Bundesliga:Schalker Volkstheater hat geöffnet

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Eine Halbzeit furios, eine Halbzeit schwach: Schalkes Himmelsstürmer Leroy Sané (oben). (Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Das 1:3 gegen Bremen führt in Gelsenkirchen zu zünftigen Grundsatzdebatten.
  • Sind Breitenreiter und Heldt zerstritten? Manager Heldt nennt entsprechende Berichte "völlig Banane". Allerdings passen der Stil des Trainers und Schalkes Spielweise nicht zusammen.
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Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Schiedsrichter Christian Dingert und seine Gefolgsleute brauchten keinen Regenschirm und keine Ohrenschützer, als sie am Sonntagabend das Spielfeld in der Gelsenkirchener Arena verließen. Weder drohte ihnen von den Anhängern der 1:3 unterlegenen Schalker eine Bierdusche noch eine Kanonade von Pfiffen und Buhrufen.

Es ist kein gutes Zeichen für den Klub, wenn die Sympathisanten darauf verzichten, den Schiedsrichter zum Sündenbock zu machen, und am Sonntag wurde das Zeichen dadurch noch deutlicher, dass die Sympathisanten längst das Haus verlassen hatten, als die Schiedsrichter nach getaner Arbeit entspannt vom Rasen schritten. So leer, wie es schon fünf Minuten vor dem Abpfiff war, ist das Stadion üblicherweise nur im frühen Morgengrauen.

Schalker Zweckgemeinschaft: Heldt will einen sauberen Abgang, Breitenreiter seinen Job behalten

Fehlstart, na und? Ist anderen Vereinen an diesem 18. Spieltag auch passiert. Andere Vereine allerdings verlieren bloß ein Spiel, in Schalke dagegen genügte die Niederlage gegen Werder Bremen, um endlich mal wieder in eine zünftige Grundsatzdebatte einzusteigen. Der Sonderkorrespondent des Sportsenders Sky eröffnete die Diskussion, als er am Montag meldete, Cheftrainer André Breitenreiter sei längst nicht mehr unumstritten im Kreis seiner Mitarbeiter, "intern hat er es sich mit ganz, ganz vielen aus dem Verein verscherzt", sprach er in sein Mikrofon.

Das hörte sich zunächst nach einer recht abenteuerlichen Erzählung an, immerhin aber sah sich der Sportvorstand Horst Heldt sogleich veranlasst, sein Büro zu verlassen und vor den Reportern eine Gegendarstellung zu platzieren. Berichte über Unstimmigkeiten seien "völliger Schwachsinn" und "völlig Banane". Außerdem erklärte Heldt in einer Brennpunkt-Extraausgabe des Vereinsfernsehens: "André macht einen ganz hervorragenden Job. Er führt die Mannschaft ganz hervorragend, und sie folgt ihm auch."

Schalke wäre nicht Schalke, wenn die Sache damit erledigt wäre. Spannungen im Binnenverhältnis zwischen dem Trainer und Vereinsleuten gibt es nicht erst seit der Niederlage am Sonntagabend. Dass Breitenreiter ein starkes Selbstbewusstsein besitzt und eine hohe Meinung von sich selbst hat, das wird ihm gern gegönnt, aber im Arbeitsalltag selten als wohltuend empfunden. Sein Karrierestreben steht nach durchaus verbreiteter Ansicht nicht im Einklang mit seinem angewandten Fachwissen.

Das Verhältnis zu Heldt nahm spätestens dann Schaden, als Mitte Oktober die Ablösung des Managers zum Saisonende bekannt wurde und Breitenreiter damals wenig Neigung zeigte, eine Solidaradresse zu äußern oder sein Bedauern auszudrücken.

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Nachdem die offensichtlichen Gegensätze zwischen den Führungskräften in den Medien thematisiert wurden, richteten sich die Beiden in einer Zweckgemeinschaft ein. Dieses Bündnis funktioniert einigermaßen, weil beide davon profitieren. Breitenreiter möchte seinen Posten behalten, Heldt möchte Gelsenkirchen in Ehren verlassen und während seiner letzten Monate nicht schon wieder einem Trainer kündigen. Mit dieser Entscheidung soll sich bitte schön sein mutmaßlicher Nachfolger Christian Heidel beschäftigen.

Der beunruhigende Verlauf des Spiels gegen Werder legt allerdings die Vermutung nahe, dass eine Saison nach alter Schalker Art bevorsteht, an deren Ende sich wenigstens einer der beiden sportlich Verantwortlichen im Stand der Beurlaubung befinden könnte. Heldt weiß sich als Platzhalter für Heidel ohnehin in riskanter Lage, aber auch Breitenreiter sollte nicht darauf vertrauen, dass ihn der positive Stimmungsumschwung beim Saisonstart vor Gemeinheiten schützt. Die Wege von Aufsichtsrats- und Vereinschef Clemens Tönnies sind unergründlich, und die Entwicklung der Schalker Mannschaft lässt Zweifel zu.

Weiterhin ist nur auf ihre starken Schwankungen Verlass. Was sie am Sonntag während der ersten Halbzeit gekonnt und richtig machte, das machte sie in der zweiten Halbzeit stümperhaft und falsch. Zur Pause hätten die Hausherren hoch führen müssen, am Ende gingen sie mit einer verdienten Niederlage vom Rasen. Erst überboten sich Huntelaar, Sané, Meyer und Neustädter im fröhlichen Auslassen von Torchancen, später produzierten dann Geis, Caicara, Goretzka und andere deprimierende Fehlpässe en gros.

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Sogar Verteidiger Matip, Torschütze zum 1:0 und eine Halbzeit lang souveräner Abwehrchef, trat nach der Pause in der alten, erloschen geglaubten Zweitidentität des zerstreuten Professors auf.

André Breitenreiter wusste zwar viel darüber zu sagen, warum Schalke in der ersten Halbzeit so viel Schwung und kreativen Angriffsgeist entwickelte, zum kollektiven Einbruch nach dem Bremer Ausgleich fiel ihm hingegen wenig Konkretes ein. "Köpfe hoch nehmen und Ruhe bewahren", lautete sein Motto für die Trainingswoche vor dem Auftritt am Samstag in Darmstadt, der tendenziell spannend werden könnte. Das Schalker Volkstheater hat jedenfalls wieder geöffnet.

© SZ vom 26.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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