Rassismus-Eklat um Fifa-Chef Blatter:"Am Ende des Spiels ist es vergessen"

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Rassistische Beleidigungen auf dem Fußballplatz? Für Joseph Blatter kein Problem, solange man sich danach die Hände reicht. Erneut macht sich der Fifa-Präsident mit umstrittenen Aussagen angreifbar. Englische Profis und Funktionäre sind entsetzt - und fordern gar den Rücktritt Blatters.

Johannes Kuhn

Wenn sich Joseph "Sepp" Blatter zu Wort meldet, wird aus dem Paten des Weltfußballs hin und wieder der König der Missverständnisse: Immer wieder sorgt der Fifa-Präsident mit kontroversen Aussagen für Wirbel, um sich dann zu wundern, weshalb die Sport- und die von ihm wenig geliebte Medienwelt laut aufschreit.

In die jüngste Kontroverse schlitterte der 75-Jährige nun durch ein Al-Dschasira-Interview. Zum Thema Rassismus auf dem Fußballplatz befragt, verstieg sich Blatter auf die Behauptung, dieser würde schlicht nicht existieren. "Während eines Spiels machst Du vielleicht eine Geste in die Richtung von jemandem, oder sagst etwas zu jemandem, der nicht genauso wie du aussieht - aber am Ende des Spiels ist es vergessen."

Auch auf die Nachfrage, ob ein Verband nicht die Pflicht habe, solche Vorkommnisse zu untersuchen, hatte der Fifa-Präsident einen einfachen Vorschlag parat: "Natürlich muss eine Liga so etwas untersuchen und eine Lösung finden. Und wie sähe die aus? Man würde die beiden Spieler zusammenbringen und sagen: 'Gebt euch die Hände!'"

Ein Händedruck gegen menschenverachtende Beleidigungen auf dem Fußballplatz? Ganz so einfach dürfte die Lösung nicht aussehen, vor allem in England sorgen Blatters Äußerungen für großes Entsetzen: In der Premier League hatten jüngst mehrere dunkelhäutige Fußballer geklagt, von Gegenspielern rassistisch beleidigt worden zu sein.

"So herablassend, dass es schon fast lachhaft ist"

Am Mittwoch erhob der englische Fußballverband FA Anklage gegen Luis Suarez, Stürmer des FC Liverpool aus Uruguay. Dieser soll den dunkelhäutigen Franzosen Patrice Evra von Manchester United in einem Ligaspiel rassistisch beleidigt haben. Auch gegen John Terry, Kapitän des FC Chelsea und der englischen Nationalelf, wird wegen eines Vorfalls mit Anton Ferdinand von den Queens Park Rangers ermittelt.

Ferdinands Bruder Rio war einer der ersten Spieler, die sich via Twitter zu den Blatter-Äußerungen zu Wort meldete. Er sei "überaus erstaunt" über dessen Aussagen. "Ihr Kommentar ist so herablassend, dass es fast schon lachhaft ist", twitterte er Blatter direkt an. Enttäuscht fügte der dunkelhäutige Verteidiger von Manchester United an, es sei wohl dumm gewesen zu glauben, dass der "Fußball eine Führungsrolle im Kampf gegen Rassismus" übernommen habe.

Blatters Äußerungen und Ferdinands Kritik verbreiteten sich am Mittwoch in rasender Geschwindigkeit über Twitter und Facebook - weshalb der Fifa-Präsident versuchte, seine Äußerungen zu relativieren. "Was ich mit meinen Äussagen zum Ausdruck bringen wollte, ist, dass Fußballspieler während einer Partie 'Kämpfe' mit ihren Gegenspielern austragen und dabei manchmal Dinge passieren, die nicht passieren sollten", twitterte Blatter. "Normalerweise gibt man sich nach dem Schlusspfiff die Hand und entschuldigt sich beim Gegner, wenn es während der Partie zu einer Konfrontation gekommen ist." Er wolle das Rassismus-Problem im Fußball keinesfalls kleinreden und engagiere sich auch im Kampf gegen Diskriminierung.

WM-Comic
:Wie Blatter entscheidet

Wie geht es eigentlich weiter, wenn zwei Mannschaften punkt- und torgleich sind? Fifa-Boss Sepp Blatter hat seine ganz eigene Methode.

