DFB-Sieg gegen Ukraine:Schweinsteigers Lauf in die Glückseligkeit

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Immer, wenn man ihn abschreibt, kommt er umso stärker zurück. Bastian Schweinsteiger hebt in nur vier Minuten Einsatzzeit für die DFB-Elf erheblich die Stimmung.

Von Thomas Hummel, Lille

Nach nur einer Stunde ist das Lachen schon wieder aus Bastian Schweinsteigers Gesicht verschwunden. Geduscht und frisiert schlendert er mit seinen Sachen unter dem Arm durch das Kellergeschoss des Stade Pierre-Mauroy in Richtung Mannschaftbus. Er wirkt eher in sich gekehrt und nachdenklich. Reden will er schon gar nicht mehr über seinen fulminanten Auftritt.

Das wäre seinem alten Kumpel Lukas Podolski nicht passiert. Der wäre nach so einer Vorstellung noch zwei Tage später mit einem breiten Grinsen ins Bett gestiegen. Selbst als Zuschauer reicht es bei dem Kölner bestimmt bis zum nächsten Mittag. Doch Schweinsteiger scheint mit zunehmendem Alter in der Öffentlichkeit immer introvertierter zu werden. Was allerdings weder den Bundestrainer noch die Mitspieler noch sonstwen im DFB-Tross stören dürfte. Solange er auf dem Platz derart die Sau rauslässt wie in an diesem Sonntagabend in Lille/Villeneuve-d'Ascq.

Nach 90 Minuten geschah, was vor kurzem nur die wenigsten für möglich hielten. Der 31-Jährige stand an der Seitenlinie zur Einwechslung bereit. Mit zwei Armen und zwei Beinen und sonst allem, was ein Fußballer braucht. Auch mit einem heilem Innenband im Knie, das in diesem Jahr schon zweimal gerissen war. Als er auf den Rasen lief, begrüßte ihn die deutsche Gemeinde auf der Tribüne mit einem derartigen Jubelschrei, dass Schweinsteiger schon nach ein paar Metern die Arme hob und sich für die Ovationen bedankte. Wohl gemerkt zu einem Zeitpunkt, als das Spiel gegen die Ukraine keineswegs entschieden war.

Er rennt und rennt und rennt

Schweinsteiger positionierte sich sogleich im Zentrum des Platzes, gab Anweisungen an die Mitspieler, wer sich nun für den Rest der gleich beginnenden Nachspielzeit wohin bewegen sollte. Er gewann einen Zweikampf, spielte einen Pass auf die linke Seite. Drei Minuten später lief ein Konter über Mesut Özil, im Strafraum winkte jemand und wollte den Ball. Özil brachte die Kugel zur Mitte und dort schoss der winkende Mitspieler das 2:0. Als er abdrehte, realisierte die meisten: Bastian Schweinsteiger war der Winkemann.

Er lief weiter, schneller als zuvor, zeigte sein schönstes Lachen. Jubelte mit Benedikt Höwedes, mit Jérôme Boateng, sprintete zur Ersatzbank, wo er so viel Zeit verbracht hatte an diesem Abend und klatschte jeden einzeln ab. Er rannte zu Manuel Neuer. Erst der Torwart tat das, was er das ganze Spiel über getan hatte: Er griff herzhaft zu und Schweinsteigers langer Lauf in die Glückseligkeit war beendet.

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"Der Sprint nach vorne und dann der Jubel, das war schon lang, ich bin ein bisschen außer Atem", erklärte Schweinsteiger nach dem Schlusspfiff und war merklich angefasst von den Emotionen. "Es war unglaublich, dass es so etwas gibt, kann man sich nur wünschen. Es tut einfach gut, wenn die Menschen so reagieren."

Am 23. März war ihm zum zweiten Mal in diesem Jahr dasselbe Innenband gerissen. Es blieben nicht einmal zwei Monate bis zur Nominierung für die Europameisterschaft, eine sehr knapp bemessene Spanne. Doch Bastian Schweinsteiger ist seinem Ruf wieder einmal gerecht geworden: Immer dann, wenn man ihn abschreibt, kommt er umso stärker zurück.

Schon vor der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien hatte er die Vorbereitungszeit mit Blessuren begonnen. Vom Trainerteam langsam herangeführt, wurde er im Turnier immer wichtiger für die Mannschaft. Mit dem Höhepunkt im Finale von Rio, das er als blutender Eisenmann mit dem Weltpokal beendete.

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Auch diesmal wollte ihn Bundestrainer Joachim Löw partout nicht abschreiben. Seit Wochen wiederholte er, dass er fest mit der Rückkehr seines Kapitäns rechne. Er kenne Schweinsteiger und wisse um dessen Ehrgeiz. Dieser werde alles tun, um rechtzeitig fit zu werden. Allem Anschein nach schaffte es der Oberbayer, der jetzt Profi von Manchester United ist, tatsächlich. "Meine Verletzung war ausgeheilt, ich fühle mich sehr gut", sagte er.

Schweinsteiger, das Vorbild

Löw war glücklich, dass sich Schweinsteigers "ganze Schufterei der vergangenen Wochen und Monate gelohnt haben". Dass er nicht nur wieder auf den Platz laufen könne, sondern gleich auch noch ein Tor mache. Dann folgte ein Satz, der die Wertschätzung für diesen Spieler ausdrückte: "Das wird ihm und uns allen Auftrieb geben." Für Löw ist Bastian Schweinsteiger eben mehr als ein normales Mitglied der Mannschaft.

Spätestens nach den Rücktritten von Miroslav Klose und Philipp Lahm ist er seine Integrationsfigur, das Vorbild im Kader. Auch die Absetzung als Kapitän stand für den Bundestrainer nie zur Debatte. Shkodran Mustafi hat das schon verinnerlicht: "Er hat einen starken Willen. Wie die Mannschaft heute am Ende gekämpft hat, das ist auch ein Spiegelbild von Basti."

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