FC Bayern München:Die Retro-Mission des Jupp Heynckes

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Auf ihre Treffsicherheit kommt's an: Robert Lewandowski (links), Thomas Müller (Mitte) und Arjen Robben (Szene von 2015) (Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Ob Jupp Heynckes beim FC Bayern wieder Erfolg hat, hängt auch damit zusammen, wie er mit seinem Offensiv-Dreieck umgeht.
  • Lewandowski, Müller und Robben sind alle nicht mehr ganz jung, können aber immer noch zusammen glänzen.

Von Klaus Hoeltzenbein

Es sah ein bisschen so aus wie in diesen alten Schwarz-Weiß-Filmen. In denen der Held dem bereits anfahrenden Zug wild fuchtelnd hinterherrennt und im letzten Augenblick auf den letzten Waggon aufspringt. Geschafft!

An jenem Samstag im vorigen Mai hat Robert Lewandowski den Zug seiner Träume nicht mehr erreicht. Zwar sind Arjen Robben und Franck Ribéry nicht mehr gar so flink wie einst, aber beide standen gut unter Dampf, und Lewandowski kam nicht mehr nach. Bald drehte er enttäuscht ab und sah nur noch von ferne zu: Wie der rasende Robben auf den rasenden Ribéry ablegte, und der Franzose jenes Tor erzielte, von dem Lewandowski gehofft hatte, dass es seins hätte werden können.

Wo Heynckes jetzt ansetzen muss

Vier Tore erzielte der FC Bayern gegen Freiburg am letzten Bundesliga-Spieltag, an dem die Meisterschale übergeben wurde - keines gelang Lewandowski, keiner blickte trauriger, nicht einmal der frisch operierte Manuel Neuer, der fröhlich mit den Krücken von der Empore winkte.

Wenige Tage später meldete sich Maik Barthel, der Berater des Stürmers von der traurigen Gestalt, zu Wort. So enttäuscht habe er seinen Klienten "noch nie erlebt", wofür Barthel besonders Carlo Ancelotti in Haftung nahm. Vom Trainer habe es "keinen Appell" gegeben, dass die Mannschaft den Kollegen auf der Jagd nach der Torjägerkrone "proaktiv unterstützen" möge. Jetzt hatte Lewandowski doch schon wieder 30 Tore geschossen und damit eine Quote erreicht, mit der er einige sehr berühmte Torjäger des FC Bayern wie Mario Gomez (28 in der Saison 2010/11) oder Karl-Heinz Rummenigge (29 in der Saison 1980/81) übertraf, aber selbst das genügte nicht: Pierre-Emerick Aubameyang, der Dortmunder, traf an jenem Samstag im Mai zwei Mal - und damit über die Saison ein einziges Mal öfter.

Es erschien zuletzt, als seien diese Verletztheiten aus dem Frühsommer nicht verheilt. Und dass genau dort die Arbeit des Ancelotti-Nachfolgers Jupp Heynckes ansetzen muss. Er muss ja nicht nur diesen Verein wieder mit sich selbst versöhnen, der die jüngste, folgenreiche 0:3-Demütigung in der Champions League bei den Neureichen von Paris Saint-Germain zu bewältigen hat. Es ist auch längst nicht damit getan, Uli Hoeneß, den Präsidenten, und Karl-Heinz Rummenigge, den Klubvorstand, die lange mit zwei Zungen über die Hauspolitik des FC Bayern sprachen, in der Rolle des Friedensengels wieder auf ein synchrones Handeln einzuschwören.

Diese Retro-Mission, zu der der 72-Jährige nicht lange überredet werden musste, kann überhaupt nur gelingen, wenn Heynckes das Wesentliche in den Griff kriegt. Und das Wesentliche im Fußball, da besteht zwischen Kreisklasse und Weltpokal kein Unterschied, ist, dass die vordersten Angestellten, also die Lewandowskis, die Stürmer, die Offensiven bei Laune bleiben: dass sie das Tor treffen, um den Zweiflern an dieser überraschenden Comeback-Personalie erst gar keine Argumente für ein kräftiges Contra zu liefern.

Denn ausgerechnet bei diesem Klub, dessen Mythos auf den stämmigen O-Beinen des Gerd Müller gründet, gab es ja zuletzt dort vorne ein Problem. Nicht, weil Lewandowski nicht zuverlässig lieferte. Sondern weil es atmosphärisch, weil es im Binnenklima wie in jener Szene gegen Freiburg hakte. In der Lewandowski nicht mitkam, auch, weil ihm in der finalen Phase der Saison eine Schulterblessur die Körperspannung raubte. Das alles spiegelte sich in der Theatralik dieser Mannschaft: Dazu zählten hitzige öffentliche Debatten zwischen Lewandowski und Robben darüber, wer denn jetzt wem den Ball falsch zugespielt hatte. Ebenso jene Gesten der Verzweiflung des Thomas Müller, wenn wieder einmal ein Schussversuch eine andere als die gewünschte Richtung nahm. Die Bayern-Offensive hatte an Harmonie, Rhythmus und so an Qualität verloren.

