DFB-Elf nach Sieg in Schweden:Selbst die Spieler lachen über die Fußballkomödie

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Bestens amüsiert: Der dreifache Torschütze André Schürrle (Mitte), Mesut Özil (rechts) und Mario Götze in Stockholm (Foto: dpa)

Schon wieder drei Gegentore? Egal! Dann schießt die deutsche Nationalmannschaft halt fünf. Das klappt zwar nicht immer so wie beim Sieg in der WM-Qualifikation in Schweden. Die DFB-Elf weigert sich aber, sich deshalb die gute Laune verderben zu lassen.

Von Thomas Hummel, Stockholm

Manuel Neuer hat nun eine Eigenheit weltexklusiv für sich: Er dürfte der erste professionelle Fußball-Torwart sein, der nach drei Gegentoren in einem Pflichtspiel munter und fidel aus der Kabine kam und mit sanfter Stimme ein paar Interviews gab: "Offenbar muss es gegen Schweden solche Eishockey-Ergebnisse geben", sagte Neuer seelenruhig. Er freue sich mehr über die fünf geschossenen Tore seiner Mitspieler, als dass er sich über die drei Kugeln in seinem Netz ärgere. Oliver Kahn als Analyst im Studio des ZDF hat angesichts dieser Aussage vermutlich ein Schauer ergriffen.

Die deutsche Nationalmannschaft mutiert in Spielen, die lediglich Test- oder Freundschaftscharakter haben, zu einem Unterhaltungszirkus. Das geht seit Monaten so. Sie begeistert damit die Freunde des Spektakels und des Offensivfußballs genauso wie Marketing- und Werbefachleute. Mit diesem Produkt leichtlebiger Künstler mit schönen Frisuren identifiziert man sich gerne und lässt sich viel Geld verdienen. Schießt der Gegner drei, schießen sie halt fünf. Weil sie über so viel Talent verfügen, dass es einfach egal ist, was sich da hinten tut.

Immer geht das zwar nicht gut: 4:2 gegen Ecuador, 3:3 gegen Paraguay, 4:4 in Berlin gegen Schweden, dazwischen auch mal 3:5 gegen die Schweiz oder 3:4 gegen die USA. In der Friends Arena zu Stockholm aber reichte die Fülle an Artisten in der Offensive aus. 5:3 gewannen die Deutschen in diesem für die Tabelle nicht mehr entscheidenden letzten WM-Qualifikationsspiel, obwohl die Schweden nach 40 Minuten 2:0 geführt hatten. Mesut Özil (44.), Mario Götze (53.) und dreimal André Schürrle (57./66./76.) erzielten die Treffer.

DFB-Elf in der Einzelkritik
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André Schürrle rattert los, als sei er motorisiert. Mario Götze erinnert die Zuschauer daran, was für ein guter Fußballer Mario Götze ist. Philipp Lahm wähnt sich bei einem A-Jugend-Freundschaftskick in Dießen am Ammersee. Die deutsche Nationalmannschaft beim 5:3 gegen Schweden in der Einzelkritik.

Von Thomas Hummel, Stockholm

Zu Null klappt nur selten

In den vergangenen neun Partien erzielte die Nationalmannschaft mindestens drei Tore pro Spiel. Durch das Spektakel von Stockholm übertraf diese Elf mit 36 Treffern den Torrekord einer deutschen WM-Qualifikation; bislang lagen Karl-Heinz Rummenigge, Klaus Fischer und Horst Hrubesch vorne aus der Qualifikation zur WM 1982. Als Mannschaften wie Finnland oder Albanien mit dem organisierten Verteidigen noch immense Schwierigkeiten hatten.

Aber kann man so nächstes Jahr den ersehnten Titel gewinnen? Zum Vergleich: Die Spanier spielten zuletzt zehn Mal in Folge in einem K.-o.-Spiel bei großen Turnieren zu Null und gewannen damit zwei Europameisterschaften und eine Weltmeisterschaft hintereinander. Gegen eben diese Spanier, gegen Italiener oder Brasilianer wird es auch mit André Schürrle oder Mario Götze in Bestform schwer werden, mal eben ein 0:2 aufzuholen.

