WM-Vergabe:Gibt es einen weiteren Fifa-Sündenfall?

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Am 6. Juli 2000 feierten der damalige Fifa-Präsident Joseph Blatter, Bewerbungschef Franz Beckenbauer und Fedor Radmann (v. links) den Zuschlag für die WM 2006. (Foto: Walter Bieri/dpa)
  • Ein Gespräch im Mai 2015 löste die Affäre um die WM 2006 aus. Laut der Fifa ging es dabei aber nicht um das Sommermärchen, sondern um "ganz andere Vorgänge".
  • Der Weltverband und die ermittelnden Schweizer Behörden geben keine Auskunft über einen möglichen anderen deutschen Sündenfall im Fifa-Kontext.
  • Die Spur führt zu den WM-Vergaben 2018 an Russland und 2022 an Katar.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner, München

Am Anfang der Sommermärchen-Affäre steht ein Streitgespräch. Im Mai 2015 trafen sich in Zürich Fedor Radmann und Markus Kattner. Kattner ist heute Generalsekretär des Fußball-Weltverbands Fifa, Radmann ist ein schillernder Strippenzieher, der neben den Mysterien um die deutsche WM-Bewerbung für 2006 auch andere Abgründe des Sports kennt.

Beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) löste diese Konversation teils panisch wirkende Aktivitäten aus, an deren Ende das Sommermärchen in Trümmern lag. Aber wer sich näher mit dem Gespräch befasst, kommt um eine Frage nicht herum: Ging es dabei gar nicht um die WM 2006? Sondern um einen anderen gravierenden deutschen Sündenfall im Fifa-Kontext?

"Wenn das rauskommt, haben wir riesige Probleme"

Anhand des Reports der vom DFB eingesetzten Kanzlei Freshfields lässt sich der Fortgang im Anschluss ans Mai-Gespräch in Teilen rekonstruieren. Demnach habe Radmann dem damaligen DFB-Chef Wolfgang Niersbach zugeraunt, es könne etwas zur WM 2006 "hochkommen". Die DFB-Spitzenkraft Stefan Hans traf sich daraufhin mit Radmann und erfuhr, dass es womöglich "Unregelmäßigkeiten mit der WM 2006" gebe. "Da sei etwas mit 20 Mio. gewesen", habe Radmann gesagt, und mit dem WM-Kulturprogramm. Geld sei möglicherweise anders verwendet worden als gedacht. So notierte es Hans in einem Gedächtnis-Protokoll, das im Freshfields-Report abgedruckt ist. Die Dringlichkeitsstufe habe Radmann so umrissen: "Wenn das rauskommt, haben wir riesige Probleme."

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Warum flossen zehn Millionen Franken von Franz Beckenbauer nach Katar? Aussagen legen nahe, dass es mit Blatters Wiederwahl als Fifa-Präsident 2002 zu tun hatte.

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Tage später trommelte Niersbach das alte Präsidium des WM-Organisationskomitees zusammen. Es entstand die unglaubwürdige Version, dass es anno 2002 einen Vorschuss an die Fifa geben musste: zehn Millionen Franken - um als eine Art Gegenleistung 100 Millionen zusätzlich für das OK-Budget zu erhalten. Diskrete Vertuschungstreffen folgten.

Mitte Oktober deckte der Spiegel die 6,7-Millionen-Euro-Zahlung auf, heute ermitteln Justizorgane in diversen Ländern. Es geht um zehn Millionen Franken, die 2002 nach Katar flossen, es geht um ein Darlehen des damaligen Adidas-Chefs Robert Louis-Dreyfus, und um die Rückzahlung durch den DFB im April 2005. Das Sommermärchen ist keins mehr, aber: War das alles?

Vor allem wirkt die Panik der deutschen Märchen-Macher merkwürdig

Die Antwort lautet: Nein. Zum einen taucht die mysteriöse Zahl von 20 Millionen immer wieder auf, die Radmann früh erwähnt hatte. Er dürfte am besten wissen, welche Dunkelziffern es rund um die WM 2006 gibt. Auch ist unwahrscheinlich, dass er solche Probleme künstlich aufbläst. Es herrscht Klärungsbedarf.

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Zehn Millionen Franken wanderten nach Katar - die entscheidende Frage ist nun: Warum, und was passierte dort damit?

Vor allem wirkt die Panik der deutschen Märchen-Macher nach Aktenlage merkwürdig. Denn einen Hinweis durch Kattner auf Probleme rund um die WM-Vergabe 2006, die merkwürdige Zahlung über 6,7 Millionen Euro oder den DFB überhaupt soll es im Mai 2015 nicht gegeben haben. Das erklärte Kattner intern selbst, das bestätigt die Fifa - und Niersbach erfuhr es. Allerdings erst Anfang Dezember 2015, da war er den DFB-Thron bereits los.

Niersbach fragte damals den Fifa-Mann am Rande einer Sitzung in Zürich, warum Kattner nicht ihn direkt, sondern Radmann angesprochen habe. Habe er gar nicht, erwiderte Kattner laut Niersbach. Vielmehr sei er von Radmann zur Rede gestellt worden, und gemäß Niersbach sowie einer Bestätigung aus Fifa-Kreisen geht Kattners Version so: Radmann habe ihn auf das Fifa-Ethikverfahren gegen Franz Beckenbauer angesprochen und auf Beendigung gedrängt, sonst könne es eine Fifa-kritische Berichterstattung geben.

