Die Nationalmannschaft und die Standards:Nun auch "Rrrums!" im Repertoire

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Tor nach einer Ecke: Mats Hummels (rechts) setzt sich gegen Andrea Barzagli durch und köpft gegen Italien das 1:0. (Foto: AFP)

In Joachim Löws Bild von Fußball haben Ecken und Freistöße bisher eine ähnliche Rolle gespielt wie der Anpfiff: Sie kommen halt im Regelwerk vor. Doch der Bundestrainer denkt vor der WM in Brasilien um. Das erste Erfolgserlebnis lässt nicht lange auf sich warten.

Von Christof Kneer

Joachim Löw weiß, dass es bei Turnieren immer ein bisschen dauert, bis er seine Lieblingsfrage zu hören bekommt. Die meisten Reporter fragen ja nur, ob der Spieler X wieder gesund sei, andere fragen, wie Löw das Aufbauspiel des Verteidigers Y gefallen habe, und es gibt auch immer welche, die vom Bundestrainer wissen wollen, ob er schon die Sehenswürdigkeiten in der Turnierstadt Z besichtigt habe.

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Die größte Herausforderung, seitdem er Bundestrainer ist: Vor der WM in Brasilien steht Joachim Löw unter Druck wie noch nie. Reinreden lässt er sich daher von niemandem und Kritik kontert er scharf - ob aus Dortmund, München oder England.

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Löw steht den meisten Fragen streng neutral gegenüber, er weiß ja: Die Reporter machen nur ihren Job. Aber die eine Frage, die mag er nicht besonders. Es ist die Frage, von der er weiß, dass sie irgendwann kommt, meistens in der K.o.-Phase eines Turniers, wenn am Vorabend eine Mannschaft eine andere Mannschaft mit einem Freistoß aus dem Turnier befördert hat. Dann streckt immer irgendein Reporter die Hand und fragt: Herr Löw, trainieren Sie diesmal Ecken und Freistöße?

Meistens sieht man Löw dann an, dass er sich ertappt fühlt. Bei der Ecken-und-Freistoß-Frage reagiert er wie ein abgebrühter Ehemann, der seiner Frau einigermaßen seriös erklären kann, warum er wieder das Einkaufen vergessen hat. Löw sagt dann, dass er Standardsituationen für wichtig halte, dass er aber so viele andere Dinge einstudieren musste, dass für Standardsituationen leider keine Zeit mehr war. Dann kommt die nächste Frage, und Löw atmet auf. Er weiß: Im Normalfall hat er's hinter sich. Bis zum nächsten Turnier.

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In Löws Bild von Fußball haben Ecken und Freistöße bisher eine ähnliche Rolle gespielt wie der Anpfiff: Sie kommen halt im Regelwerk vor, was will man machen. Hansi Flick, der Assistent und künftige Sportdirektor, ist ein Anhänger dieses traditionellen Stilmittels, aber sein Chef findet, dass Standardtore eher etwas für Teams sind, die nicht Fußball spielen können. In Löws Welt sollen einem Tor lieber 17 Ahhs! und Ohhs! vorausgehen, nicht nur ein Rrrums!.

Im Moment ist Löw aber gerade dabei, seine Welt ein wenig zu justieren. Er hat eine Menge Respekt vor der WM in Brasilien, vor den Reisen, den Temperaturschwankungen, den Gesetzen des fremden Kontinents. Eine "Urkraft" wirke in Brasilien, sagt Löw; er ahnt, dass eine Elf, die nur auf den Sitz ihrer Frisur achtet, im Dschungel dieses Turniers Probleme bekommen könnte. "Wir müssen unser Repertoire verbreitern", folgert der Bundestrainer und kündigt fürs WM-Trainingslager in Südtirol verschärftes Standardtraining an.

Dieses Thema liege ihm "schon lange im Magen", sagt Löw; er habe Flick "jetzt mal gesagt, dass er sich bis zur WM einige Varianten einfallen lassen soll, die wir dann in aller Konsequenz üben müssen". Das klingt genau so, wie es gemeint ist: Der Chefkoch akzeptiert die neue Geschmacksrichtung, aber die Kartoffeln putzen und die Möhrchen schneiden muss schon der Assistent.

Flick nimmt für sich in Anspruch, dass er die Sinne im Team bereits geschärft hat. Mit Vergnügen nimmt er Tore wie das in Italien zur Kenntnis: Ecke Kroos, Kopfball Hummels - 1:0. Kurz darauf gab's eine ähnliche Szene: Ecke Kroos, Höwedes köpft knapp vorbei. "Wir haben's vor dem Spiel nicht konkret trainiert, aber die Laufwege sind klar", sagt Flick, "und dieses Mal kamen die Bälle in die geplanten Zonen."

In Südtirol wird sich Flick Zeit nehmen für diese Disziplin, mehr, als er vor einem Testspiel zur Verfügung hat. Am Montag haben sie nach dem Training zwar noch ein paar Extra-Flanken geschlagen, aber in der Praxis werden sie mit dieser Übung weniger anfangen können. In der Mitte lauerte Oliver Bierhoff.

© SZ vom 19.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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