FC Bayern verpflichtet Mainzer Talent:Freundlicher Gruß nach Dortmund und Leverkusen

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Jan Kirchhoff läuft in der nächsten Saison im roten Trikot des FC Bayern auf. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Die Verpflichtung des Mainzer Abwehrspielers Jan Kirchhoff ist ein Signal an die Bundesliga-Konkurrenz: Der FC Bayern will sich künftig noch mehr um den Markt der deutschen Talente kümmern

Von Christof Kneer

Das größte Lob kam am Freitag vom Tegernsee. Man erkenne "eine klare Handschrift", lobte Uli Hoeneß und ergänzte, die Spieler hätten "hohen Respekt" vor diesem Mann. Solche Worte aus dem Mund des Bayern-Präsidenten sind für den Adressaten üblicherweise ein Grund, sich diese Worte auszuschneiden, einzurahmen und übers Bett zu hängen. Matthias Sammer wird sich diese Worte allerdings nicht übers Bett hängen, so viel steht schon mal fest. Er war ja nicht gemeint. Uli Hoeneß meinte Svetislav Pesic, den Trainer der hauseigenen Basketballer.

Matthias Sammer, Sportchef der hauseigenen Fußballabteilung, darf trotzdem davon ausgehen, dass Hoeneß wohlwollend auf die jüngste Personalie blickt, die in Sammers Ressort fällt. Am Freitag gaben die Münchner im Wintercamp in Doha bekannt, dass der Mainzer Defensivspieler Jan Kirchhoff, 22, im Sommer ablösefrei zum FC Bayern überläuft und mit einem Vertrag bis 2016 ausgestattet wird.

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Der FC Bayern absolviert wie seit Jahren sein Winter-Trainingslager in Katar, bei 25 Grad Celsius und unter Beobachtung der einheimischen Bevölkerung. "Das ist das Beste, was ich mitgemacht habe", sagt Trainer Jupp Heynckes. Nur Franck Ribéry ist sauer.

Bilder aus Katar

"Ich freue mich, dass sich ein junger Spieler mit sehr guten Fähigkeiten für uns entschieden hat", sagte Sammer am Freitag in korrektem Vereinsdeutsch. Sammer ist ja immer noch neu in diesem Klub, er wägt seine Worte immer noch genau. Er weiß, dass es einen Klubchef namens Rummenigge gibt und einen Stammesführer, der überm Tegernsee thront. Sammer möchte nicht den Eindruck erwecken, er habe den Laden übernommen, deshalb sagt er betont defensiv, der Kirchhoff-Transfer sei "nicht allein von Matthias Sammer geprägt".

Nicht allein, das stimmt. Aber halt schon auch.

Als Matthias Sammer im Juli ein Münchner wurde, hat er schon mal durchblicken lassen, welche seiner Fähigkeiten besonders willkommen sein könnte. Er habe nicht zufällig sechs Jahre den Jugendbereich im Verband verantwortet, sagte Sammer damals; tatsächlich weiß der frühere DFB-Sportdirektor von jedem deutschen Talent, welcher Fuß der stärkere ist, ob eine Eignung zum Führungsspieler im Gensatz angelegt ist, oder ob es manchmal noch Konzentrationslöcher im Spiel gibt.

Bei Jan Kirchhoff gibt es diese Löcher übrigens noch, er hat manchmal seine zehn Minuten, in denen er aussieht wie ein zerstreutes Talent, das es nie zu einem Mia-san-mia-Verein schaffen wird. Aber die restlichen 80 Minuten im Spiel, die machen Jan Kirchhoff interessant.

Jan Kirchhoff ist ein Spieler, für den sich der moderne Fußball nicht schämen muss. Er vereint kolossale Körpermaße (1,95 Meter) mit erstaunlich stilvollem Aufbauspiel, und er besitzt wie der 40 Millionen Euro teurere Spanier Javi Martinez jene Spezialqualität, die man in Sportschau-Zusammenschnitten schwer erkennen kann. Der Riese ist ein recht gewandter Stratege, er besitzt jene Art von vorausschauendem Spiel, die ihn Zweikämpfe gewinnen lässt, ohne dass er sie führen muss.

