Olympia:Brasilianisches Sportministerium soll weniger Dopingtests angeordnet haben

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Eine von 465 brasilianischen Athleten bei Olympia: Judoka Sarah Menezes (rechts) (Foto: dpa)

Die Welt-Antidopingagentur Wada zeigt sich sehr besorgt über die Aussetzung der Kontrollen im Gastgeberland. Neue Vorwürfe gibt es auch in Kenia.

Von Thomas Kistner

Der olympische Alltag ist nun eingezogen, und das Thema Russland überlagert die Debatten nicht mehr allein. Hinzu kommen zwei kritische Bereiche, die den Spielen erhalten bleiben: schwere Vorwürfe gegen Kenias Leichtathleten, die zuletzt erfolgreichsten der Welt, sowie heikle Fragen an das gesamte Team der Gastgeber-Nation. Brasiliens Athleten war es in den vergangenen vier Wochen vergönnt gewesen, gar nicht mehr getestet zu werden; womöglich sogar noch länger. Was der merkantilen Attraktivität der Spiele sicherlich nicht schaden muss: Starke Auftritte der heimischen Sportlerschar sind stets ein wesentlicher Faktor für die Stimmung im Veranstalterland.

Kenias Delegationschef musste die Spiele derweil schon verlassen. Recherchen der englischen Zeitung Sunday Times und der ARD ergaben, dass Michael Rotich seine Leichtathleten vor anstehenden Dopingtests gewarnt haben soll. Vor versteckter Kamera bot er an, den Zeitpunkt von Kontrollen zu benennen, dafür forderte er rund 15 000 Euro. Offenbar hat sich das zum Geschäftsmodell entwickelt. Der Sohn des langjährigen Weltverbandschefs Lamine Diack, der in Frankreich festsitzt, trieb bei überführten Spitzenathleten hohe Beträge ein, um deren Positivbefunde zu vernichten. Nun fliegt diese Vorwarnungs-Variante auf.

Der Fall zeigt, wie unsinnig der Beschluss des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) im Juni war: Demnach durfte jeder Athlet Kenias und Russlands nach individueller Prüfung durch den Fachverband für die Spiele zugelassen werden. Das angeblich scharfe Schwert könnte zum lukrativen Erwerbsquell für Funktionäre geworden sein - indem sie das Wissen über bevorstehende Tests an ihre Athleten verkaufen.

Der Kanadier Richard Pound, der die Untersuchungen zum Systemdoping der russischen Leichtathleten geleitet hatte, sieht die Belege zu Kenia als ausreichend, um dort umfassende Ermittlungen anzuschieben. Alles gehöre auf den Prüfstand in dem Land, das bei der WM 2015 in Peking am besten abschnitt mit 16 Medaillen, darunter sieben goldenen. Bis Sonntagmittag aber, teilte Pound auf SZ-Anfrage mit, hatte er dazu noch nichts gehört von der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada und dem Internationalen Olympischen Komitee.

Kenias Sündenliste liest sich auch ohne den jüngsten Geschäftsdreh erschütternd. Ermittelt wird bereits gegen drei Spitzenleute des nationalen Verbandes Athletics Kenya (AK): Gegen ein vormaliges Vorstandsmitglied im Weltverband IAAF, den ehemaligen AK-Präsidenten sowie dessen Schatzmeister. Erst kürzlich erließ Kenia ein Anti-Doping-Gesetz, die Wada hatte zuvor mit dem Rauswurf von den Spielen gedroht. Dass sie Kenia nun vor zwei Tagen im Kreis der Länder willkommen hieß, die den Wada-Code erfüllen, ist eine Pointe unter vielen. Die Enthüller hatten mit der Story gewartet, um zu sehen, ob der Delegationschef Rotich ins Olympiastadion von Rio einmarschieren würde. Er tat es nicht; wie es heißt, soll er die Akkreditierungsfrist versäumt haben.

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AK-Sprecher Evans Bosire erzählte zwar der Times: "Wir haben sofort reagiert und den Teammanager zurückgezogen, damit wir seine Rolle untersuchen können." Wie ernst das gemeint ist, offenbarte eine Botschaft, die AK über den verbandsoffiziellen Twitterkanal an den beteiligten ARD-Mitarbeiter schickte: Er sei nur "eifersüchtig" auf Kenias Erfolge. Der Tweet wurde flott gelöscht, zeigt aber, wie kaltblütig es hinter Olympias Kulissen zugeht. Und auch, dass mit einer ernsthaften Untersuchung des Falles so wenig zu rechnen ist wie in der Causa der russischen Athleten.

Deren Spiele-Armada schwillt in Rio, dank weiterer Freisprüche des internationalen Sportgerichtshofs Cas, auf bis zu 280 Athleten an, und der russische IOC-Mann Alexander Schukow genoss die erste Goldmedaille durch Judoka Beslan Mudranow: "Das ist unsere Antwort an alle Missgünstigen." Die Problemländer Russland und Kenia eint offenkundig auch eine Art Neid-Rhetorik.

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Ins Bild der neuen Sauberkeit passt, dass Brasiliens Team einen Monat vor Spiele-Beginn die Dopingtests eingestellt hat. Dies bestätigte das Sportministerium der britischen Zeitung Times; das Labor in Rio sei ja für einige Wochen nicht zugelassen und Labore in angrenzenden Ländern seien überlastet gewesen. IOC-Sprecher Mark Adams reagierte mit der üblichen Solidaradresse: "Wir vertrauen sehr darauf, dass die Brasilianer ordnungsgemäß getestet wurden." Die Wada hingegen ist "sehr besorgt" darüber, dass das mit 465 Athleten zweitgrößte Team der Spiele "zu einem so wichtigen Zeitpunkt" ungetestet blieb.

Es ist schon pikant, dass die Gastgeber in einer so sensiblen Phase, als die ganze Welt über einen Kollektivausschluss der Russen debattierte, auf Tests verzichtet hat. Das Problem mit dem Zulassungs-Entzug für das Rio-Labor gab es schon 2014 vor der Fußball-WM; bei dieser fand ein echtes Testprogramm de facto nicht statt, weil alle Proben nach Lausanne geliefert werden mussten.

Im aktuellen Fall nun sagte ein hoher Offizieller des Rio-Labors der Times, er habe das Institut verlassen, weil das Sportministerium ihn und Kollegen zu weniger Kontrollen gedrängt habe. Zu Wort gemeldet hat sich auch Professor Luis Horta, vormals Chef des Labors in Portugal: Sportministerium und NOK in Brasilien hätten Druck für weniger Tests gemacht, die würden nur "das Training der Athleten stören". Horta geht gar davon aus, dass die Brasilianer über 45 Tage nicht ernsthaft getestet worden seien.

© SZ vom 08.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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