Champions League: Schalke - Inter:Lässig ins Halbfinale

2:1 nach 5:2: Schalke 04 gewinnt durch Tore von Raúl und Höwedes auch das Rückspiel gegen Titelverteidiger Inter Mailand und erreicht mit großer Gelassenheit erstmals das Champions-League-Semifinale. Dort wartet jetzt Manchester United.

Sie haben es geschafft. Die Fußballspieler des FC Schalke 04 stehen zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte, die immerhin bis ins Jahr 1904 zurückreicht, im Halbfinale des höchsten europäischen Wettbewerbes für Klubmannschaften, der Champions League. Im Viertelfinal-Rückspiel gegen Inter Mailand taten sie, was nach dem fulminanten 5:2 im Hinspiel klug war: Gelassen verteidigten sie über weite Strecken solide, sie ließen sich nicht provozieren und zu keinem unüberlegten Hurra-Stil hinreißen.

Das führte zu einem 2:1-Sieg - 1:0 Raúl (45. Minute), 1:1 Thiago Motta (69.), 2:1 Benedikt Höwedes (81.) -, das zum Weiterkommen locker reichte, ohne zu begeistern. Das Spiel wird den 54.000 Zuschauern, die es in der Arena in Gelsenkirchen erlebten, wegen seiner Bedeutung in Erinnerung bleiben, nicht wegen seiner Dramatik.

"Die Mannschaft hat zwei großartige Spiele gemacht. Wenn man gegen den Champions-League-Sieger nur zwei Chancen zulässt, weiß man, wie gut die Mannschaft gearbeitet hat. Jeder Spieler ist für den anderen mitgelaufen. Das war der eigentliche Schlüssel zum Erfolg," sagte Trainer Ralf Rangnick überglücklich. "Das ist etwas Historisches. Wir sind sehr, sehr glücklich, dass wir im Halbfinale stehen. Wir haben beide Spiele verdient gewonnen", bescheinigte Sportchef Horst Heldt dem Team.

Drei Spiele, drei Siege - mit dieser Bilanz war Rangnick in die Partie gegangen, für die er ausgegeben hatte: "Natürlich wollen wir wenn möglich Tore schießen. Wichtig ist aber vor allem die Organisation hinter dem Ball." Damit die geordnet ablaufen würde, hatte er für den Gelb-gesperrten Jefferson Farfan den von einem Nasenbeinbruch genesenen Christoph Metzelder aufgeboten. Der Rest der Start-Elf waren die Zehn, die auch in Mailand begonnen hatten. Matip rückte ins Mittelfeld, Jurado ins offensive Mittelfeld.

Das Hinspiel hatte ihnen den Eindruck vermittelt, dass gegen die Mailänder Defensive alles möglich ist. Selbst Unmögliches. Also versuchte Rául gleich einmal so etwas. Gut 15 Minuten waren gespielt, als er sich - ebenso waghalsig wie verwegen - mit dem Ball am Fuß ganz alleine in den Inter-Strafraum stürzte, und das, obwohl ihn dort gleich vier Gegenspieler erwarteten.

Die Szene endete, wie sie enden musste: ohne Torschuss. Aber in dem Moment war der wichtigste Teil der Schalke-Taktik schon zu erkennen: So lange wir den Ball vors Tor der Gegner treiben, können die unserem nicht nahe kommen.

Das 2:5 im Hinspiel war die höchste Niederlage gewesen, die ein Titelverteidiger je in der Champions League hatte hinnehmen müssen. Drei Tore Rückstand in einem Rückspiel auswärts noch wettzumachen- das Kunststück war auf der europäischen Bühne nur einem Klub gelungen: Dinamo Bukarest, 2009/2010 in den Playoffs zur Europa League, bei Slovan Liberec mit einem 3:0 und einem Elfmeterschießen. 4:0 - damit hätte Mailand einen neuen Rekord aufgestellt und das Schicksal noch gewendet, doch Trainer Leonardo wusste wohl um die Erfolgsaussichten seiner Mission: "Eine Elf auf ein Spiel vorzubereiten, das sie 4:0 gewinnen muss, ist jenseits der Realität."