Kattner habe, so Niersbach (im Freshfields-Bericht auf Seite 240), gesagt, dass "Radmann lieber vorsichtig sein solle, denn da gebe es auch noch ganz andere Vorgänge". Nur habe das nicht auf die WM-Vergabe 2006 oder den Deutschen Fußball-Bund gezielt. Um was es ging, habe Kattner bei den Fifa-Anwälten hinterlegt.

Es gibt noch ein Problemthema: die WM-Vergaben 2018 an Russland und 2022 an Katar

Welches weitere deutsche Thema hat Kattner bei den Advokaten deponiert? Das will die Fifa ebenso wenig kommentieren wie die Frage, ob sich die Schweizer Bundesanwaltschaft das heikle Wissen gesichert habe. Kattner sei von den Behörden um Stillschweigen gebeten worden. Radmann äußerte sich auf SZ-Anfrage zur kompletten Causa nicht.

So trägt die Sommermärchen-Affäre seltsame Züge. Wie kam Radmann auf Missstände bei der WM 2006 - die es tatsächlich gab -, wenn Kattner womöglich einen ganz anderen Skandal meinte? Einen, der noch nicht bekannt sei?

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Zu seiner Rolle im WM-Skandal sagte er wörtlich, er sei ein Trottel gewesen - das klingt harmlos. Tatsächlich aber ist der Kaiser viel tiefer verstrickt.

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Wenn es Kattner angeblich weder um die WM 2006 noch den DFB ging, sondern "um ganz andere Vorgänge", müsste sich seine Aussage auf ein Problemthema bezogen haben, in dessen Dunstkreis auch Radmann und Beckenbauer auftauchen. Ein solches gibt es: die WM-Vergaben 2018 (an Russland) und 2022 (an Katar). Beckenbauer war damals Fifa-Wahlmann, er legte das Amt Wochen nach der Kür der Veranstalterländer nieder und wurde Botschafter der russischen Gasindustrie. 14 Monate vor der Kür machte er auch, auf Radmanns Betreiben, einen Geschäftsbesuch bei WM-Bewerber Katar. Er traf den Emir, der sich einst so vehement für die Deutschland-WM eingesetzt hatte.

Und Radmann? Gilt als Schattenmann in der erfolglosen Bewerbung Australiens für 2022, bei der er nach Aktenlage mit Dauer-Geschäftspartner Andreas Abold mehrere Millionen kassiert haben soll.

Eine Verbindung zu den WM-Vergaben 2018/2022 klingt auch plausibel, weil Radmanns kolportierte Aussage im Kontext dieses Themas erfolgte. Das von Radmann angeblich gegenüber Kattner im Mai 2015 erwähnte Verfahren der Fifa-Ethiker gegen Beckenbauer war wegen der Untersuchungen zu den WM-Vergaben eröffnet worden.

Der Deutsche hatte mit Fifa-Chefermittler Michael Garcia nicht kooperiert. Dafür wurde er vor der WM 2014 gesperrt, am Ende gab es eine Verwarnung und eine Geldstrafe über 7000 Franken. Schon die Causa war bizarr, weil Beckenbauer seine fehlende Mithilfe damit begründet hatte, ihm seien Fragen nur auf Englisch zugeschickt worden. Garcia, Ex-Bundesanwalt in New York, widersprach: Die Fragen hätten auch auf Deutsch vorgelegen. Wer log da - und warum?

Der Schweizer Justiz ist bekannt, dass es zwischen Beckenbauer, Radmann und Abold enge Geschäftsbande gibt

Garcias Ermittlungen mündeten im Herbst 2014 in einen Report, der längst auch der Berner Bundesanwaltschaft vorliegt. Weiß sie heute mehr? Bekannt ist ihr nach SZ-Informationen, dass es zwischen Beckenbauer, Radmann und Abold enge Geschäftsbande gibt - unter anderem über eine Firma, zu deren Geschäftszweck laut Auszug aus dem Handelsregister nicht nur Weingüter im Ausland, sondern auch Beratung und Sponsoring im Bereich Sport und Kultur gehören.

Zudem ist in der Schweiz im Rahmen der Sommermärchen-Ermittlungen eine Geldspur von und zu Beckenbauer aufgetaucht: Millionen flossen nach der Wiederwahl des damaligen Fifa-Chefs Sepp Blatter im Mai 2002 nach Katar, von einem Konto, auf das Beckenbauer und sein verstorbener Manager Robert Schwan Zugriff hatten, über eine Schweizer Kanzlei. Über dieselbe Kanzlei in Sarnen, in der alte Geschäftsfreunde Beckenbauers sitzen, kamen später Millionen von Robert Louis-Dreyfus an ihn zurück. Es sieht derzeit so aus, als sollte dies nicht die letzte deutsche Merkwürdigkeit im Weltfußball gewesen sein.

© SZ vom 16.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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