Deutsche Nationalmannschaft:Löw erfindet seine Elf neu

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Joachim Löw, der Weltmeistertrainer, darf jetzt alles. Aber er darf den banalen Alltag der EM-Qualifikation nicht vergessen. (Foto: dpa)
  • Tüfteln, Pläne machen und in Zyklen denken: Joachim Löw darf jetzt wieder das tun, was er am liebsten macht.
  • Die Herausforderung ist, die banale Gegenwart dabei nicht zu vergessen.
  • In der EM-Qualifikation liegt der Weltmeister vor dem Test gegen Australien nur auf Platz drei.

Von Christof Kneer

Mario Gomez sei "immer noch irgendwie au' im Blickfeld", hat Joachim Löw am Dienstag gesagt, am Tag vor dem ersten offiziellen Länderspiel im offiziellen Jahr eins nach dem Weltmeistertitel. Die Pressekonferenz lief da schon über eine halbe Stunde, der Bundestrainer war einmal quer durch den Themenpark galoppiert, er hatte der Rückkehr von Bastian Schweinsteiger ebenso ein paar freundliche Worte gewidmet wie der Rückkehr von Holger Badstuber und Ilkay Gündogan, und die Gomez-Passage kam irgendwann nach der Podolski-Passage, oder vielleicht war das auch umgekehrt.

Für den weiteren Lauf der Welt war die Reihenfolge ohnehin unerheblich, denn Löw hat dem einen (Podolski) ebenso wie dem anderen (Gomez) eine Art Teilzeit-Vertrauen ausgesprochen. Er kenne ihre Qualitäten, sagte Löw, er wird sie nicht abschreiben. Jedenfalls solange nicht, bis er sie vielleicht doch abschreiben muss, aber das ist ja noch lange hin. Die Europameisterschaft in Frankreich findet erst in eineinviertel Jahren statt, und bis zur WM in Russland dauert's noch mal zwei Jahre länger.

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Am Ende war Löws beiläufige Formulierung über Gomez - immer noch irgendwie au' im Blickfeld - so etwas wie das Motto des Tages; der Satz war der heimliche Star der Veranstaltung. Er gibt präzise den aktuellen Aggregatszustand des Bundestrainers wieder, der mit dem Testspiel gegen Australien am Mittwoch und der EM-Qualifikationspartie in Georgien am Sonntag im Immer-noch-irgendwie-au'-Modus ins neue Fußballjahr startet.

Dass sein Team noch nicht auf WM-Niveau ist, sieht Löw recht entspannt

Im Kampfmodus ist Löw jedenfalls noch nicht, und er hat sich auch gar nicht die Mühe gemacht, die nächsten Tage zum großen Staatsakt aufzublasen, er hat keine pathetischen Parolen verbreitet - anders als vor einem Jahr, als der Bundestrainer, die WM vor Augen, ein paar feurige Appelle unters Volk gebracht hat.

Diesmal hat er zwar gesagt, dass "die nächsten beiden Qualifikationsspiele erste und oberste Priorität haben" und dass er aus den Partien in Georgien und in Gibraltar (13. Juni) natürlich sechs Punkte erwarte; viel lieber und viel häufiger hat er aber betont, "dass wir natürlich noch nicht da sind, wie wir in Brasilien waren" und dass man "jetzt Geduld" brauche. "Weder als Einheit noch in der Leistung her wir auf dem WM-Niveau", sagte Löw, aber er machte nicht den Eindruck, als fände er das besonders bedenklich.

Joachim Löw darf jetzt alles. Er ist in Brasilien etwas geworden, was ihm viele schon nicht mehr zugetraut haben, nämlich Weltmeister, er hat sein Team mit Verstand, Vernunft und demokratischer Führungskultur zum Titel gecoacht, und er hat dem Turnier sogar sein heiliges Haar geopfert. Im Spiel gegen die USA hat seine Frisur so sehr die Ordnung verloren, wie er das seiner Abwehr niemals gestatten würde, es war das Bild des Turniers:

Da stand er mitten im Tropenregen, Löw, der Allwettercoach, strapazierfähig wie nie. Das Klischee vom Trainer, dessen Fußball nur für Sonnentage taugt, hat er sich in Recife vom Leib waschen lassen. Joachim Löw muss jetzt erst mal nichts mehr beweisen.