Und trotzdem gelang es Lewandowski, eine Brücke zu den ganz Großen der Vergangenheit zu schlagen. Bevor der Pole zu den Bayern fand, waren die Dreißiger in der Torschützenliste der Bundesliga letztmals 1973/74 erreicht worden, in jener Saison wurde der erste Platz allerdings geteilt: Gerd Müller kam zwar nicht mehr an seine wohl ewige Rekordmarke "40" heran, aber 30 Tore genügten, um vorne zu liegen - gleichauf mit einem gewissen Heynckes von Borussia Mönchengladbach.

Auch deshalb werden sie jetzt wieder hervorgekramt, die alten Bilder. Vom Gerd und vom Jupp, mal in den kurzen Hosen, mal in den langen Hosen mit Schlag, mal im Blümchenhemd der Siebziger. Seither hat sich zwar vieles geändert in der Mode wie im Fußball, nicht aber die Grundauffassung, dass die Herren aus der Offensivabteilung sehr sensible Seelen sein können, die mal einen Lauf haben - und mal eben nicht. Sie bleiben Phänomene ihrer Launen, wie Thomas Müller, 28, der einst erfolgreich auf dem Rasen in Räumen unterwegs war, die nur er entdeckte. Deshalb wurde er als "der Raumdeuter" weltbekannt. Seit längerer Zeit aber streikt bisweilen der innere Kompass, Müller machte nur noch selten vorne fette Beute.

"Er ist ein ganz, ganz großer Spieler", sagte Heynckes jetzt. Sogleich nach der Begrüßungsfloskel ("Ich weiß, wo ich ansetzen muss") war das Müller-Lob einer der ersten Sätze mit programmatischem Charakter. Der neue, alte Trainer weiß aber offenbar auch, dass in den viereinhalb Jahren, in denen er aus München weg war, ein bisschen was verloren ging. Weshalb er für seinen weiteren Vortrag den Indikativ wählte: "Thomas kann sich vom Intellekt her, und von dem, was er bisher geleistet hat, als Führungsspieler hervortun."

Heynckes lobt auch Robben

Ähnlich salbungsvoll verfuhr Heynckes, dieser Stürmer-Versteher, im Fall von Arjen Robben. Zwar ist Robben eher ein klassischer Flügelflitzer, aber was den Torhunger betrifft, stellt der Rechtsaußen jede zentrale Spitze in den Schatten. Heynckes begrüßte ihn mit einer historischen Parallele: "Holland hat große Fußballer hervorgebracht wie Cruyff, Gullit, van Basten oder Rijkaard. Ich denke, dass man Arjen in diese Riege einstufen muss." Eine Einschätzung, die in Robbens Heimat gewiss diskutiert werden wird, fiel sie doch in die Woche der ganz großen Enttäuschung: Nach der EM 2016 verpasst das einstmals so ruhmreiche Oranje jetzt auch die WM 2018 - und Arjen Robben, 33, war der Kapitän. Er trat anschließend zurück.

In die Würdigung einer Lebensleistung bezieht Heynckes die Verdienste im Verein mit ein. Und natürlich das Jahr 2013, in welchem der FC Bayern unter seiner Regie und mit Robben am Flügel die Champions League gewann, während auf der anderen Seite, bei Borussia Dortmund, noch Robert Lewandowski litt. 29 Jahre ist der nun schon, soeben hat er Polen mit 16 Treffern in zehn Spielen zur WM katapultiert. Nicht wenige meinen, dass er, könnte er nur die resignativen Phasen aus seinem Spiel streichen, der kompletteste Zentralstürmer des Planeten wäre (der Portugiese Ronaldo kommt bekanntlich über den Flügel).

Weil so viel Talent selten ist, sahen sich die Oberen des Klubs erst jüngst herausgefordert, Lewandowski und dessen Management daran zu erinnern, dass er einen Vertrag bis 2021 unterschrieben hat, ohne Ausstiegsklausel. In diversen Interviews hatte die Lewandowski-Partei zuvor offensiv professionelle Anstrengungen - nicht nur Investitionen - beim Klub angemahnt, um energischer den Champions-League-Sieg anstreben zu können. Zumindest hat der Stürmer nun einen Trainer, der nicht nur weiß, wie dies mit Real Madrid geht (1998), sondern auch mit dem FC Bayern (2013).

Beginnen aber wird jetzt alles eine Klasse tiefer, in der Bundesliga. Am Samstag kommt zum Start einer Aufholjagd auf Borussia Dortmund mal wieder der SC Freiburg nach München. Und auch wenn Franck Ribéry lange verletzt fehlen wird, gibt es kaum einen besseren Test, um zu prüfen, ob all die Streicheleinheiten für die Offensiven auf Dauer Wirkung zeigen können. Heynckes ist zwar dafür bekannt, kein Hasardeur zu sein, er hat gerade noch einmal betont, dass in seinem Trainer- Alphabet "Fundament" vor "Fantasie" kommt: "Das A und O des Fußballs ist, stabil in der Defensive zu stehen." Dennoch wird er aus einer Not heraus gezwungen sein, leise eine Flucht nach vorne anzuordnen. Dazu muss es ihm gelingen, dieses nicht mehr ganz junge Dreieck Müller-Lewandowski-Robben hinter sich zu versammeln, es miteinander, im Einzelfall aber auch mit dem Klub zu versöhnen. Denn hinten, im Tor, fehlt jemand. Hinten fehlt die große Autorität. Der fußkranke Manuel Neuer winkt wieder mit den Krücken.

© SZ vom 14.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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