DFB-Pokalfinale:Die Fans haben nicht Helene Fischer ausgepfiffen, ...

Eintracht Frankfurt v Borussia Dortmund  - DFB Cup Final 2017

Pfeifkonzert in der Pause: Helene Fischer singt im Berliner Olympiastadion.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

... sondern das Symbol Helene Fischer. Das klingt paradox, steht aber für alles Schlechte, was Fans im modernen Fußball sehen.

Kommentar von Martin Schneider

War das purer Sarkasmus, ausgerechnet von Helene Fischer? Am Ende ihrer Show rief sie in die Pfiffe des Publikums hinein: "Dankeschön Berlin! Viel Spaß bei der zweiten Halbzeit." Es war wirklich nicht herauszuhören, ob sie sich aus Professionalität bedankte, weil man das eben so macht, oder aus Hilflosigkeit, weil sie sonst nichts sagen konnte, oder ob es am Ende wirklich Galgenhumor war. Sie ging von der Bühne, und dann ging es mit Fußball weiter.

Helene Fischer hat sich am Samstagabend während ihres Auftritts in der Pause des DFB-Pokalfinales ein Pfeifkonzert anhören müssen, für dessen Beschreibung sich die Adjektive "infernalisch" und "gnadenlos" anbieten. Als sie angekündigt wurde, ging das Stadion in einem Meer aus schrillen Tönen unter. Während ihres Auftritts ging den Pfeifern mal ein bisschen die Luft aus, am Ende war es nochmal eine ohrenbetäubende Kakophonie der Ablehnung. Im Fernsehen wurden bei der Übertragung die Außenmikrofone heruntergepegelt - und trotzdem bekam man es noch mit.

Warum diese heftige Reaktion? Hat Helene Fischer irgendwem etwas getan? Sich unsportlich verhalten, etwas provozierendes gesagt? Nein, hat sie natürlich nicht. Die Fans im Berliner Olympiastadion haben auch nicht Helene Fischer ausgepfiffen. Auch wenn sie natürlich Helene Fischer ausgepfiffen haben. Die Fans haben das Symbol Helene Fischer ausgepfiffen. Das klingt paradox, ist aber ein Riesenunterschied.

Die Person und die Künstlerin Helene Fischer hatte absolut keine Chance. Wahrscheinlich haben in diesem Moment sogar viele gepfiffen, die in einem anderen Rahmen "Atemlos" oder andere ihrer Lieder gerne mitsingen. Aber als sie zwischen den Backgroundtänzern auf der Bühne des Olympiastadions sang, stand die 32-Jährige für alles Schlechte, was Fans im modernen Fußball sehen. Kommerzialisierung, Eventisierung, künstliche Stimmung, Show statt Sport. Manche nannten das vor dem Spiel Helenefischerisierung des Fußballs.

Fischer trat in Berlin zum Beispiel in der Pause auf, und auch wenn im Fußball durchaus schonmal Musik-Bands aufgetreten sind, während die Teams in die Kabine gingen, war das in diesem Rahmen der Versuch, das Rad ein bisschen weiter zu drehen. Eine Woche zuvor war das bereits schiefgegangen. Am letzten Bundesligaspieltag trat in München die Sängerin Anastacia zwischen erster und zweiter Hälfte auf, sie überzog ihren Auftritt um mehrere Minuten, es gab Probleme beim Abbau der Bühne. Die Freiburger, für die es noch um den Einzug in die Europa League ging, fühlten sich verschaukelt. Selbst den Bayern-Spielern war das peinlich. Arjen Robben entschuldigte sich noch auf dem Spielfeld bei Freiburgs Trainer Christian Streich.