2:0 hatte Inter am Wochenende in der Liga gegen Chievo Verona gewonnen. Wesley Sneijder, Thiago Motta und Diego Milito hatten dabei nicht von Beginn an mitgewirkt. In Gelsenkirchen bot Leonardo sie auf. Ebenfalls wieder dabei: Lúcio, 1,88-Meter-große Abwehr-Naturgewalt, im Hinspiel gelbgesperrt. Fünf Gegentore! Ohne schmerzhafte Gegenwehr hätte der 32 Jahre alte Brasilianer so etwas nie zugelassen!

Inters verzweifelte Versuche

Ein mitunter brachiales Gemüt - das zeichnet Lúcio aus, auch in Gelsenkirchen war das zu sehen. Nach knapp einer halben Stunde stemmte er, ohne dass der Ball in der Nähe gewesen wäre, seinen mächtigen Körper unvermittelt auf den Rücken seines Gegenspielers Raúl. Dafür sah Lúcio nicht Gelb. Aber fürs Meckern gegen Damir Skomina aus Slowenien. Den Schiedsrichter.

FC Schalke 04 - Inter Mailand

Schalker Jubeltraube: Nach dem 2:1 im Viertelfinal-Rückspiel gegen Inter Mailand feierten die Spieler - die Fans sangen: "Seht ihr Bayern, so wird das gemacht!"

(Foto: dapd)

Provozieren, Ärger suchen: Mit solchen Mitteln lassen sich unerfahrene Teams schon mal aus der Balance bringen. Also versucht's doch mal so!, hatte Leonardo offenbar den Seinen geraten. Schon wenige Minuten nach dem Anpfiff nämlich hatte Dejan Stankovic versucht, Schalke-Torwart Manuel Neuer bei einem Abschlag mit einem Rempler zu stören. Es blieben verzweifelte Versuche. Neuer revanchierte sich auf seine Art: Er lächelte souverän. Und so hielt er auch, beispielsweise in der 36. Minute bei einem Fernschuss von Stankovic.

Die Mailänder hatten mehr vom Spiel, das Eckenverhältnis von 7:1 zur Halbzeit deutet es an, aber wirklich etwas davon hatten sie nicht. Die einzige große Chance in der ersten Halbzeit bot sich Raúl nach einem feinen Zuspiel von Jurado, der den Ball wiederum etliche Meter vor den Strafraum von Baumjohann überlassen bekommen hatte, ohne dass sich ein Mailänder dafür interessiert hätte. Raúl nahm den Ball mit dem linken Fuß mit, ließ ihn vor seinen rechten springen und tat, was er gerne tut: Champions-League-Tore schießen. Das 1:0 war sein fünfter Treffer in dieser Saison und sein 71. in der Spielklasse überhaupt.

Auf der Tribüne sah Sir Alex Ferguson zu, der Trainer von Manchester United, Schalkes Halbfinal-Gegner. Ob ihm gefiel, was er sah? Statistik-Freunde zumindest bekamen noch etwas geboten. Nicht ein Treffer war Inter in dieser Champions-League-Saison nach einer Ecke geglückt. Vier Minuten nach der Pause gab es die Premiere: Motta drückte den Ball nach einer genauen Verlängerung von Lúcio aus kurzer Distanz an Neuer vorbei zum 1:1 ins Schalke-Tor.

Die kollektive Tatenlosigkeit der Männer in Blau in dem Moment war bemerkenswert. Wäre der Treffer früher gelungen - es hätte ein spannender Abend werden können. So aber blieb es einer, an dem selbst Schalke-Fans mit Bluthochdruck gelassen zusehen konnten.

Höwedes' Schlusspunkt zum 2:1 nach einem lässig gelupften Zuspiel von Raúl (81.) war schön, wichtig war er nicht mehr. "Man hat in beiden Spielen gesehen, welches Potenzial in dieser Mannschaft steckt. Wir wollten auf Sieg spielen. Deshalb war uns das 1:1 nicht genug", erklärte Abwehrchef Christoph Metzelder die späte Anstrengung der Gelsenkirchener nach dem Schlusspfff. Sein Mitspieler Raúl stand da schon längst in der Kurve bei den Fans und gab den Ansager zum gemeinsamen Feiern.

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