Dem hohen Besuch wurde jeder Wunsch erfüllt: Im Mai 2000 hielten Jack und Maureen Warner aus der Karibik fünf Tage Hof im Münchner Edelhotel Vier Jahreszeiten. Mister Warner verlangte ein privates Faxgerät und eine eigene Telefonleitung, die Misses benötigte dringend einen Regenschirm, Kniestrümpfe und Medikamente. Zwischendurch wurde dem Vorstandsmitglied des Fußball-Weltverbands Fifa nebst Gattin ein Luxus-Abstecher nach Berlin organisiert. 43 170,30 Mark kostete der Aufenthalt des Paares, inklusive Hotel- und Flugkosten. Bezahlt wurde die Sause vom Deutschen Fußball-Bund (DFB). Verwendungszweck laut Unterlagen: "Bewerbung WM 2006".
Seit Veröffentlichung des Freshfields-Reports am Freitag behaupten damalige wie heutige DFB-Vertreter gern, es gebe "keine Beweise" für einen Stimmenkauf bei der Vergabe der Sommermärchen-WM. Allerdings sind in dem Bericht zugleich so viele merkwürdige Vorgänge dokumentiert, dass sich die Frage stellt: Was braucht es eigentlich, um den Zuschlag für eine WM als "gekauft" zu deklarieren?
25 Verbände Asiens erhielten je ein Adidas-Ausrüstungspaket, Gesamtwert: fast eine halbe Million Mark
Es gab Freundschaftsspiele des Vorzeigeklubs FC Bayern in Ländern von Wahl- männern samt absurd hoher Gagen für die TV-Rechte an diesen Kicks. Mit den Verbänden Omans und Katars wurden Verträge zur "Unterstützung der Bewerbung Deutschlands" besiegelt. Afrikas Erdteilverband Caf mit Fifa-Vize Issa Hayatou an der Spitze durfte anno 2000 Mercedes-Limousinen nutzen, zumindest teilweise bezahlt vom DFB.
25 Verbände Asiens erhielten je ein Adidas-Ausrüstungspaket, Gesamtwert: fast eine halbe Million Mark. Thailands (inzwischen wegen Korruptionsverdacht gesperrter) Wahlmann Worawi Makudi erhielt Tickets für die EM 2000, für fast 20 000 Mark. Und die Beispiele ließen sich wohl noch fortsetzen, wären nicht Ordner über diese Zeit aus dem DFB- Archiv verschwunden.
Keinen umgarnten die DFB-Werber liebevoller als den Korruptionskönig der Fifa Jack Warner
In jedem Fall waren die deutschen Gefälligkeiten so umfassend, dass laut Report schon Anfang 2000 der damalige DFB-Chef Gerhard Mayer-Vorfelder klagte, es sei nicht leicht, "alle Versprechen Franz Beckenbauers an die Mitglieder des Fifa-Exekutivkomitees zu erfüllen". Zugleich spart der Report sogar viele weitere Aktivitäten in Politik und Wirtschaft aus, die unmittelbar vor der Vergabe erfolgten, stets in Ländern mit Fifa-Vorstand: Großfirmen investierten in Thailand und Korea, Makudis Frau handelte plötzlich mit Mercedes-Autos, der Bundessicherheitsrat beschloss eine Waffenlieferung nach Saudi-Arabien.
Aber keinen umgarnten die DFB-Werber liebevoller als den größten Skandalfunktionäre der Fifa: Jack Warner aus Trinidad & Tobago, Chef des Nord-/Mittelamerikaverbands Concacaf. Weil sie auf ihn bauten? Weil Warner einspringen musste für den Südkoreaner Chung Mong-Joon, der laut Insidern mutmaßlich ausgeschert ist aus dem sicher geglaubten Wählerblock von acht Europäern und vier Asiaten?
Warner jedenfalls erhielt das volle Programm: 400 Trainingsbälle für "WM 2006 Entwicklungshilfe", den Luxusaufenthalt in München und Berlin, das Versprechen auf ein FC-Bayern-Gastspiel. Und dazu einen ganz besonderen Vertrag zwischen DFB und Concacaf, gezeichnet von Beckenbauer und Warner, der Letzterem viele Leistungen zusicherte. Das sei bloß ein "Beruhigungsvertrag" gewesen, behaupten die damals Verantwortlichen heute, damit der einflussreiche Warner keine Stimmung gegen sie mache. Mit seiner Stimme habe man aber nie gerechnet. Und: Der Vertrag sei ja auch nie in Kraft getreten.