Den Adidas-Chef kann man nicht auspfeifen

Halbzeitshows kennt man vom amerikanischen Super Bowl, dort gehören sie dazu, im Fußball gibt es sie so nicht. In vielen Bundesligastadien dudelt in der Pause zwar auch Helene-Fischer-Musik aus den Boxen und der Stadionsprecher ruft zu irgendeinem Sponsorengewinnspiel auf, aber eigentlich passiert in der Pause für gewöhnlich: nicht viel. Die 15 Minuten sind dazu da, um auf die Toilette zu gehen, zum Bratwurststand oder um mit dem Nebenmann über das Spiel zu quatschen. Kurz: Es ist eine Pause.

Das mag man jetzt für sich genommen kleingeistig finden und sich fragen, warum es so ein Pfeifkonzert rechtfertigt, allerdings ist es Teil einer größeren Entwicklung. Wer über Jahre ins Stadion geht, der bemerkt, wie der Fußball sich von Sport immer mehr zur Show wandelt. Es gibt Eröffnungsfeiern mit DJs, die Stimmung erzeugen sollen, aber oft in großer Peinlichkeit enden, die Eckbälle werden bei kleineren Vereinen vom lokalen Autohaus und bei größeren von DAX-Konzernen präsentiert, die Anstoßzeiten des Bundesliga-Spieltags werden immer mehr zerschossen (nächste Saison wird erstmals auch am Montag gespielt, was es für berufstätige Menschen immer schwerer macht, in ein Stadion zu gehen), und am Ende der Modernen-Fußball-Skala sagt der Adidas-Chef Kasper Rorstedt, er könne sich vorstellen, dass das Pokalfinale auch mal in Shanghai stattfindet. Wegen des asiatischen Marktes und weil man schließlich wachsen müsse. Kasper Rorstedt kann man nicht auspfeifen, Helene Fischer schon.

Fatale Boschaft des DFB an die Fans

Dazu kommt, dass Fans - vor allem die Ultra-Fraktionen - für sich in Anspruch nehmen, für die Stimmung im Stadion selbst verantwortlich zu sein. Die immer wieder gelobte besondere Atmosphäre des DFB-Pokalfinales kommt übrigens vor allem daher, dass es das einzige Spiel des Jahres ist, in dem zwei gleich große Fanlager aufeinandertreffen. Der eine Verein in der Berliner Ostkurve, der andere rund um das Marathontor. Normalerweise ist bei jedem Bundesligaspiel ein Klub in der Überzahl, weil das Pokalfinale aber auf neutralem Grund stattfindet, ist dieses natürliche Ungleichgewicht einmal im Jahr aufgehoben.

Wer Helene Fischer in der Halbzeit auftreten lässt, vermittelt auch die Botschaft: Mir reicht eure Stimmung nicht, ich will selbst für mehr Stimmung sorgen. Der Deutsche Fußball-Bund hätte das ahnen können. Er weiß, dass er es bei Frankfurtern und Dortmundern mit anderen Fans zu tun hat, als beim Familien-Publikum der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Er hat es trotzdem riskiert und Helene Fischer der Arena ausgeliefert, wenn man so will.

Fischer postete vor dem Spiel übrigens ein Foto auf Facebook, auf dem sie ein Halb-Halb-Trikot beider Vereine trägt, dazu schrieb sie, dass sie Frankfurt und Dortmund die Daumen drückt und beide zu Pokalgewinnern erklärt. Kurz darauf ging sie in ein Stadion, in dem kein einziger Mensch beiden Vereinen die Daumen drückte. Dass Helene Fischer in ihrer ganzen künstlerischen Konzeption für saubere, konfliktfreie Unterhaltung steht (Jan Böhmermann bezeichnete sie mal als "singende Sagrotan-Flasche") und Fußball-Fans in ihrer ganzen Konzeption eher ein archaisches Element haben, wirkt als Katalysator, und am Ende dieser ganzen Entwicklungsstränge steht dann ein achtminütiges Pfeifkonzert.

Die Erkenntnis dieses Vorfalls? Fußballfans wollen in einem Fußball-Stadion hauptsächlich Fußball schauen. So einfach, so banal.

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