Deutsche Nationalmannschaft:Joachim Löw hat ein Luxusproblem

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Grenzgänger zwischen A-Nationalelf und U21: Leroy Sané, hier in einer U21-Partie gegen Polen. (Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Im Juni spielt die Nationalelf den Confed Cup in Russland - Bundestrainer Löw muss entscheiden, welche Profis er mitnimmt.
  • Gleichtzeitig geht es auch darum, welche Spieler mit der U21 zur EM reisen.
  • Für den DFB bedeutet dieser Sachverhalt ein Dilemma.

Von Christof Kneer

Auf einem der berühmtesten Fußballbilder des Landes ist Stefan Kuntz so aufdringlich platziert, dass man ihn fast schon wieder übersieht. Es kommt natürlich darauf an, ob man das Bild als Fotografie sieht, dann ist Kuntz der Mann neben dem Torwart. Oder ob man sich die Szene als Filmchen anschaut, Flanke Klinsmann, Bierhoff dreht sich und schießt.

Es wäre dem Ball gegenüber etwas ungerecht, ihn unhaltbar zu nennen, er fliegt recht demütig auf den Torwart zu, der ihn zur allgemeinen Überraschung durch die Hände rutschen lässt. Zur Überraschung auch von Stefan Kuntz, Rücken zur Kamera, Rückennummer 11. Man sieht, wie Kuntz' Arme zucken, wie sie sich nicht entscheiden können, ob sie sich jetzt zum Jubeln hochwerfen lassen sollen. Dann aber jubelt der ganze Kuntz, er dreht ab, rennt aus dem Bild, und von da an sieht man sowieso nur noch Bierhoff, der sich das Trikot vom Leibe reißt.

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Stefan Kuntz, 54, ist eine historische Figur im deutschen Fußball, keiner stand näher am einzigen golden goal der DFB-Geschichte. Dass Deutschland mit dem Stürmer Kuntz im Sommer 1996 Europameister geworden ist, das wüssten seine Spieler schon, sagt Kuntz, so viel Geschichtsbewusstsein traut er den Burschen - geboren 1994 und später - schon zu. Aber dass Kuntz, ihr Trainer, den entscheidenden Ball praktisch ins Tor gewinkt hat? Nö, sagt Kuntz, da habe ihn noch keiner drauf angesprochen.

Stefan Kuntz ist seit Herbst der Trainer der deutschen U 21-Auswahl, das ist an sich schon eine erstaunliche Geschichte. Dass Kuntz, der langjährige, zuletzt durchaus umstrittene Klubchef des 1. FC Kaiserslautern, ein ausgebildeter Trainer inklusive gültiger Lizenz ist, wusste ja keiner mehr, außer Kuntz möglicherweise.

Auch Hansi Flick, der inzwischen zurückgetretene Sportdirektor des DFB, hat sich irgendwann daran erinnert, und heute kann keiner von beiden mehr sagen, wer von ihnen genau die Idee hatte, Kuntz zum Trainer der U 21 zu machen - als Nachfolger von Horst Hrubesch, was die Geschichte vollends interessant macht. Denn es ist ja doch ein ganz aparter Epochenmix, den der DFB da angerührt hat: Die fürchterlich modern ausgebildeten Eliteschüler aus den Schicki-Micki-Internaten werden mit Vorgesetzten konfrontiert, die in den vormodernen Zeiten Helden waren.

"Ich sehe meine Rolle schon auch als Vertrauensperson, das ist eine ähnliche Idee wie bei Horst Hrubesch", sagt Kuntz und widerspricht der landläufigen These, wonach die Internatskinder nur noch mit akademischem Coaching zu erreichen seien. "Die Jungs beeindruckt nicht, dass ich beim golden goal im Bild bin, aber es beeindruckt sie schon, dass ich auf höchstem Niveau Erfahrungen gemacht habe, die ich in Geschichten verpacken kann."