Wenig später legte der 75-Jährige noch einmal mit einer Erklärung auf der Fifa-Homepage nach. Die Aussagen seien "missverstanden" worden, hieß es dort - er wolle die Dimension des Problems von Rassismus in Gesellschaft und Sport "nicht verharmlosen".

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:Wie Blatter entscheidet

Wie geht es eigentlich weiter, wenn zwei Mannschaften punkt- und torgleich sind? Fifa-Boss Sepp Blatter hat seine ganz eigene Methode.

Unfreiwillig komisch wirkte dabei die Bebilderung der Pressemitteilung mit dem Titel "Blatter: Dem Kampf gegen Rassismus verpflichtet": Auf einem Foto umarmt Blatter etwas zu symbolträchtig den dunkelhäutigen südafrikanischen Siedlungsminister Tokyo Sexwale. "Das ist Sitcom-Material", kommentierte Ferdinand trocken via Twitter.

Ob die Angelegenheit für Blatter lustig enden wird, ist ungewiss: Inzwischen haben sich weitere Premier-League-Spieler über Twitter zu Wort gemeldet, um den Fifa-Präsidenten zu kritisieren. Gordon Taylor, Chef der englischen Fußballergewerkschaft, und der britische Sportminister Hugh Robertson fordern inzwischen den Rücktritt des Schweizers.

Piara Powar, Geschäftsführer der Organisation Fußball gegen Rassismus in Europa (FARE), nannte die Aussagen "im besten Falle naiv, wahrscheinlich einfach ignorant". Blatter riskiere damit, Jahre guter Fifa-Arbeit gegen Rassismus zu zerstören.

Auch wenn bei den Animositäten englischer Fußballfunktionäre auch die Entscheidung der Fifa eine Rolle spielt, die WM 2018 nicht an England, sondern an Russland zu vergeben: Den mächtigen Fifa-Sponsoren dürfte nicht entgangen sein, dass Blatter in der Öffentlichkeit in den vergangenen Jahren immer wieder durch umstrittene Aussagen auffiel.

[] Nach der Vergabe der WM 2022 an Katar hatte er erklärt, Homosexuelle sollten aus Respekt gegenüber dem WM-Gastgeber auf Sex verzichten, solange sie sich im Emirat aufhalten. Homosexualität ist in Katar illegal. Später entschuldigte sich Blatter für seine Aussage.

[] Zur Frauenfußball-WM wartete Blatter mit dem Vorschlag auf, die "Frauenschaften" im Fußball künftig früher als die "Knaben" zu fördern. Die wenig emanzipatorische Begründung: "Ab einem gewissen Alter haben die Frauen in der Gesellschaft eine andere Funktion als Fußball spielen."

[] Als England John Terry nach einer Affäre mit der Frau eines Mitspielers kurzzeitig das Kapitänsamt entzog, kommentierte Blatter trocken:"Wenn so etwas zum Beispiel in Südamerika passiert wäre, hätte man ihm ( Terry, d.Red.) applaudiert."

[] Als die Fifa im Frühsommer wegen Bestechungsvorwürfen gegen Spitzenkräfte der Organisation heftig in die Kritik geriet, bügelte er diese mit dem legendären Spruch "Die Fifa hat keine Krise!" ab. Seiner Wiederwahl zum Fifa-Präsidenten im Juni ging ein unverhohlenes Geschacher um Stimmen voraus, der Ankündigung größerer Transparenz sind bislang noch keine Taten gefolgt.

Bei einigen Beobachtern ist die Person Blatter schon lange nicht mehr von der Organisation zu trennen, die er vertritt. "Blatter erscheint in einer unheimlichen Regelmäßigkeit, um uns an die echte Atmosphäre in der obersten Fußball-Führungsetage zu erinnern", schreibt der Fußball-Kolumnist Musa Okwonga auf der Website des Independent, "Sepp Blatter ist genau das, was du als Chef einer Organisation bekommst, die in einem Multi-Milliarden-Dollar-Nest in einer Steueroase sitzt und offenbar niemandem Rechenschaft schuldig zu sein glaubt."

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