Diese Version ist essenziell für die offizielle Linie, es habe keinen WM-Stimmkauf gegeben. Der Report legt aber nahe, dass die Dinge anders liegen. Offenkundig wurde der Vertrag bereits Ende Mai 2000 bei Warners Deutschland-Trip verhandelt. Am 7. Juni lag er ausgearbeitet vor, am 2. Juli, vier Tage vor WM-Vergabe, wurde er unterzeichnet. Der damalige OK-Vize Horst R. Schmidt taxierte den Vertragswert im August 2000 auf zehn Millionen Mark. Er hielt dabei auch fest, dass dieser Brocken in den Etats von DFB und WM-OK zu berücksichtigen sei.
Zentraler Punkt des von der aktuellen DFB-Spitze als Korruptionsversuch eingeschätzten Vertrages sind 1000 wertvolle WM-Tickets - für Warner persönlich. Beim Weiterverkauf auf dem Sekundärmarkt "wäre der wirtschaftliche Wert um ein Vielfaches höher gewesen", merkt Freshfields an.
Die Deutschen zahlten den Druck von Fähnchen und Tickets, Gesamtkosten fast 80 000 Mark
Es gab in der Folge zwar keinen formalen Beschluss zur Wirksamkeit des Vertrages durchs DFB-Präsidium. Aber es flossen Leistungen, hält Freshfields ausdrücklich fest. Die Deutschen zahlten den Druck von Fähnchen und Tickets, Gesamtkosten fast 80 000 Mark. Horst R. Schmidt gab in seiner Befragung dazu an, das habe nichts mit dem Vertrag zu tun gehabt.
Brisant ist aber, dass der Vertrag auch nach der Abstimmung lange ein Thema ist. Das belegen die Dokumente. Schon Ende August 2000 hieß es bei einem Treff von Beckenbauer, Schmidt, Wolfgang Niersbach und Fedor Radmann: "Zum Vertrag des DFB mit Concacaf kündigte Fedor Radmann ein Schreiben von Jack Warner an, in welchem Abwicklungsvorschläge unterbreitet werden." Am 18. Oktober vermerkt eine Arbeitsliste für Beckenbauer/Radmann: "Warner - Schreiben anfordern wg. Übertragung Abwicklung Vertrag an Chuck Blazer". Auch Blazer war Fifa-Vorstand, viele Jahre engster Partner Warners und Concacaf-Generalsekretär - und selbst nachweislich korrupt.
Am 28. November 2000 war die Causa Warner wieder Thema: Verpflichtungen gegenüber Concacaf müssten aus der WM-Bewerbung noch erfüllt werden, heißt es. Und im Protokoll zu einer OK-Präsidiumssitzung am 4. Mai 2001 steht zum Tagungspunkt "Haushalt/Budget 2001 und Gesamtbudget 2006", man werde "die Angelegenheit Concacaf prüfen und Vorschläge ins Präsidium geben". Ein Hinweis, dass jemand aus DFB oder OK Warner die Botschaft überbracht hätte, der Vertrag sei ja nur ein "Beruhigungsmittel" gewesen und trete nicht in Kraft, findet sich nirgends.
Freshfields hakt das Thema flott ab. Es war nicht zu klären, was diese Verpflichtungen seien; auch nicht, ob es die besprochenen Schreiben von Radmann oder Warner gab. Und erinnern, klar, kann sich an die Vorgänge sowieso keiner der Befragten.
Dabei torpedieren die Notizen die Verteidigungslinie. Wenn es ein "Beruhigungsvertrag" war, ohne jede Absicht, ihn auch umzusetzen - warum wird er noch im Mai 2001 im Zuge von Budgetfragen diskutiert? Warum wurde - nach der Kür - Warners Kumpan Blazer eingebunden?
Die Beteiligten sprachen, bevor die Sache bekannt wurde, oft über eine andere Zahl: 20 Millionen
Heikelster Vertragspunkt sind die WM-Tickets. Radmann und Schmidt gaben an, nach ihrem Verständnis hätte Warner die versprochenen Karten bezahlen müssen. So steht es aber nicht im Vertrag. Und Fakt ist: Warner verdiente an Tickets rund um die WM tüchtig mit. Ernst & Young beschrieb, wie sein Familienbetrieb bis zu 840 000 Euro Gewinn abschöpfte.
Viel spricht dafür, dass der Warner-Vertrag auf anderem Weg eingelöst worden sein könnte. Die im Raum stehende Summe kommt einem ja bekannt vor. Zehn Millionen. Um diesen Betrag ging es zwei Jahre vorher auch bei einer ominösen Zahlung nach Katar. Und laut Report haben die damals Beteiligten in den Monaten, bevor die Sache 2015 öffentlich wurde, oft über eine andere Zahl gesprochen: 20 Millionen. Zwei Mal zehn? Da bleibt Luft für Ermittlungen.