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Das ist die Idee, die Flick dem DFB hinterlassen hat: Zwar ist der Juniorenbereich quer durch alle Teams mit zeitgenössisch geprägten Coaches ausgestattet, aber an der Spitze stehen eben der U 21-Trainer Kuntz und der aktuelle Sportdirektor Horst Hrubesch - zwei echte Neuner, deren Lauf- und Sprungwege noch von keinem Computer berechnet wurden.

Laptop und Lederhose: Das ist die Formel, mit der sie beim DFB jener Talent-Qualität gerecht werden wollen, die sie manchmal selbst kaum glauben können. Die Breite an der Spitze ist inzwischen so dicht geworden, dass Berti Vogts diesen exzellenten Spruch am besten gleich noch mal erfinden sollte. "Eine solche Auswahl an Toptalenten gab es noch nie", sagt Kuntz, "deshalb waren sich auch die A-Elf und die U 21 in der Geschichte des deutschen Fußballs noch nie so nah." Auch das macht die Karriere des wiederentdeckten Trainers Kuntz so kurios: dass er auf einmal auch Bundestrainer ist, irgendwie.

Es ist tatsächlich eine ganze Elf, die sowohl von Kuntz als auch von Jogi Löw trainiert wird: Leon Goretzka, Max Meyer, Benjamin Henrichs, Yannick Gerhardt und (der aktuell angeschlagene) Serge Gnabry waren im Herbst bei Löw, nun sind sie wieder bei Kuntz. Den umgekehrten Weg gingen Leroy Sané, Julian Brandt, Niklas Süle und Timo Werner: Sie spielten nicht mit der U 21 am Freitag beim 1:0 gegen England, sie spielen auch nicht gegen Portugal; sie sind mit Löw auf Reisen. Auch Jonathan Tah oder Julian Weigl sind Mitglieder beider Mannschaften, ganz abgesehen davon, dass auch Spieler wie Joshua Kimmich oder Emre Can noch eine offizielle Starterlaubnis für die U 21 besitzen.

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Man könnte es auch so sagen: Die klassische A-Elf besteht aus Neuer, Boateng, Hummels, Khedira, Kroos, Özil, Müller und Draxler, freundlich unterstützt werden sie von Höwedes, Hector, Gomez und, falls gesund, Götze, Reus oder Gündogan. Und darunter kommt ein gemeinsamer A 21-Kader von so spektakulärem Ausmaß, dass den Experten nun komplizierte Klausursitzungen bevorstehen. Im Juni gilt es parallel zwei Kader auszurüsten, die A-Elf spielt den Confed Cup in Russland, die U 21 bewirbt sich bei der EM in Polen um den Titel, und bereits Ende Mai startet die U 20-WM in Südkorea, für die auch ein paar U 21-Spieler einsatzberechtigt sind.

"Wir sitzen da mit Jogi Löw, Horst Hrubesch, Oliver Bierhoff und den Co-Trainern zusammen, aber klar ist, dass Jogi Löw das letzte Wort hat", sagt Kuntz, "bei den Entscheidungen haben wir ja immer die WM 2018 im Blick. Manchmal ist es für die Entwicklung eines Spielers besser, eine Stufe tiefer ein Team mit zu führen, als eine Stufe höher nur ein paar Kurzeinsätze zu haben." Es geht um Fragen wie diese: Bringt es Löw für 2018 mehr, wenn Werner, Sané oder Goretzka in Russland minutenweise den Ernstfall simulieren oder wenn sie in Polen dauerhaft Verantwortung unter Gleichaltrigen übernehmen?

Die aktuellen Kader seien schon "Fingerzeige für den Sommer", sagt Kuntz, dem Löw seine Kandidaten bedenkenlos anvertrauen wird. Denn dieser Kuntz ist ja wirklich eine einmalige Figur. Er hat in seiner Karriere 25 A-Länderspiele bestritten, und er ist dabei tatsächlich: ungeschlagen.

© SZ vom 25.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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