Derby in Mailand:Kletterübung für Mittelklasse-Teams

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Nicht sein Abend: Mario Balotelli vom AC Mailand. (Foto: dpa)

Früher glitzerte und glänzte das Mailänder Derby, mit Fußballern wie Ronaldo, Roberto Baggio oder Zlatan Ibrahimovic. Jetzt ist es zur simplen Kulisse verkommen. Das 1:0 von Inter überdeckt das Mittelmaß der einstigen Meister.

Von Birgit Schönau, Rom

Es war einmal das Derby von Mailand. Eine Stadtmeisterschaft, um die es glitzerte und glänzte, mit Fußballern wie Ronaldo, Roberto Baggio, Zlatan Ibrahimovic und Samuel Eto'o, mit Trainern wie Carlo Ancelotti und José Mourinho. Auf der Pressetribüne scharten sich zu jenen Derbyzeiten drei Hundertschaften Journalisten aus aller Welt, die das Stadion von San Siro unisono als "Fußballoper" bezeichneten - was auch daran lag, dass in der Cäsarenloge die Stadtfürsten aus den Opern- und Operettengeschlechtern der Moratti und Berlusconi Hof hielten.

Damals, in jenen fernen Tagen, trugen die Damen auf der Tribüne dieselben schweren Pelze, die sie auch für die Scala anzulegen pflegten, dazu passend Big Hair und Juwelen. Sie hatten natürlich auch ein Opernglas dabei und verfolgten das Geschehen auf dem Rasen mit ähnlich leidenschaftlich inspiriertem Sachverstand wie eine Aufführung im Musentempel der Opera Lirica. Ja, Mailand leuchtete; vor zehn Jahren geriet das Derby zwischen Inter und Milan sogar zum Champions-League-Halbfinale.

Und jetzt? Redet nur noch Rodrigo Palacio vom "wichtigsten Derby der Welt", was ihm auch gegönnt sei, schließlich hat der 31-jährige Argentinier für Inter in der 85. Minute das Siegtor erzielt. Ein Treffer mit der Hacke, der einzige in diesem Spiel, das so grau und grämlich wirkte wie der berüchtigte Mailänder Winternebel, der auch den Rest vom Glanz und Gloria der einstigen Glitzermetropole verschluckt.

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Der FC Barcelona schießt nach einem 0:2-Rückstand fünf Tore gegen Getafe und erobert die Tabellenführung von Atlético Madrid zurück. Real Madrid bleibt dem Spitzenduo mit einem Sieg gegen Valencia auf den Fersen. In Italien gewinnt Hellas Verona überraschend gegen Kloses Lazio Rom. Und Inter Mailand setzt sich im Derby gegen den AC durch.

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Aus dem Spitzenduell ist eine Kletterübung für Mittelklasse-Mannschaften geworden, die fernab von den Tabellenführern Juventus Turin und AS Rom um Punkte buhlen müssen. Es geht längst nicht mehr um Trophäen und Triumphe, sondern darum, die Talfahrt zu stoppen. Und das mit zwei Hintermannschaften, die nur noch ein Abklatsch der Abwehr all'italiana sind, mit Offensivkräften, deren Talent schon allzu lange nicht mehr mit Resultaten bestätigt wird, und mit Trainern wie Massimiliano Allegri (Milan) und Walter Mazzarri (Inter), deren hervorstechendste Eigenschaft ihre Bodenständigkeit ist.

Dass Mazzarris Truppe, in der der grandiose Vierziger Javier Zanetti als Kapitän noch immer erstaunliche Dinge leistet, noch eine winzige Hoffnung auf den dritten Platz und damit auf das Champions-League-Startrecht bewahren darf, liegt vermutlich an der Taktikdisziplin und dem Selbstbewusstsein des Trainers. Allegri hingegen befindet sich nur deshalb noch auf seinem Schleudersitz, weil die Berlusconi-Familie es sich gerade nicht leisten kann, ihn zu entlassen: Die Kassen sind leer, das Chaos ist groß.

Apropos Chaos: Hier sollen jene Meister der Konfusion aus Italiens Sportjustiz nicht unerwähnt bleiben, die pünktlich zum Derby die Inter-Fantribüne für Zuschauer gesperrt hatten. Es ging wieder mal um Beleidigungen gegen den SSC Neapel und die Metropole des Südens - neuerdings ist das als "territoriale Diskriminierung" strengstens verboten und wird fürchterlich bestraft. Doch diesmal bekamen die Sportrichter kalte Füße. Sie beschlossen, die Strafe auszusetzen. Man müsse die Sachlage erst einmal gründlich prüfen. Die Kurve dankte. Ein Derby ohne Fans, das wäre wirklich das Ende.

Und so gestaltete die 282. Mailänder Stadtmeisterschaft eine angemessene Kulisse für den ersten Auftritt von Barbara Berlusconi als Vizepräsidentin und Geschäftsführerin des AC Mailand, am Vorabend hatte der Milan-Verwaltungsrat die Personalie abgesegnet. Adriano Galliani, der noch vor wenigen Wochen nach gezielten Sticheleien aus der Familie Berlusconi rasend vor Wut und Enttäuschung seinen Rücktritt verkündet hatte, bleibt vorerst als zweiter Geschäftsführer im Amt. Auch seinen Weggang könnten die Berlusconi gerade nicht zahlen, nach 27 Jahren Dienst für den Fußballfürsten käme ein stattliches Abfindungs-Sümmchen zusammen.

Galliani muss also bleiben, über seinen 70. Geburtstag im Juni 2014 hinaus. Barbara, die am selben Tag 30 wird, hat den Alten ins Abseits gestellt, er darf sich noch um Transfers und Fernsehrechte kümmern, das Gesicht des AC Mailand ist jetzt sie. Nur Allegri muss sie noch loswerden, die Gazzetta dello Sport brachte vor dem Derby den ehemaligen Milan-Profi Clarence Seedorf und den amtierenden Nationaltrainer Cesare Prandelli als Nachfolge-Kandidaten ins Spiel: Papier ist geduldig.

Auch der neue Inter-Präsident, der Indonesier Erick Thohir gab seinen Derby-Einstieg - Debütantenball in San Siro. Rechts saßen die Frau und die beiden Söhne (die Töchter mussten daheim in Indonesien bleiben), links von Thohir saß Angelomario Moratti, genannt Mao. Es fehlte Moratti senior, es fehlte ja auch Berlusconi senior - ob die Alten den Jungen dauerhaft die Bühne überlassen, wird man sehen.

Moratti hat Inter an Thohir verkauft, Berlusconi muss seine Villen verscherbeln, die Zeit des Bunga-Bunga ist vorbei. Auf den Stadionrängen saßen weder junge Frauen im Glitzerkleid noch Signoras im Pelz: Wenn der Hofstaat sich auflöst, ist das ein untrügliches Zeichen für Machtverlust.

Da war es geradezu anrührend, dass Motorrad-Legende Valentino Rossi die Rolle des Hofnarrs übernahm und Thohir lautstark fragte: "Wann kaufst du uns Messi und Cristiano Ronaldo?" Der Präsident lächelte nachsichtig. Rossi versicherte, er habe es nicht so ernst gemeint. "War nur ein Witz." Wie um zu sagen: Keine Sorge, Mailand bleibt grau. In der Scala ist übrigens auch nichts mehr los.

© SZ vom 24.12.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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