Thomas Tuchel, sein Trainer in Mainz, hat ihn zuletzt seltener in der Innenverteidigung, dafür häufiger im defensiven Mittelfeld platziert, manchmal hat er ihn sogar auf die Bank gesetzt. Er war streng mit ihm, so wie man eben streng ist mit Spielern, die alle Anlagen haben, aber nicht immer abrufen. "Grundsätzlich ist Jan aber ein Innenverteidiger", sagt Tuchel, "das ist die Position, auf der er seinen Weg machen wird."

Kurz vor Weihnachten hat Kirchhoff die Mainzer wissen lassen, dass er seinen auslaufenden Vertrag im Sommer zum Wechsel nutzen wird, und Tuchel hat zumindest noch mal versucht, seinem Spieler eine weitere Saison in Mainz schmackhaft zu machen. "Jan kennt meine Einschätzung, ich glaube, dass es ihm nicht geschadet hätte, noch ein Jahr hier zu bleiben", sagt Tuchel, "kurzfristig war das für Jan auch noch mal eine Option, aber zwei Tage später hat er uns mitgeteilt, dass er bei seiner Entscheidung bleiben möchte." Sie haben es gefasst aufgenommen in Mainz, sie kennen ja ihr Schicksal als Ausbildungsverein. "Keiner ist Jan böse", sagt Tuchel, "und ich kann den Wechsel auch verstehen. Er hat die Qualität und auch das Selbstbewusstsein, um sich bei Bayern durchzusetzen." Und das ist ja etwas, was auch dem Sportchef der Bayern gefällt: dass ein 22-Jähriger aus Mainz "den Mut hat, diesen Schritt zu gehen", wie Sammer sagt.

Es überrascht nur auf den ersten Blick, dass die Münchner sich einen Spieler schnappen, der zuletzt, auch verletzungsbedingt, nicht immer Stammspieler war. Kirchhoffs Fähigkeiten sind unbestritten, auch Dortmund, Schalke und Juventus Turin haben immer wieder um ihn gekämpft, und das ist es, was diesen Transfer strategisch bedeutsam macht: "Der deutsche Talentmarkt ist neben dem spanischen der beste der Welt", sagt Sammer, "wir werden künftig sicher noch mehr um deutsche Spieler kämpfen." Das darf man als freundliche Grußbotschaft an Klubs wie Dortmund und Leverkusen verstehen, die deutsche Spitzentalente wie Reus, Gündogan, Schürrle, Wollscheid oder die Bender-Brüder zuletzt unter sich aufteilen durften.

Das Marktsegment "jung & deutsch" darf sich darauf einstellen, dass die Bayern es nicht mehr aus dem Auge lassen werden. Das Interesse gilt dabei sowohl den "gestandenen U21-Spielern", wie Sammer Kirchhoff nennt, als auch jenen, die als Profis noch Anfänger sind - wie Mitchell Weiser, 18, den die Bayern im Sommer käuflich erworben und soeben leihweise nach Kaiserslautern weitergereicht haben, oder auch Leon Goretzka, jenen sagenumwobenen 17-Jährigen aus Bochum, den zurzeit die halbe Welt umgarnt.

Es könne schon sein, dass Kirchhoff "noch etwas Zeit benötigt", sagt Sammer, aber der Transfer ist mehr als eine Showpersonalie. Den Bayern ist es ernst mit Kirchhoff, und die Verpflichtung hat auch deshalb ihren Reiz, weil sie null Risiko, aber tausend Optionen beinhaltet. Kirchhoff ist ablösefrei, er deckt zwei Positionen ab (Verteidigung, defensives Mittelfeld), er verbreitert den edlen Kader auf edle Weise, er ermöglicht einen seriösen Abschied von van Buyten und Timoschtschuk, und er ist ein praktisches Druckmittel für Jérome Boateng, dessen Hang zu spielentscheidenden Aussetzern sie im Klub zunehmend skeptisch sehen. "Die Verpflichtung hat nicht automatisch mit anderen Spielern zu tun", sagt Sammer, "wir sind mit unseren Planungen für Sommer nicht fertig."

Dank Kirchhoff dürften die Planungen entspannter ausfallen, zur Not könnten sie ihn ja auch schon in diesem Winter holen. Er wäre dann nicht mehr ablösefrei, aber man kann ruhig davon ausgehen, dass die Bayern dieses Problem lösen würden.

© SZ vom 05.01.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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