Dresdens Pokalerfolg über Schalke:Aus der Not eine Jugend

Dynamo Dresden players celebrate after they defeated Schalke 04 during their German soccer cup match in Dresden

Dresden rastet aus: Nach dem 2:1 gegen Schalke war es laut im Stadion. Sehr laut.

(Foto: REUTERS)

Plötzlich jubelt eine ganze Region: Dynamo Dresden betrachtet den Sieg gegen Schalke 04 als erste kleine Rendite kluger und bescheidender Investitionen. Die Zwischenbilanz dieser noch blutjungen Saison ist für den Klub zum Augenreiben schön.

Von Cornelius Pollmer, Dresden

Die Zeugen Jehovas hatten ihren Tapeziertisch strategisch klug postiert, nur ein paar hundert Meter vom Stadion entfernt und vis-à-vis von Acki's Sportsbar, wo sich vor den Heimspielen der SG Dynamo Dresden traditionell die Lauf- und Saufkundschaft des Vereins zum Warm-up versammelt. Also drehten die Zeugen Jehovas einen ihrer Aufsteller in Richtung der Dynamos, darauf zu lesen war eine verhalten knackige Suggestivfrage: "Das Leben: Reiner Zufall?"

Im Umfeld von Dynamo Dresden gibt es auf diese Frage derzeit nur eine mögliche Antwort, und der 2:1-Sieg im Pokal gegen Schalke hat Verein und Fans in ihrem Nein noch einmal bekräftigt. Die Zwischenbilanz dieser natürlich noch blutjungen Saison ist für Dynamo zum Augenreiben schön: In den Büchern stehen zehn Punkte aus vier Spielen in der dritten Liga, dazu das kleine Pokalwunder vom Montag - vor allem aber das Gefühl, dass diese ersten Erfolge eben nicht zufällig geschehen sind.

Das neue Leben des Vereins geht vielmehr auf absichtsvolles Handeln von Sportdirektor Ralf Minge und Trainer Stefan Böger zurück. Der Abstieg aus der zweiten Liga zu Beginn dieses Sommers war für Dynamo nichts anderes als eine Katastrophe, am Ende desselben aber scheint diese Katastrophe sich als Katharsis zu erweisen. Minge und Böger haben aus der Not eine Jugend gemacht und einen Kader komponiert, dessen Vorzüge sich am Montag gegen Schalke exemplarisch zeigten.

Da wären etwa die vielen neuen Nachwuchskräfte Dresdens, die sich trotz guter Ausbildung bei höherklassigen Vereinen nicht hatten durchsetzen können und die bei Dynamo nun einen reizvollen zweiten Anlauf nehmen wollen. Als Beispiele sind Luca Dürholtz (21, Leverkusen) zu nennen und Dennis Erdmann (23, Schalke), dessen Leistungen in dieser Saison sich nicht allein mit seiner bewährten Glücksunterhose erklären lassen ("Mit Marsmännchen bedeckt, eng anliegend, mehr sage ich nicht").

Außerdem: der nun leider an Drüsenfieber erkrankte Michael Hefele (23, Fürth). Eine Blutuntersuchung ergab am Dienstag die Diagnose. Hefele hatte zuvor alle fünf Pflichtspiele der Dresdner über jeweils 90 Minuten bestritten. Dabei schoss er in der Liga sogar zwei Tore. Als Innenverteidiger. Hinzu kommen ein paar Erscheinungen aus der eigenen Jugend, aus welcher Dynamo in der jüngeren Vergangenheit eher selten und mit wechselhafter Qualität beliefert worden war.

Auch "Rentner" dabei

Nils Teixeira (24, FSV Frankfurt) vergaß nach dem Spiel gegen Schalke nicht, auf einen Altvorderen hinzuweisen, den eine solche U-bis-Mitte-Zwanzig-Auswahl auch braucht: "Wir haben ja unseren Rentner wieder auf dem Platz gehabt, den Christian", sagte Teixeira über den Kapitän Fiel, dessen Alter (34) sich inzwischen bedrohlich seiner Rückennummer (40) annähert.

Fiel war nach einem Zehenbruch und nur wenigen Trainingseinheiten in das eistonnenkalte Wasser dieses Pokalspiels geworfen worden, seine strukturbildende Bedeutung zeigte sich exemplarisch nach Schalkes Anschlusstor. Das 2:1 verpuffte, Dynamo wackelte nicht. "Das haben sich die Jungs verdient", sagte Fiel später, als hätte er gar nicht mitgespielt - oder nur als der Spielertrainer, der er letzte Saison schon aus gutem Grund nicht werden wollte.

Der Trainer heißt ja auch Böger - und der stand die meiste Zeil des Spiels so ruhig an der Seitenlinie, als würde er auf den 333er Bus nach Mohorn warten. In der Pressekonferenz vor dem Spiel hatte Böger ein kleines l verschluckt und bescheiden angekündigt, Dynamo werde aus der Beobachtung Schalkes einige "Schüsse ziehen". Dies gelang hervorragend, belohnt erst durch Eilers per Elfmeter (1:0/24.), später durch Teixeira (2:0/50.).

Überhaupt tut Bögers zwar beherrscht positive, zugleich aber Euphorie-resistente Art dem Verein gut bis sehr gut. Ein Mann, der seine Karriere bei der BSG Umformtechnik Erfurt begann, kann bei Dynamo nicht ganz falsch sein - dass Böger zuletzt sechs Jahre lang Jugendauswahlen des DFB trainiert hat, qualifiziert ihn erst recht für die Aufgabe als Herbergsvater in Dresden.

Die bebende Fan-Tribüne trägt weiter zum Gelingen bei

Die impulsive Anhängerschaft des Vereins sieht das ähnlich, sie begleitet den Neuaufbau des Vereins in gewohnt großer Zahl. Auch für sie war das Spiel gegen Schalke 04 ein besonderes, mit 2700 Gästefans aus dem Ruhrpott hatten sie das erste Mal so etwas wie einen Gegner. In der dritten Liga hört man aus dem Gästeblock oft nicht viel mehr als das Flattern selbstgenähter Fahnen im Wind, gegen Schalke aber zeigte sich die Verlässlichkeit des K-Blocks, der als bebende Klein-Ausgabe der Dortmunder Südkurve maßgeblich zum Gelingen des Abends beitrug.

Das Leben ist auch in diesem Block kein reiner Zufall, auf einem Banner bündelten die Fans ihren inzwischen fast folkloristischen Hass auf den DFB, der länger zurückreicht als zum Pokalausschluss vergangenes Jahr, mit der süßen Erinnerung an eigene Erfolge einst im Gewerkschaftscup der DDR. Auf dem Banner stand: "An die Frankfurter Bonzenzentrale: Wir haben genug Pokale!!!"

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