich hereinbricht, kann sich Mamadou Sakho doch noch beherrschen. Nach seinem entscheidenden Treffer startet Sakho einen rauschhaften Lauf zur französischen Bank, wankt dabei nach allen Seiten. Seine Hände ergreifen den Kragen vom Trikot, der Mann vom FC Liverpool lugt kurz hinein - doch bevor er seine blanke Brust darbietet, schaltet sich der Verstand wieder ein: Lieber T-Shirt anlassen und eine gelbe Karte vermeiden.

Sakho ist Verteidiger, in seinem 16. Länderspiel am Dienstagabend machte er seine ersten beiden Treffer für die Nationalmannschaft. Der 23-Jährige ist im Torjubel ungeübt, seine Zurückhaltung dürfte aber auch dem Gedanken geschuldet sein: bloß keine Angriffsfläche bieten.

Schmähungen ihrer Landsleute sind die französischen Nationalspieler seit ihrem Trainingsboykott bei der WM in Südafrika 2010 gewohnt. Mit mehr Skepsis als Zuvertrauen hatte die Nation nun dem entscheidenden Playoff-Rückspiel gegen die Ukraine entgegengeblickt. Nach einem 0:2 im Hinspiel drohte ein seit 20 Jahren nicht dagewesenes Debakel: die WM zu verpassen.

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Nun ist die sportliche Katastrophe abgewendet, mit einem 3:0 (2:0) in Paris konnte sich das Team von Didier Deschamps doch noch für die WM in Brasilien qualifizieren. Für die Tageszeitung Le Monde schafften Les Bleus "etwas Unmögliches", auf dem Champs-Élysées bahnten sich beflaggte Autokorsos den Weg durch die Nacht, als hätten die Franzosen schon das erste WM-Spiel gewonnen.

"Der Lohn und das ganze Lob geht an meine Mannschaft. Die Spieler haben Großartiges vollbracht", sagte Trainer Deschamps, "das ist eine Genugtuung für die Spieler und den französischen Fußball". Der französische Verband war so aus dem Häuschen, dass er noch in der Nacht mit Deschamps bis 2016 verlängerte. Man muss die Feste feiern wie sie fallen. Vor allem im französischen Fußball.

"Ich hoffe, dass wir es geschafft haben, die Herzen vieler Franzosen zu erobern", sagte Torschütze Sakho nach der Partie und lobte ausdrücklich die Unterstützung der etwa 70.000 Zuschauer im Stadion. "Heute haben wir ein Publikum gesehen, das hinter seiner Mannschaft steht und eine Mannschaft, die alles für ihr Land gibt", sagte der Doppeltorschütze. "Ich hoffe, es ist ein Neubeginn."

Dass ein Abwehrspieler die Tore machte, stand sinnbildlich für den Auftritt der Franzosen. Die gesamte Mannschaft präsentierte sich von Beginn an angriffslustig und torhungrig. 22 Minuten vergingen bis zum ersten Treffer: Franck Ribéry versuchte sich mit einem Schuss von der Strafraumlinie, Sakhou konnte den Abpraller vom Torwart zum 1:0 verwandeln.

Dann begann die Phase der diskussionswürdigen Entscheidungen. In der 30. Minute hob der Linienrichter nach einer Flanke von Ribéry auf Karim Benzema nervös die Fahne. Der Ball war im Tor, der Treffer zählte nicht, Deschamps tobte. Vier Minuten später stand Benzema tatsächlich im Abseits, fast zwei Meter weit, doch die Fahne blieb unten. Der Ball war im Tor, der Treffer zählte, Deschamps jubelte. Ausgleichende Abseitsverwirrungen in Paris.

Dass nun wieder Beifall geklatscht wird in Frankreich, ist auch ein Verdienst von Ribéry, der am Dienstag für seine fleißigen Dienste belohnt wurde und zwei Tore vorbereiten konnte. Bereits im Hinspiel hatten ihn die Ukrainer hart attackiert, in der 47. Minute stoppte ihn Yevhen Khacheridi so unwirsch, dass zwischen München und Paris kurz der Traineratem stockte. Der Mann vom FC Bayern griff sich an den Fuß und kugelte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Rasen. Doch als die Qualifikations-Tortur überstanden war, konnte er wieder quickfidel im Mannschaftskreis auf- und abhüpfen.

Wut und Hoffnungen der Republik entladen sich regelmäßig an dem Franzosen, er trägt in der Öffentlichkeit meist Hauptschuld an dem Abschneiden des Teams. Von Europas Fußballer des Jahres erwartete sich die Grande Nation vor dem entscheidenden Spiel beinahe die Qualifikation im Alleingang. "Wir mussten sehr viel durchmachen", gestand Ribéry am Dienstag, als er gelöst vor die Mikrofone trat. Die Atmosphäre im Stadion sei phänomenal gewesen, "dieses Spiel werden wir nie vergessen."

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