DFB-Elf:Konkurrenz von der Überholspur

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Sami Khedira (l.) neben Bundestrainer Joachim Löw: Spielt er auch bei der WM 2018? (Foto: Marius Becker/dpa)
  • Joachim Löw hat in der Stuttgarter Zeitung in einer Art Grundsatzstatement erklärt, er erwarte bei der WM in Russland "den härtesten Konkurrenzkampf, den wir je erlebt haben".
  • Sami Khedira könnte in den Mittelpunkt ideologischer Personaldebatten rücken.
  • Wer darf aufgrund seiner Verdienste noch mit, wer wird von junger Konkurrenz ersetzt?

Von Philipp Selldorf

Angekündigt wurde der Besuch von Sami Khedira, an seiner Stelle erschien aber Jonas Hector zum Pressetermin der Nationalmannschaft in Stuttgart. Es darf als sicher gelten, dass sich Hector nicht vorgedrängelt hat, weil er unbedingt ins DFB-Fernsehen wollte. Tatsächlich fehlte Khedira schon bei der Trainingsstunde, mit der Bundestrainer Jogi Löw seine Leute am Vormittag auf das WM-Qualifikationsspiel in Tschechien einstimmte. Khedira habe "Kniebeschwerden", teilte der DFB mit, "weitere Untersuchungen folgen". Möglich, dass der Mittelfeldmann von Juventus Turin am Freitagabend in Prag nicht zur Verfügung steht.

Schon als heranwachsender Spitzenspieler beim VfB Stuttgart hatte Khedira, dem immer eine spezielle Schwerkraft nachgesagt wurde, mit Kniebeschwerden zu tun. Als er bei der WM 2010 unter anderem durch den verletzungsbedingten Ausfall von Michael Ballack ins Zentrum des deutschen Mittelfeldes rückte, machten sich wohlmeinende Vertraute aus der schwäbischen Heimat Sorgen: Ob Knie und Körper im dichten Turnierrhythmus stabil bleiben würden? Die Sorge war nicht nötig, auch das Spiel um Platz drei hat der damals 23-Jährige nicht versäumt.

Sieben Sommer später darf Khedira auf eine Karriere zurückblicken, die ihm außer dem WM-Titel mit der Nationalelf unter anderem Meisterschaften in drei verschiedenen Ligen eintrug: mit dem VfB in Deutschland, mit Real Madrid in Spanien, mit Juventus in Italien. Er hat die Champions League gewonnen, den spanischen Superpokal sowie den Uefa-Supercup, er wurde Klub-Weltmeister und U21-Europameister. Was er nicht gewonnen hat: den Confederations Cup des Weltverbandes.

Bei der WM wäre Khedira 31

Diese Lücke mag in der Liste seiner Erfolge nicht auffallen, dennoch holt es Khedira jetzt ein, dass er im Urlaub war, während seine jungen Stellvertreter den Pokal gewannen. Am Wochenende hat er zu Bild gesagt, er "schätze die Spieler sehr", die in Russland erfolgreich waren. Er hat allerdings auch gesagt: "Aber das heißt ja nicht, dass sie automatisch einen Platz in der Startelf bekommen." Seinen Platz nämlich.

All die Leute, die sich während des Confed Cup Gedanken machten, wie man im nächsten Jahr die vielen fabelhaften neuen Nationalspieler in die WM-Elf integrieren soll, kamen irgendwann beim Namen Khedira an. Tatsächlich wird dieser altgediente Held zum Zeitpunkt der WM in Russland bereits den 31. Geburtstag gefeiert haben, was ein gewisses Argument darstellt im modernen Hochgeschwindigkeitsfußball. In Verbindung mit seiner nicht eben leuchtenden Spielweise könnte Khedira in den Mittelpunkt ideologischer Personaldebatten rücken. Einerseits braucht zwar niemand zu glauben, dass Jogi Löw aus läppischen Altersgründen bewährte Gefolgsleute in Pension schickt (Teamdoktor Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt feierte gerade seinen 75.); andererseits braucht aber auch niemand zu meinen, dass der Bundestrainer nichts gelernt hätte aus der EM 2016.

Deren Verlauf bleibt aus deutscher Sicht untrennbar mit der Geschichte um den mühselig beladenen Kapitän Bastian Schweinsteiger verbunden - eine unselige Geschichte, wie es jetzt im Nachhinein alle vorher gewusst haben wollen.

Löw hat in der Stuttgarter Zeitung in einer Art Grundsatzstatement erklärt, er erwarte bei der WM in Russland "den härtesten Konkurrenzkampf, den wir je erlebt haben. Seitdem ich dabei bin, war die Auswahl noch nie so groß". Khedira wie auch seine potenziellen Herausforderer Emre Can, Sebastian Rudy und Leon Goretzka sollten diese Anmerkung als Ansage auffassen. Hector hat es schon begriffen: "Man kann sich hier nicht ausruhen und ein bisschen Zeit nehmen - da kommt dann einer auf der Überholspur vorbei und nimmt dir den Platz weg." Selbst konservative Berechnungen ergeben, dass mindestens 40 Spieler in der engeren Wahl für den 23 Köpfe zählenden Kader stehen.

Dass Löw zum aktuellen Länderspiel-Doppel vorwiegend Confed-Cup-Sieger nominiert hat (17 von derzeit 23 Spielern; der U21-Europameister Serge Gnabry ist verletzt abgereist), wurde sogleich als Zeichen eines Wandels interpretiert. Oliver Bierhoff versuchte daraufhin klarzustellen, dass es durchaus ein paar unantastbare Alte gebe. Auf Anhieb fielen ihm allerdings lediglich Manuel Neuer und Toni Kroos ein. Der Name Thomas Müller fiel auch, allerdings vorwiegend im Laufe einer Fürsprache, die Bierhoff an Carlo Ancelotti richtete: "Ich hoffe", sagte der DFB-Manager, "dass sich auch Bayern bewusst wird, dass er einfach eine Identifikationsfigur des Vereins ist. Für Leute wie ihn kommen die Leute ins Stadion."

Solche Argumente sollten nun laut Löw aber gerade nicht zählen, wenn sich in dem Jahr bis zur WM im Nationalteam zwei Parteien begegnen: "Zum einen sehr viele erfahrene Kräfte, die nach wie vor gewaltige Qualitäten haben. Zum anderen viele junge, hungrige Spieler, die unbedingt noch einen ganz großen Titel gewinnen wollen." Wenn es um gewonnene Titel geht, ist Khedira bereits gut bedient, sein charakteristisches Selbstbewusstsein als Führungsspieler und sein ausgeprägtes Anspruchsdenken werden ihn aber davon abhalten, zugunsten der nächsten Generation zur Seite zu treten. Im vorigen Jahr hat er übrigens für Juventus 46 Einsätze absolviert, inklusive Champions-League-Finale.

© SZ vom 31.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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