Emre Mor:"Ich habe vom Talent noch nichts Besseres gesehen"

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Emre Mor (r.) bereitete gegen Tschechien das 1:0 vor - es war sein erster Einsatz in der Startelf bei der Europameisterschaft in Frankreich. (Foto: Getty Images)

Trainer, Mitspieler und Experten schwärmen teilweise hemmungslos vom künftigen Dortmunder Emre Mor. Damit ihn die Türken einsetzen konnten, war ein Besuch im Gefängnis nötig.

Von Tobias Schächter, Lens

Burak Yilmaz gibt zu, bis vor acht Wochen noch nie etwas von diesem Emre Mor gehört zu haben. Damit geht es dem Mittelstürmer der türkischen Nationalmannschaft nicht anders wie den meisten Menschen auf diesem Planeten. Aber als er diesen Emre Mor dann im Training gesehen habe, erzählt Yilmaz, habe er nach ein paar Minuten sofort gemerkt, wie hochtalentiert der nur 1,68 Meter große Junge sei. Auch da geht es Yilmaz wie vielen Menschen, die den 18 Jahre alten Kicker zum ersten Mal spielen sehen: Sie staunen.

An diesem Dienstag stellte Emre Mor in Lens zum ersten Mal in der Startformation der türkischen Nationalelf seine große Begabung zur Schau. Auf der ganz großen Bühne, bei einem EM-Spiel gegen Tschechien, bei dem es für die zuvor zwei Mal bitter besiegten Türken um die letzte Chance ging, sich mit ihren Fans zu versöhnen.

Zwar schieden die Türken trotz des Sieges als Dritter der Gruppe D aus, aber Emre Mor bewies beim 2:0-Sieg, was er in seinen bisherigen Kurzeinsätzen angedeutet hatte: Der Teenager ist ein riesiges Versprechen für die Zukunft. Ohne Angst und den Blick selbst in höchstem Tempo immer oben zog Mor ein uns andere Mal los. Das frühe 1:0 von Burak Yilmaz (10.) bereitete er nach einem unwiderstehlichen Antritt mit seinem schwächeren rechten Fuß vor. Yilmaz sagt: "Emre ist unsere Blume. Wir werden ihn hegen und pflegen."

BVB hat wohl eine Attraktion für die Bundesliga gewonnen

Yilmaz, ein 30 Jahre alter Haudegen, der mittlerweile in China viel Geld verdient, gratulierte Mor zu seinem Wechsel zu Borussia Dortmund. Angeblich 9,5 Millionen Euro überweisen die Dortmunder an den dänischen Klub FC Nordsjaelland; Mor ist in Kopenhagen als Sohn eines Türken und einer Mazedonierin geboren.

Wenn nicht alles täuscht, hat die Borussia mit diesem Tempodribbler eine Attraktion für die Bundesliga gewonnen. Nachdem er vor drei Wochen einen Fünfjahresvertrag unterschrieben hatte, sagte er in flüssigem Englisch: "Niemand sagt nein zu Dortmund", und fügte über BVB-Trainer Thomas Tuchel schwärmerisch hinzu: "The Manager loves me." Nuri Sahin, sein künftiger Teamkollege in Dortmund, und der Leverkusener Hakan Calhanoglu lernen während der EM schon ein bisschen Deutsch mit Mor; Türkisch versteht der schmächtige Junge mit dem wachen Blick kaum, er spricht es nur radebrechend.

Das ist derzeit vielleicht ein Vorteil, denn bei dieser EM zeigt sich im Zeitraffer, wie schnell Talente in der Türkei zu Superstars erklärt und wie schnell sie von der zur Hysterie neigenden Sportpresse im Land dann zu Sündenböcken gestempelt werden. Als Mor nach dem 0:1 gegen Kroatien in Paris ein Selfie mit Luka Modric machte, wurde das als unterwürfige Geste interpretiert. Auch wurden Gerüchte lanciert, er werde von den Kollegen im Training geschnitten. "Alles Bullshit", sagt Mor: "Meine Kollegen behandeln mich alle wie ihren kleinen Bruder."

Überall, wo Mor auftaucht, rufen die türkischen Fans seinen Namen. Nationaltrainer Fatih Terim sagte nach dem Spiel gegen Tschechien über Mor: "Mit ihm hat der türkische Fußball einen großen Spieler gewonnen. Er war heute unser Retter." Terims Emissäre, die in ganz Europa nach Talenten mit türkischen Wurzeln suchen, mussten für Mor sogar ins Gefängnis. Dort saß laut türkischen Medien kurze Zeit dessen Vater ein, weil er ohne Versicherung Auto gefahren war. Um die türkische Staatsbürgerschaft für den damals minderjährigen Jungen beantragen zu können, brauchten die türkischen Talentsucher aber die Unterschrift des Vaters. Emre, der mit 16 mit Erlaubnis seiner Mutter von der Schule gehen durfte, um Profi zu werden, hatte bis zur U19 für Dänemark gespielt.

Selbst zurückhaltende Fachleute schwärmen von Mor

Seit seinem Profi-Debüt im vergangenen November für Nordsjaelland gilt Mor als Wunderkind. Selbst sonst zurückhaltende Fachleute schwärmen von einem "neuen Messi", wenn sie über ihn reden. Nordsjaellands Trainer Kasper Hjulmand, der einst acht Monate bei Mainz 05 für seine Nüchternheit berüchtigt war, sagt: "Emre hat so viel Geschwindigkeit in seinen Füßen und ist so unvorhersehbar. Wenn man erwartet, dass er jetzt einen Pass spielt, macht er stattdessen noch ein Dribbling und ändert die Richtung. Und wenn er das macht, ist er nicht mehr zu fassen - das ist einfach unmöglich." Und Otto Addo, Hjulmands Assistent, sagt: "Ich habe vom Talent noch nichts Besseres gesehen. Wie er dribbelt, erinnert wirklich an Messi."

Der BVB-Routinier Nuri Sahin, 27, kümmert sich bei der türkischen Mannschaft um Mor. "Ich habe Emre unter meine Fittiche genommen", erzählt Sahin: "Auch ich bin diesen steinigen Weg gegangen, deswegen kann ich mich in ihn hineinversetzen. Emre hat ein Wahnsinnstalent, jetzt liegt es an uns, wie wir damit umgehen."

Wenn Mor sich weniger über seine Fehler ärgert, weniger mit dem Schiedsrichter hadert und noch mehr Reife gewinnt, ist er für fast jede Mannschaft eine Verstärkung. Selbstbewusstsein hat er schon, er sagt: "Wenn ich in der richtigen Stimmung bin, dann habe ich das Gefühl, dass ich praktisch alles schaffen kann."

© SZ vom 23.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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