Die deutschen Spieler gingen in Stockholm mit dem Problem der vielen Gegentore verblüffend gut gelaunt um. "Bei der WM wird es schwierig, gegen uns Tore zu machen", sagte Bastian Schweinsteiger: "Ich bin mir sicher, dass wir defensiv gut stehen werden. Es wird schwer, uns zu schlagen." Philipp Lahm diagnostizierte eine fehlende Abstimmung in der Abwehr, was daran liege, dass die Spieler eben aus verschiedenen Vereinen kämen und dort jeweils "andere Philosophien" in der Defensivarbeit pflegten. Er sei sich aber ebenso sicher wie Schweinsteiger, dass in Brasilien die deutsche Abwehr stehen werde, in der mehrwöchigen Vorbereitungszeit werde die nötige Justierung schon erarbeitet.

Dabei zeigte die Mannschaft in Stockholm defensiv ihre gewohnten Schwächen. Im zentralen Mittelfeld mit Özil, Kroos und Schweinsteiger fehlt ein Mann mit bissigem Zweikampfverhalten und dem Gefühl, wann und wo der Gegner attackiert werden muss, um den entscheidenden Pass in die Spitze zu verhindern. So durften Sebastian Larsson und Kim Källström ihre Angreifer Tobias Hysén (6.) und Alexander Kačaniklić (42.) wunderbar bedienen, diese nutzten die Vorlagen entschlossen zu Toren.

Zweimal machte Innenverteidiger Jérôme Boateng einen orientierungslosen Eindruck. Er erkannte beim 0:1 die Gefahr zu spät und nahm das Tempo Hyséns zu spät auf. Beim 0:2 rückte er unnötig nach vorne, um wohl auf Abseits zu spielen, vergaß aber dabei, dem Kollegen Mats Hummels Bescheid zu sagen, der dann aussichtslos hinterher hechelte.

Und beim dritten Gegentor? "Da haben wir geschlafen. Der Freistoß kam schneller als erwartet, das darf uns nicht passieren", erklärte Lahm. Wieder fand sich Hysén alleine wie ein Nachtschwärmer im nahe gelegenen Kungliga nationalstadsparken wieder und drosch den Ball volley ins Netz (69.).

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Drei Treffer in einer Partie schaffte André Schürrle noch nie: Wenn der stark verbesserte Offensivmann vom FC Chelsea so weitermacht wie beim 5:3 in Schweden, werden die Gegner kaum mehr Freude an ihrem Beruf haben - Bundestrainer Joachim Löw stellt dem Londoner schon Großes in Aussicht.

Von Thomas Hummel, Stockholm

Löw reagiert richtig

Im Gegensatz zum grotesken 4:4 von Berlin griff Bundestrainer Joachim Löw beim Stand von 3:4 diesmal ein, er brachte Verteidiger Benedikt Höwedes für Stürmer Max Kruse und stellte Defensivdenker Lahm als Wellenbrecher ins zentrale Mittelfeld. Damit schloss er für die letzten Minuten die oft verwaiste Zentrale, Schürrles 5:3 raubte den Schweden dann den Mut.

Löw betonte allerdings nach dieser Fußballkomödie von Stockholm, dass er mit Lahm für den Posten rechts hinten plane. Er glaubt, dass er den anderen Mittelfeldspielern das Verteidigen in der Vorbereitung zur WM schon noch beibringen wird und hat ja mit Sami Khedira und den Bender-Zwillingen Alternativen, die für eine Sicherheitsvariante stehen würden. Doch dieses Thema wird die Nationalmannschaft ins Turnier begleiten. Löws Kritiker schreiben angesichts der ewigen Gegentor-Misere bereits ihre Abgesänge, sollte es wieder nicht klappen in Brasilien.

In Stockholm allerdings wollte sich der DFB-Tross die Laune keineswegs vermiesen lassen. Manager Oliver Bierhoff sagte: "Für die Zuschauer ist ein 5:3 vielleicht schöner, als ein trockenes 1:0 oder 2:0. Ich würde die Fehler bei diesem Spiel nicht so kritisch sehen."

Und selbst Kapitän Lahm, sonst oft der erste Mahner, erklärte lachend: "Für uns ist das auch unterhaltsam, es passiert ja viel auf dem Platz." Früher hätte sich wenigstens der Torwart über so viel Unterhaltung beschwert. Aber nicht einmal das ist mehr, wie es einmal war.

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