Champions League:FK Rostow - die armen Patrioten vom Don

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Die Mannschaft von FK Rostow besteht aus weitgehend unbekannten Akteuren, ihr Bester ist der ecuadorianische Nationalspieler Christian Noboa. (Foto: AFP)

Hübsche Possen, windige Finanzgeschäfte: Bayerns erster Champions-League-Gegner ist ein typischer Vertreter aus der russischen Fußballprovinz.

Von Johannes Aumüller

Kurban Berdyjew ist in Russlands Fußball seit einem Jahrzehnt als ungewöhnlicher Trainer bekannt, aber so ungewöhnlich wie in diesen Tagen ging es rund um den 64-Jährigen noch selten zu. Berdyjew ist der Mann, der beim Coachen stets eine Gebetskette in der Hand hält - und der den russischen Durchschnittsklub FK Rostow im Sommer überraschend auf Platz zwei der Premjer-Liga führte. Vor einem Monat kündigte er seinen Rücktritt an. Dann debattierte das Land wochenlang, ob Berdyjew eher Spartak oder Lokomotive Moskau übernimmt. Und was ist das Ergebnis? Berdyjew arbeitet doch wieder in Rostow, wenn auch nicht als Trainer, also jedenfalls nicht richtig.

Schon zum Qualifikationsduell zur Champions League gegen Ajax Amsterdam (1:1/4:1) half Berdyjew gemäß offizieller Mitteilung als "Konsultant" mit. Und am Wochenende verkündete der Klub kurz vor der mühevollen Generalprobe gegen Krylja Sowjetow (2:1), dass der gebürtige Turkmene künftig als Vize-Präsident tätig sein solle. Als Trainer wiederum wirkte seit August der junge Dmitrij Kiritschenko. Aber der hat leider noch keine Lizenz, also gilt seit dem Wochenende und bis auf Weiteres der Lette Ivan Daniliants als Cheftrainer. Aber das sei nicht weiter schlimm, findet Kiritschenko, denn faktisch bleibe der Trainer doch ohnehin: Berdyjew.

Es ist eine hübsche Posse, die bestens passt zu diesem ungewöhnlichen und im Westen weitgehend unbekannten Klub, gegen den der FC Bayern am Dienstagabend (20.45 Uhr) seine Champions-League-Saison eröffnet. Dessen zweiter Platz im Vorjahres-Klassement war eine der größten Überraschungen der jüngeren russischen Fußballgeschichte.

In Russland galt FK Rostow bald als Leicester vom Don

Seit dem Zerfall der Sowjetunion hatte die Mannschaft aus der südrussischen Millionenstadt am Fluss Don zwar lediglich zwei Spielzeiten nicht in der ersten russischen Liga verbracht, aber ihre Standardplatzierung pendelte sich irgendwo zwischen elf und 14 ein. Noch 2015 musste Rostow in die Relegation. Und dann folgte diese Saison 2015/16, als sich der Klub dank Berdyjews radikaler Defensivstrategie in den Meisterschaftskampf schob - und plötzlich landesweit als "Leicester vom Don" galt, in Anspielung auf den Überraschungschampion der Premier League.

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Dabei ist der Vergleich ebenso naheliegend wie falsch. Während hinter Englands Meister mehr Finanzkraft steckt als es bisweilen den Anschein hat, sind die Rahmenbedingungen bei Rostow wirklich betrüblich. Das Budget beträgt nur 30 Millionen Dollar.

Die Mannschaft besteht aus weitgehend unbekannten Akteuren, ihr Bester ist der ecuadorianische Nationalkicker Christian Noboa. Seine Heimspiele trägt Rostow in einem Stadion namens Olimp2 aus, das schon seit 1930 an dieser Stelle steht und nur 15 840 Zuschauer fasst. Immerhin baut die Stadt nun für die WM 2018 eine komplett neue Arena.

Der FK Rostow ist ein typischer Vertreter der Premjer-Liga-Provinz, und das bedeutet zuvorderst eine enge Verbandelung des Klubs mit der Politik. Bei gleich sieben der 16 Liga-Vereine ist die Regionalregierung Besitzer und/oder Hauptsponsor des Klubs. In Rostow war bisweilen im Gespräch, dass einer der steinreichen und seit Langem mit Staatspräsident Wladimir Putin befreundeten Rotenberg-Brüder Arkadij oder Boris einsteigen könnte, weil ihr Sohn beziehungsweise Neffe dort Teil des Kaders war. Aber der spielt seit Sommer bei Lokomotive Moskau.

Auch dass der griechisch-russische Unternehmer Ivan Savvidis, vor mehr als zehn Jahren schon einmal Präsident des Klubs, und seine Argokom-Gruppe ihr Engagement ausbauen, gilt als Option. Doch noch hat die Regierung des Oblastes Rostow die Federführung, und das führt oft zu Problemen.

Die allgemeine wirtschaftliche Lage des Landes macht auch dem Budget der Region zu schaffen. Im erfolgreichen Vorjahr drohte kurzzeitig ein Boykott, weil die Spieler nicht rechtzeitig ihr Geld erhielten. Auch der vorübergehende Abschied von Kurban Berdyjew hatte zumindest zum Teil mit der finanziellen Situation zu tun. In den beiden vergangenen Liga-Spielen liefen wichtige Stützen wie Mittelfeldmann Noboa oder Abwehrspieler Cesar Navas nicht auf - schon hieß es, das liege an nicht ausbezahlten Gehältern. Der Generaldirektor Wladimir Krupin widersprach, gestand aber ein: "Alle Gehälter sind bezahlt, aber die Prämien müssen wir noch nachzahlen."

Rund um einen Transfer floss Geld über Montenegro und Lettland bis nach Spanien

Daneben wiegt noch eine andere Finanz-Geschichte schwer. Recherchen der Nowaja Gazeta dokumentierten im vergangenen Jahr, wie rund um einen Spielertransfer Geld von einem Institut in Rostow über Banken in Montenegro und Lettland bis nach Spanien floss, das der frühere Vize-Präsident Alexander Schikunow dort zum Erwerb einer Immobilie nutzte.

Schikunow ist sein Amt los, aber der Klub betonte in einer Mitteilung, dass dieser in ehrenamtlicher Funktion erhalten bleibe, weil er "ein Patriot des FK Rostow" gewesen sei und bleibe. Die Behörden ermitteln zwar, aber bisher kam die Sache nicht vor Gericht. Kritiker führen das auf die enge Beziehung von Klub und Regionalregierung zurück.

Und so dient Rostow neben dem sportlichen Erfolg auch als Beispiel, wie in den Untiefen des russischen Fußballs Steuergelder versickern können, ohne dass dies umfassende Konsequenzen zu haben scheint.

© SZ vom 13.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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