Dem Fritz sein Wetter sei es, haben sie früher immer gesagt, wenn es regnete und Fritz Walter zu großer Form auflief. Im Moment herrscht dem Jogi sein Wetter im Weltmeisterland, dieser Trainer darf jetzt wieder das tun, was er am liebsten macht: Er darf mit seinen Vertrauten tüfteln und Pläne machen, er darf sich überlegen, wie er das Spiel seiner Weltmeister "ein Stück weit neu erfindet", wie er sagt.

Er darf mit Dreier- und Fünferketten hantieren, er darf das Spiel mit zwei Angreifern proben, obwohl er eigentlich nicht mal einen hat, und er muss nicht fürchten, dass die Kritiker das für überkandideltes Akademikerzeugs halten. Löws Entwicklerstab ist jetzt ein Fifa-zertifizierter Meisterbetrieb.

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Joachim Löw ist und bleibt Joachim Löw, aber ein bisschen hat ihn Brasilien schon verändert. Löw hat Geschmack gefunden an den großen Siegen, er wirkt stärker aufs konkrete Turnier-Ziel fixiert. "Entscheidend ist, dass wir die neuen taktischen Dinge bis zur EM oder auch in den Jahren danach verinnerlichen", hat er am Dienstag gesagt. Löws Vertraute sagen, dass vor allem die WM 2018 den Ausschlag für seine Vertragsverlängerung gegeben habe, der Bundestrainer begreift sich wieder ganz am Anfang eines Zyklus, an dessen Ende er gerne wieder diesen WM-Pokal hochheben würde.

Badstuber und Gündogan hat Löw Plätze in der Startelf versprochen

Löw denkt in großen Linien, und so kommt jetzt eine spezielle Art von Multitasking auf den Weltmeistertrainer zu. Dies ist die Herausforderung in Löws neuer Amtszeit: Er muss es schaffen, dass er beim verdienstvollen Denken an Morgen und Übermorgen das banale Heute mit erledigt. Seine Weltmeister sind im Moment nur Dritter in ihrer EM-Qualifikationsgruppe, und im September und Oktober stehen noch mutmaßlich stürmische Duelle in Schottland und Irland an, wo im Herbst gerne verschärfte Formen vom Fritz seinem Wetter anzutreffen sind.

Man brauche jetzt die drei Punkte in Georgien, "sonst geraten wir in der EM-Qualifikation noch viel mehr unter Zugzwang", hat Löw also verfügt, aber gleichzeitig zu erkennen gegeben, dass er sich noch keine großen Gedanken über die anstehenden beiden Partien gemacht hat. Er hat bekannt gegeben, dass Torwart Manuel Neuer wegen einer Schleimbeutelentzündung im Knie im ersten Spiel pausieren darf, und den Rückkehrern Badstuber und Gündogan hat er Plätze in der Startformation versprochen. Ansonsten, sagte Löw, müsse er noch das Abschlusstraining abwarten, aber er sei "durchaus bereit, gegen Australien das eine oder andere zu probieren".

Es ist Löws Plan, die Immer-noch-irgendwie-au'-Phase im ersten Halbjahr 2015 seriös zu überstehen, um dann ab September wieder an Körperspannung zuzulegen. Löw will dann auch jene Junioren, die bei der U21-EM im Juni überzeugt haben, in seinen Kader aufnehmen, er denkt an Kevin Volland, Max Meyer, Emre Can oder Torwart Marc-André ter Stegen. Ob Lukas Podolski, Mario Gomez oder Roman Weidenfeller dann noch dazugehören, wird Löw dann irgendwie au' entscheiden.

© SZ vom 25.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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