FC Bayern:Kimmich überzeugt endlich auch seine Kumpels

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Vier Tore in zehn Tagen: Joshua Kimmich ist zurzeit der aufregendste Bayern-Spieler. Dabei machten sich seine Freunde in der Jugend noch über seine Nervenschwäche vor dem Tor lustig.

Aus dem Stadion von Matthias Schmid

Thomas Müller redet schon einige Minuten im Bauch der Fröttmaninger Arena, als er plötzlich attackiert wird. Heimtückisch von hinten nähert sich der Angreifer und haut ihm auf den Hintern - immer wieder, es sind schnelle, harte Schläge. Müller wankt nicht, er fällt nicht, er lächelt nur.

Der Angreifer ist nicht aggressiv, sondern bester Laune - weil er früher als Müller sein Tagwerk hinter sich gebracht hat und endlich in die spätsommerliche Nacht entschwinden darf. Joshua Kimmich, der Müller so traktierte, musste aber dann doch noch mal anhalten vor dem Ausgang und seine Geschichte erzählen, seine wundersame Wandlung vom Leipziger Zweitligaspieler zum Bayern-Torjäger Nummer zwei, knapp hinter Robert Lewandowski.

Auf vier Tore bringt es der 21-Jährige nun schon in dieser Saison, erzielt in nur zehn Tagen. Zunächst traf er für die Nationalmannschaft in Oslo, dann ließ er das 2:0 auf Schalke folgen, ehe er nun mit zwei Toren beim 5:0 (2:0) gegen FK Rostow in der Champions League auch noch an Thomas Müller vorbeizog, der etwas geknickt feststellen musste: "Joshua hat mehr Tore erzielt als ich - außer in der WM-Qualifikation."

Kopfballtreffer wie Horst Hrubesch

Für Kimmich, geboren im württembergischen Rottweil, ist die mediale Aufmerksamkeit neu und aufregend. Doch ihn scheint der ganze Trubel um seine Person nicht sonderlich zu beeindrucken, im Gegenteil. Er wirkt in diesen Tagen so ruhig und leise, als würde er weiter das Trikot seines Heimatvereins VfB Bösingen tragen und den bisweilen lauten Profibetrieb nur aus dem Fernsehen kennen. Natürlich könne man ihn auch aus diesem buddhistischen Gleichgewicht bringen, sagt er mit einem Lächeln. "Aber nur meine Freunde wissen, wie das geht."

Seine Gegenspieler haben dagegen noch keine Anleitung gefunden, um ihm den Spaß am Fußballspielen zu nehmen. Gegen Rostow am Dienstagabend war Kimmich der auffälligste und aufregendste Bayern-Spieler, nicht nur wegen seiner beiden Tore in der zweiten Hälfte zum 3:0 und zum 4:0, sodass sich hinterher auch sein Trainer bemüßigt fühlte, ihn aus dem Kollektiv herauszuheben. "Joshua hat sehr gut gespielt", lobte also Carlo Ancelotti, "er ist körperlich in guter Verfassung. Er ist sehr fokussiert."

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:Kimmich schraubt sich hoch wie Hrubesch

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Aus dem Stadion von Matthias Schmid

Der Italiener hat wie sein Vorgänger Pep Guardiola rasch erkannt, dass er diesen 1,76 Meter großen Spieler überall auf dem Rasen gewinnbringend für die Mannschaft hinstellen kann. "Joshua hat kein Problem, im Mittelfeld zu spielen oder sonst auf irgendeiner Position", sagt Ancelotti. Gegen Rostow war Kimmich sogar häufiger als erster Bayern-Angreifer zu beobachten, in vorderster Linie stürzte er sich in die Flanken wie weiland Horst Hrubesch. Das sah in der ersten Hälfte noch lustig aus, als er einen hohen Ball von Rafinha nicht erreichen konnte. In der zweiten Hälfte aber lachte niemand mehr, als er sich dann tatsächlich in Hrubesche Höhen schraubte und den Ball über die Linie bugsierte. "Es freute mich ganz besonders, dass ich endlich mal per Kopf getroffen habe", bekannte Kimmich fast schon zu pathetisch.

Dass er in der Öffentlichkeit so bescheiden und ruhig auftritt, ist allerdings eine List. Findet Bayern-Torhüter Manuel Neuer. "Intern ist Joshua überhaupt nicht zurückhaltend." Forsch und selbstbewusst kennen ihn die Leute aber bisher nur auf dem Rasen. "Ich möchte immer den Ball haben und mich zeigen", sagt er. Aber als Stürmer sieht sich Kimmich selbst nicht, nur Innovations-Meister Pep Guardiola stellte ihn in der vergangenen Saison gegen Piräus mal in vorderster Linie auf.

Vielleicht hängt ihm auch noch das kleine Trauma aus der Jugend nach. Seine Kumpels beim VfB Bösingen hätten ihm die Fähigkeit zum Toreschießen immer wieder mit Vehemenz abgesprochen, erzählt Kimmich. "Die haben mich immer geärgert damit, weil ich nicht der Kühlste vor der Hütte war. In der Jugend war ich überhaupt kein Knipser."

Kimmich hat die Kritiker überzeugt

Aber auch schon ohne Tore hat sich Kimmich beim FC Bayern gleich in seinem ersten Jahr eine hohe Wertschätzung und eine tragende Rolle erarbeitet, die ihm die wenigsten zugetraut hatten, als er im vergangenen Sommer von Leipzig nach München wechselte. Manche raunten bei seiner Verpflichtung schon, dass er ähnlich wie andere junge Spieler beim FC Bayern in der Sackgasse landen und spätestens in der Winterpause verliehen werden würde. Kimmich spielt noch immer. Sogar besser denn je - und hat sich auch in der Nationalmannschaft als rechter Verteidiger unentbehrlich gemacht.

Einen Stammplatz würde er aber trotzdem nie laut einfordern, auch wenn er sich mal ein Spiel von der Bank aus ansehen muss wie zuletzt auf Schalke, bleibt er nüchtern. "Ich sitze nicht draußen und heule rum oder verbreite schlechte Stimmung", sagt Kimmich dazu lapidar. Nur eines kann und will er nicht: Singen. Normalerweise kommen Bayern-Spieler bei ihrem Toreinstand um eine musikalische Einlage nicht herum. Kimmich hat es geschafft. "Und mit zwei Toren habe ich mich jetzt sowieso freigekauft." Es war sein letzter Satz, bevor ihn die Nacht verschluckte.

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