Der Backup-Stürmer:Stellvertretende Ungeheuer

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Treffsichere Spieler wie Mario Gomez oder Klaas-Jan Huntelaar sitzen bei der EM auf der Bank und warten darauf einspringen zu dürfen - denn spielen werden werden andere. Es entsteht derzeit ein neues Berufsbild im Profifußball: Das Phänomen des Backup-Stürmers. Das zeigen auch die geplanten Transfers von Pizarro und Schieber.

Christof Kneer und Jürgen Schmieder

Es könnte sein, dass die beiden treffsichersten Stürmer der Bundesliga einen harten Sommer vor sich haben. Vielleicht werden sie am 13. Juni im EM-Stadion von Charkow sogar ein Fachgespräch über diesen harten Sommer führen können, so von Bank zu Bank. Es könnte sein, dass Klaas-Jan Huntelaar und Mario Gomez dann nicht weit voneinander entfernt sitzen und dass sie von draußen zusehen, wie drinnen Robin van Persie und Miroslav Klose stürmen.

Im Nationaltrikot wird Mario Gomez vermutlich nicht ganz so häufig jubeln können, denn als Stürmer ist Miroslav Klose gesetzt. (Foto: Christof Stache/AFP)

Huntelaar und Gomez wissen alles, was man über die Stürmerseele wissen muss. Aus ihren Nationalteams wissen sie, wie es sich anfühlt, auf die verdammte 70. oder 82. Minute warten zu müssen, in der man - vielleicht - eingewechselt wird. Aus ihren Vereinen wissen sie aber auch, wie es ist, wenn man in der 70. oder 82. Minute heimlich in Richtung Seiten-linie schielt, um zu sehen, ob sich vielleicht der Ersatzstürmer bereit macht.

Huntelaar und Gomez sind gesetzt, bei Schalke und Bayern auf dem Feld, bei den Niederlanden und Deutschland auf der Bank. Sie kennen das neueste Phänomen des Fußballs aus beiden Richtungen. Seit sich die Fußballwelt mit großer Mehrheit auf Systeme mit einem Stürmer verständigt hat, müssen zentrale Angreifer damit leben, dass sie zu einer Art Torwart am anderen Ende des Feldes geworden sind. Sie sind jetzt Spezialisten, kauzige Sonderlinge, von denen sich jede dieser neumodischen Multifunktions-Teams nur noch einen leistet. Ob Klose und Gomez im Nationalteam harmonieren würden, weiß bis heute niemand, weil sie praktisch nie zusammen spielen.

Die aktuellen Bewegungen auf dem Transfermarkt deuten an, dass hier gerade ein neues Berufsbild entsteht. Wenn der FC Bayern demnächst die Verpflichtung von Claudio Pizarro bekannt gibt, dann steckt dahinter dieselbe Idee wie in der Verpflichtung von Julian Schieber, die Borussia Dortmund gerade vorantreibt: Beide Stürmer müssen unbedingt gut genug sein, um die gesetzten Sonderlinge Mario Gomez und Robert Lewandowski auf Betriebstemperatur zu halten. Sie dürfen aber auf gar keinen Fall so gut sein, dass die gesetzten Sonderlinge das als Misstrauensvotum begreifen und gekränkt ihre Karrieren beenden.

Im üppigen Sprachgarten des Fußballs sind schon die abenteuerlichsten Früchtchen gewachsen, Knipser und Brecher, hängende Spitzen und Kopfballungeheuer, Keilstürmer und Billigbomber. Zuletzt hat die Wissenschaft sogar den Wandstürmer nachgewiesen. Als jüngste Kreatur ist jetzt der Backup-Stürmer hinzugekommen, der nicht mit dem Joker zu verwechseln ist. Der Joker kann immer kommen, er kann rechts wie links, er ist der Ersatz für alle, für niemand konkreten. Der Backup-Stürmer kommt in der Regel nur, um den Mittelstürmer zu ersetzen. Er ist die Vertretung vom Knipser, das stellvertretende Ungeheuer.

Es ist tatsächlich wie beim Ersatztorwart: Der Backup-Stürmer weiß, es gibt nur eine Position, für die er vorgesehen ist, und auch die aktuellen Personalien finden ihr Vorbild in der Welt der Reservekeeper. Dort gab es das Modell "Rensing" (Talent lernt auf der Bank vom großen Vorbild) und das Modell "Butt" (Fitter Altmeister dreht Ehrenrunde); am anderen Ende des Spielfeldes gibt es jetzt das Modell Schieber, 23, und das Modell Pizarro, 33 - wer aber im besten Fußballalter oder etablierter Nationalspieler ist wie Lucas Barrios oder Eren Derdiyok, kann sich den Backup nicht leisten. Der flüchtet nach China (Barrios) oder wenigstens nach Hoffenheim (Derdiyok).

Auf dem Transfermarkt ist der Backup-Stürmer der neueste Schrei, auch Schalke sucht ja gerade einen Schattenknipser für Huntelaar. Immer mehr Stürmer scheinen die Rolle als vorübergehende Attraktion zu begreifen, man hat eben doch ein paar Optionen mehr als ein Ersatztorwart. Der Backup-Stürmer darf beim Stand von 3:0 kommen und sich im Idealfall zwei Tore fürs Gemüt spendieren. Und er darf kommen, wenn es 0:1 steht und im Idealfall zum Helden werden.

Im idealsten Idealfall kann man in dieser Rolle auch zur Legende werden. Der große Helmut Rahn fuhr als Backup für Berni Klodt zur WM 1954, er traf als Ersatzstürmer gegen Ungarn, gegen Jugoslawien. Er wurde Stammstürmer, und es kam so weit, dass er aus dem Hintergrund schießen durfte.

© SZ vom 25.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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